Healthcare und Life Sciences

Zweites COVID-19-Bevölkerungsschutz-Gesetz beschlossen

Am 14. Mai 2020 hat der Bundestag das „Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ beschlossen. Am 15. Mai 2020 hat der Bundesrat seine Zustimmung erklärt. Ziel des Gesetzes ist es, die bereits getroffenen Regelungen und Maßnahmen weiterzuentwickeln und zu ergänzen, um die durch das Virus SARS-CoV-2 eingetretenen finanziellen Folgen für die Gesundheitsversorgung abzumildern und seine Ausbreitung weiter einzudämmen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf dem Ausbau der digitalen Infrastruktur im Gesundheitswesen sowie der Stärkung der pflegerischen Versorgung. Hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Regelungen:

I. Finanzierung präventiver Tests durch die GKV

Durch Ergänzung des § 20i SGB V können die gesetzlichen Krankenkassen zukünftig durch Rechtsverordnung des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) verpflichtet werden, Corona-Virus- sowie Corona-Virus-Antikörpertests auch für symptomfreie Patienten zu finanzieren, d. h. für die nach den allgemeinen Regelungen des § 27 SGB V kein Anspruch auf Krankenbehandlung besteht. Die Regelung zielt darauf ab, insbesondere in Pflege- und Altenheimen vermehrt Testungen durchführen zu lassen.

Die Regelung ist im Vorfeld mit guten Gründen im Hinblick darauf kritisiert worden, dass diese Ausweitung den herkömmlichen Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung überdehnt. Tatsächlich werden insoweit den Solidargemeinschaften der Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung Kosten aufgebürdet, die grundsätzlich Teil der staatlich durch Steuermittel zu finanzierenden Gesundheitsvorsorge bzw. des präventiven Infektionsschutzes sind. Erst recht gilt dies für die vom Gesundheitsausschuss eingefügte Regelung des § 20i Abs. 3 Nr. 2 SGB V, wonach auch nicht in der GKV Versicherte einen Anspruch auf entsprechende Testungen durch Rechtsverordnung erhalten können.

Ein Ausgleich über einen erhöhten staatlichen Zuschuss zum Gesundheitsfonds und dessen Höhe sollen in der zweiten Hälfte des Jahres 2020 festgelegt werden.

II. Aufstockung der Grippeimpfstoff-Reserven

Ärzte können durch die Einfügung des § 106b Abs. 1a Satz 1 SGB V in der Grippesaison 2020/2021 eine zusätzliche Reserve von 30 % des Impfstoffs gegenüber der erst im Nachhinein tatsächlich feststellbaren Menge durchgeführter Grippeimpfungen für ihren Praxisbedarf bestellen, ohne Nachforderungen der gesetzlichen Krankenkassen befürchten zu müssen. Die zusätzliche Impfstoffreserve soll das Gesundheitssystem als vorbeugende Schutzmaßnahme vor einer weiteren Belastung durch eine zusätzliche Grippewelle schützen.

III. Corona-Prämie zur Anerkennung und Wertschätzung der Leistungen des Pflegepersonals

Das Gesetz sieht in dem neuen § 150a SGB XI eine individuelle steuer- und sozialversicherungsfreie, unpfändbare Prämienzahlung (sog. Corona-Prämie) in Höhe von bis zu 1.000 EUR für das Personal vor, das im Zeitraum 1. März bis 31. Oktober 2020 mindestens drei Monate in einer Pflegeeinrichtung bzw. im Bereich Pflege und Betreuung oder sonstigen Bereichen tätig war. Hiermit sollen die während der Corona-Pandemie besonderen physischen und psychischen Belastungen des Personals sowie das erhöhte Risiko, selbst an COVID-19 zu erkranken, gewürdigt werden:

  • Die Prämien sind gestaffelt entsprechend des Umfangs des unmittelbaren Kontaktes zu pflegebedürftigen Personen. Wer schwerpunktmäßig in der direkten Pflege und Betreuung in Vollzeit arbeitet, erhält 1.000 EUR, wer in einer Pflegeeinrichtung „mitarbeitet“, z. B. in der Küche oder beim Sicherheitsdienst, 667 EUR, Auszubildende zu Pflegefachberufen erhalten 600 EUR, alle übrigen Beschäftigten 334 EUR. Den Bundesländern und den Pflegeeinrichtungen steht es frei, die Corona-Prämien auf bis zu 1.500 EUR anzuheben. Die Prämien sind im Zeitraum vom 15. Juli bis 15. Dezember 2020 auszuzahlen.
  • Die Prämien werden von der sozialen Pflegeversicherung und im ambulanten Bereich anteilig durch die GKV im Wege der Vorauszahlung erstattet. Das BMG und das Bundesfinanzministerium (BMF) werden in der zweiten Jahreshälfte festlegen, ob und in welchem Umfang der Bund die Zahlung der einmaligen Prämie refinanziert. Die Mehrausgaben, die der sozialen Pflegeversicherung durch die Zahlung der Prämien entstehen, werden auf ca. 870 Mio. EUR geschätzt, die der GKV auf ca. 130 Mio. EUR.

IV. Digitalisierung der Gesundheitsämter

Um die technische Modernisierung und Digitalisierung in den Gesundheitsämtern voranzutreiben und diesen den Anschluss an das elektronische Melde- und Informationssystem zu ermöglichen, kann der Bund auf der Grundlage des neuen § 5 Abs. 2 Nr. 9 IfSG den Ländern, Gemeinden und Gemeindeverbänden Finanzhilfen von insgesamt 50 Mio. EUR zur Verfügung stellen. Dadurch steht jedem der 375 Gesundheitsämter ein Finanzierungsanteil von jeweils 100.000 bis 150.000 EUR zu diesem Zweck als Unterstützungsleistung zur Verfügung. Das Nähere wird durch Verwaltungsvereinbarungen geregelt.

V. Digitale Verordnung digitaler Gesundheitsanwendungen in Pilotprojekten

Digitale Gesundheitsanwendungen, d. h. insbesondere Medizinprodukt-Apps, die Körperzustände messen oder überwachen und Therapieempfehlungen geben, zählen seit dem 1. Januar 2020 zum Leistungsumfang der GKV und können von Vertragsärzten verordnet werden, soweit sie vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in das Verzeichnis gemäß § 139e SGB V aufgenommen sind.

  • Um den Aufwand eines papiergebundenen Verfahrens und Infektionsrisiken beim Aufsuchen von Ärzten zu vermeiden, können im Rahmen vorübergehender Pilotvorhaben zwischen Krankenkassen, Herstellern und Ärzten auf Grundlage des neuen § 67 Abs. 3 SGB V digitale Gesundheitsanwendungen elektronisch verordnet, vom Hersteller abgegeben und auch mit den Krankenkassen abgerechnet werden.
  • Dabei besteht ein weiter Gestaltungsspielraum bei der Umsetzung der auf eine Dauer von maximal zwei Jahre begrenzten Pilotvorhaben, solange die Verfahren der Telematikinfrastruktur noch nicht zur Verfügung stehen.

VI. Änderungen aus Anlass der Verschiebung des Geltungsbeginns der MDR

Aus Anlass der kurzfristigen Verschiebung des Geltungsbeginns der Verordnung (EU) 2017/745 (MDR) infolge der COVID-19-Pandemie wird das Inkrafttreten des Medizinprodukte-EU-Anpassungsgesetzes und das gleichzeitige Außerkrafttreten des Medizinproduktegesetzes an den verschobenen Geltungsbeginn der MDR angepasst und auf den 26. Mai 2021 verschoben.

Allerdings ist Art. 59 MDR, der das Verfahren der Sonderzulassung von Medizinprodukten ohne Konformitätsbewertungsverfahren regelt, vorzeitig in Kraft getreten. Damit das BfArM gestützt auf Art. 59 MDR Sonderzulassungen für dringend benötigte Medizinprodukte erteilen kann, tritt § 7 des Medizinproduktrecht-Durchführungsgesetzes (MPDG) rückwirkend zum 24. April 2020 in Kraft. § 7 MPDG konkretisiert das für die Erteilung von Sonderzulassungen einzuhaltende Verfahren, wobei die Einzelheiten durch das BMG durch Rechtsverordnung bestimmt werden müssen.

VII. Neuregelungen im Krankenhausrecht

Das Gesetz sieht diverse Neuregelungen im Krankenhausrecht vor:

  • Festlegung von 185 EUR als Mindestpflegeentgeltwert für den Zeitraum 1. April bis 31. Dezember 2020 auch für Krankenhäuser mit bereits vereinbartem individuellem Pflegeentgeltwert bei gleichzeitigem Verzicht auf Ausgleichszahlungen für das Jahr 2020
  • Einführung eines neuen Zusatzentgelts für die Finanzierung der Kosten für Tests stationärer Patienten auf eine SARS-CoV-2-Infektion (§ 26 KHEntgG)
  • Verschiebung der Einführung des Prüfquotensystems auf die Jahre 2021/2022
  • Vorübergehende Ausnahmen von Prüfungen bestimmter OPS-Mindestmerkmale bei Krankenhausbehandlungen von mit dem Virus SARS-CoV-2 infizierten Patienten
  • Zusätzliche Datenübermittlungspflichten der Krankenhäuser zur Beurteilung der Wirkungen des COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetzes, deren Nichteinhaltung sanktioniert ist

1. Ausweitung der Anhebung der Höhe des vorläufigen Pflegeentgeltwertes bis Ende 2020

Der Gesetzgeber hat im COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz zur Stärkung der Liquidität der Krankenhäuser für den Zeitraum vom 1. April 2020 bis zum 31. Dezember 2020 den vorläufigen Pflegeentgeltwert von 146,55 EUR auf 185 EUR angehoben. Diese Regelung betrifft aber nur Häuser, bei denen der krankenhausindividuelle Pflegeentgeltwert mangels Vereinbarung des Pflegebudgets für 2020 noch nicht berechnet werden kann. Zur Verhinderung der Benachteiligung von Krankenhäusern, die ihr Pflegebudget bereits vereinbart haben und bei denen der krankenhausindividuelle Pflegeentgeltwert darunter liegt, ist nun ebenfalls ein Pflegeentgeltwert von 185 EUR maßgeblich. Eine Rückzahlungsverpflichtung für im Jahr 2020 zu viel erhaltener Mittel infolge einer Überdeckung gibt es nicht. Damit hat der Gesetzgeber für sämtliche Häuser einen Mindestpflegewert für 2020 festgelegt, der von den tatsächlichen Pflegepersonalkosten unabhängig ist.

2. Neues Zusatzentgelt zur Finanzierung von Testkosten

Zur Finanzierung der Kosten der Krankenhäuser für Testungen voll- oder teilstationär aufgenommener Patienten auf eine Infektion mit dem Virus SARS-CoV-2 wird ein Zusatzentgelt eingeführt, das künftig bei neu aufgenommenen Patienten abgerechnet werden kann. Die Höhe des Zusatzentgelts legen die Vertragsparteien auf Bundesebene innerhalb einer Woche nach Verkündigung des Gesetzes fest. Wenn keine Einigung gelingt, übernimmt diese Aufgabe die Bundesschiedsstelle, die hierfür eine weitere Woche Zeit hat.

3. Verschiebung der Einführung des Prüfquotensystems

Eine weitere Unterstützungsmaßnahme für Krankenhäuser ist die Verschiebung der für das Jahr 2020 vorgesehenen Einführung einer quartalsbezogenen Prüfquote von maximal 12,5 %. Diese wird auf 2021 verschoben. Die variable, krankenhausindividuelle Prüfquote gilt ab 2022. Diese Regelung ist eine Ergänzung der Beschränkung der quartalsbezogenen Prüfquote im Jahr 2020 auf bis zu 5 % der Schlussrechnungen durch das COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz.

4. Vorübergehende Ausnahmen von Prüfungen der OPS-Mindestmerkmale bei Krankenhausbehandlungen von mit SARS-CoV-2 infizierten Patienten

Es ist für das zweite Quartal 2020 eine Ausnahme von Prüfungen der Behandlung von COVID19-(Verdachts-)Fällen durch den Medizinischen Dienst (MD) auf die Erfüllung der Mindestmerkmale bestimmter OPS-Kodes vorgesehen. Grund hierfür ist, dass die Intensivstationen der Krankenhäuser ausgeweitet und während der Pandemie Personal dort eingesetzt wird, das in diesem Bereich sonst nicht arbeitet. Dies hat nach Auffassung des Gesetzgebers zur Folge, dass vor allem die Mindestmerkmale der intensivmedizinischen Komplexkodes nicht in jedem Fall erfüllt sein werden, was aber nicht zur Rückzahlung von Krankenhausvergütungen führen soll. Deshalb wird das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) eine Liste erstellen, die von der Prüfung ausgenommenen Mindestmerkmale bestimmter OPS-Kodes enthält. Die Ausnahmeregelung kann vom BMG mit Zustimmung des Bundesrates um insgesamt bis zu sechs Monate verlängert werden.

5. Zusätzliche Datenübermittlungspflichten der Krankenhäuser zur Beurteilung der Wirkungen des COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetzes

Um eine Überprüfung der Auswirkungen der Maßnahmen des COVID-19-Krankenhaus­entlastungsgesetzes auf die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser auf valider Datengrundlage durchführen zu können, haben die Krankenhäuser einen Teil der ohnehin an das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) zu liefernden Daten zusätzlich zweimal unterjährig zu übermitteln. Damit soll vor allem geprüft werden, ob und in welchem Umfang es Nachholeffekte bei verschobenen Operationen gibt und wie hoch der Dialyseanteil für intensivmedizinisch behandelte Corona-Patienten ist.

Die Nichtbeachtung der Verpflichtung zur unterjährigen Datenlieferung ist mit einem Abschlag von 10 EUR je Fall, mindestens aber mit 20.000 EUR je Krankenhausstandort sanktioniert. Dies gilt nicht, wenn dem Krankenhaus dadurch eine unbillige Härte entsteht. Das InEK ist damit beauftragt worden, das Nähere zu dieser Härtefallregelung zu bestimmen.

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