Compliance & Investigations

Referentenentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung von Unternehmenskriminalität (Verbandssanktionengesetz)

Das Bundesjustizministerium stellt den Entwurf eines neuen Verbandssanktionengesetzes vor, das eine Neuordnung und erhebliche Verschärfung der Haftung von Unternehmen bei unternehmensbezogenen Straftaten vorsieht:

  • Erhebliche Erhöhung des Sanktionsrahmens auf bis zu 10 Prozent des Gruppenumsatzes
  • Anreize für Investitionen in Corporate Compliance Programme
  • Möglichkeit der Sanktionsmilderung bei unabhängiger interner Ermittlung und Kooperation mit den Ermittlungsbehörden
  • Gleichzeitig erhebliche Beschränkung des Beschlagnahmeschutzes (nicht nur für interne Untersuchungen)
  • Alternative Verfahrensbeendigung durch Verwarnung des Unternehmens mit Sanktionsvorbehalt, ggf. verbunden mit Auflagen und Weisungen für den Vorbehaltszeitraum
  • Möglichkeit für Gerichte, die Einbindung eines Compliance-Monitors anzuweisen

Das Bundesjustizministerium hat vergangene Woche einen Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität vorgestellt. Der Entwurf wird derzeit noch unter Verschluss gehalten. Mit ihm soll das „Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten (Verbandssanktionengesetz – VerSanG)“ eingeführt werden.

Der Entwurf des Bundesjustizministeriums fußt auf einer Vereinbarung im Koalitionsvertrag zur Einführung verschärfter Unternehmenssanktionen. Union und SPD hatten sich darauf geeinigt, dass die vom Fehlverhalten von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern profitierenden Unternehmen stärker sanktioniert werden sollen (wir berichteten, siehe Know-How-Beitrag vom 14. Februar 2018). Das neue VerSanG soll die Sanktionierung von Unternehmen dem Legalitätsprinzip unterwerfen, eine angemessene Ahndung von Verbandsstraftaten ermöglichen, interne Ermittlungen fördern und Anreize für Investitionen in Compliance schaffen.

Wir möchten mit folgendem Beitrag einen ersten Überblick über die wesentlichen Inhalte des geplanten VerSanG geben, das voraussichtlich die künftige Compliance & Investigations-Praxis in Deutschland erheblich verändern wird. Der Entwurf nährt sich an internationale Standards der US-amerikanischen, britischen und jüngst auch französischen Gesetzgebung und Rechtspraxis an. Er bleibt allerdings erheblich hinter diesen Standards zurück, insbesondere was den Schutz des „legal privilege“ und den Beschlagnahmeschutz betrifft.

I.   Hintergrund

In den rechtspolitischen und rechtstheoretischen Diskussionen der jüngeren Vergangenheit wurde von vielen Stellen vertreten, dass der derzeitige Rahmen für die Sanktionierung von unternehmensbezogenen Straftaten nicht ausreichend sei. Es wurde teilweise die Einführung eines eigenständigen Unternehmenssanktionsrechts gefordert. Für diesen Standpunkt wurden u.a. folgende Argumente angeführt:

  • Im Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts besteht das Opportunitätsprinzip. Dieses Opportunitätsprinzip führe teilweise zur Nichtverfolgung von Verbandsstraftaten. Aufgrund der erheblich unterschiedlichen Ausstattung der Staatsanwaltschaften ergäben sich auch regionale Unterschiede bei der Verfolgung von Fehlverhalten in Unternehmensstrukturen.
  • Die dogmatische Verortung der Unternehmenssanktion im Ordnungswidrigkeitenrecht soll dessen Unwert und dem gesellschaftlichen Schaden von unternehmensbezogenen Straftaten nicht gerecht werden. Das Strafrecht habe im Vergleich zum Ordnungswidrigkeitenrecht eine stärkere abschreckende Wirkung.
  • Ein eigenständiges Unternehmensstrafrecht sei mittlerweile internationaler Standard. Neben den USA haben 21 von 28 EU-Mitgliedsstaaten und mehr als die Hälfte der OECD-Staaten ein Unternehmensstrafrecht.
  • Der derzeit mögliche Bußgeldrahmen stelle für Unternehmen ein kalkulierbares Risiko dar. Die Höhe einer Verbandsgeldbuße ist derzeit auf EUR 10 Millionen beschränkt (§ 30 Abs. 2 Nr. 1 OWiG), was für große Unternehmen zu wenig und für kleinere Unternehmen zu viel sein soll. Zwar können Bußgelder in Folge der Gewinnabschöpfung hohe Summen erreichen, doch sei die Gewinnabschöpfung gerade keine Sanktion.
  • Die Durchführung von unternehmensinternen Ermittlungen zur Sachverhaltsaufklärung ist bislang gesetzlich nicht geregelt. Weder gibt es Normen zur Berücksichtigung solcher Aufklärungsbemühungen und kooperativen Verhaltens, noch ist in der Strafprozessordnung geregelt, ob und unter welchen Umständen die Ermittlungsbehörden auf die Ergebnisse solcher Untersuchungen zurückgreifen können.

Nachdem sich Union und SPD im Koalitionsvertrag im Februar 2018 der Auffassung angeschlossen haben, dass unternehmensbezogenen Straftaten verschärft sanktioniert werden müssen, wurde der nun vorgestellte Gesetzesentwurf von der Strafrechts- und Compliance-Praxis erwartet. Der Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums für das VerSanG kann nach der Abstimmung im Kabinett – ggf. nach Einarbeitung von Änderungen – durch den Bundestag beschlossen werden.

Der aktuelle Referentenentwurf sieht im Wesentlichen die folgenden Regelungen vor:

II.   Einführung des Legalitätsprinzips

Im Gegensatz zu den bisher geltenden Regeln im Ordnungswidrigkeitengesetz sollen die Staatsanwaltschaften nach dem VerSanG verpflichtet sein, beim Vorliegen von zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkten (Anfangsverdacht einer Straftat) ein Ermittlungsverfahren gegen einen Verband einzuleiten. Damit gilt bei der Verfolgung von Unternehmen nunmehr das Legalitätsprinzip.

Opportunitätserwägungen, aber auch Personalmangel bei den Ermittlungsbehörden oder absehbar besonders aufwändige Ermittlungen, z.B. mit Auslandsbezug, wären kein geeigneter Grund mehr, von Ermittlungen abzusehen.

Für die Beendigung der Ermittlungen sollen allerdings die sinngemäße Heranziehung der Einstellungsmöglichkeiten aus Opportunitätsgründen nach §§ 153, 153a StPO ausdrücklich eröffnet werden. Auch andere Opportunitätserwägungen, wie z.B. die Tatsache, dass der Verband bereits schwere Folgen erlitten hat, oder auch die Durchführung einer verbandsinternen Untersuchung, können zum Absehen von Ermittlungen führen.

Am teilweisen faktischen Mangel an Personal und Expertise bei den Staatsanwaltschaften vermag die Einführung des Legalitätsprinzips naturgemäß nichts zu ändern. Es ist vielmehr zu erwarten, dass die Staatsanwaltschaften vor erheblichen praktischen Problemen stehen werden, wenn unternehmensbezogene Straftaten auch gegen das Unternehmen zwingend zu verfolgen sind. Diese Probleme werden durch vermehrte interne Ermittlungen (dazu unten Ziffer IV) wohl nur teilweise „gelöst“.

III.   Erweiterung des Sanktionsspektrums und Erhöhung des Strafrahmens

Der Entwurf des VerSanG sieht grundsätzlich drei Formen der Verbandssanktion vor:

  1. die Verbandsgeldsanktion,
  2. die Verwarnung mit Verbandsgeldsanktionsvorbehalt, und
  3. als ultima ratio die Verbandsauflösung.

Der Rahmen der zukünftigen Verbandsgeldsanktionen wird insbesondere für Unternehmen mit einem Jahresumsatz von mehr als EUR 100 Millionen deutlich erhöht: bei vorsätzlichen Taten reicht die Sanktion von (mindestens) EUR 10.000 bis zu 10 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes, bei fahrlässigen Taten immerhin noch von EUR 5.000 bis zu (höchstens) 5 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes. Der anzusetzende durchschnittliche Jahresumsatz berechnet sich nach dem weltweiten Umsatz aller als wirtschaftliche Einheit operierenden Unternehmen der letzten drei Geschäftsjahre. Maßgeblicher Zeitpunkt ist hierbei die Verurteilung, was bei Share Deals in M&A-Transaktionen, zumindest wenn das gekaufte Unternehmen wirtschaftlich in das Käuferunternehmen integriert ist, zu erheblichen Risiken führen kann.

Auch bei einem Asset Deal sieht das VerSanG eine schärfere Haftung als bislang vor: Der Entwurf sieht eine Ausfallhaftung des Käufers vor, wenn wesentliche Wirtschaftsgüter eines Unternehmens übernommen werden (Einzelrechtsnachfolge).

Ersichtlich soll mit dem künftigen Sanktionsrahmen der im Kartellrecht (und nunmehr teilweise auch im Datenschutzrecht) bekannte Bußgeldrahmen übernommen werden, was unverhältnismäßig hohe Sanktionen für Unternehmen zumindest möglich macht. Nach dem Referentenentwurf des VerSanG soll neben der „Verbandsgeldsanktion“ auch noch die Einziehung nach §§ 73 ff. StGB zusätzlich möglich sein (vergleichbar der Vorteilsabschöpfung im Kartellrecht nach § 34 GWB). Damit besteht das Risiko überzogener und unverhältnismäßiger Unternehmenssanktionen.

Eine ausdrückliche Milderungsvorschrift soll für den Fall gelten, dass der Verband durch eine verbandsinterne Untersuchung wesentlich zur Aufklärung der Verbandsstraftat beigetragen hat (dazu näher unten Ziffer IV).

Neben der Geldsanktion ist eine Verwarnung mit Vorbehalt einer Geldsanktion als alternative Verfahrensbeendigung vorgesehen, wenn zu erwarten ist, dass (i) eine Verwarnung ausreichend ist, um Verbandsstraftaten künftig zu vermeiden, (ii) eine Gesamtwürdigung der Umstände die Verhängung einer Geldsanktion entbehrlich macht und (iii) die Verteidigung der Rechtsordnung eine solche nicht gebietet. Das Gericht kann für den Vorbehaltszeitraum von einem bis zu fünf Jahren Auflagen und Weisungen erteilen. Insbesondere kann das Gericht die Stärkung der internen Vorkehrungen zur Vermeidung von Verbandsstraftaten anweisen und zur Überwachung eine „sachkundige Stelle“ als Compliance-Monitor einsetzen.

Liegen die Voraussetzungen einer Verwarnung mit Vorbehalt nicht vor, kann das Gericht immer noch bis zu 50 Prozent der Geldsanktion vorbehalten, wenn dies ausreichend ist, um Verbandsstraftaten künftig zu vermeiden. Zudem kann die Verfolgungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts vorläufig von der Klageerhebung absehen und Auflagen und Weisungen erteilen. Die Regelung im Entwurf ist dabei der Regelung des § 153a StPO nachempfunden (Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen).

Insgesamt nähert sich die Rechtslage in Deutschland dem angelsächsischen Rechtsraum an, wo Non- und Deferred Prosecution Agreements eine häufige Alternative zur Verfahrensbeendigung darstellen.

Schließlich ist als ultima ratio sogar die Auflösung des Verbandes vorgesehen. Die Auflösung ist allerdings auf Extremfälle beschränkt, wenn z.B. Leitungspersonen „beharrlich erhebliche Verbandsstraftaten“ begehen, oder die Gefahr besteht, dass bei „Fortbestand des Verbands erhebliche Verbandsstraftaten begangen“ werden.

IV.   Sanktionsmilderung durch interne Untersuchungen

Der Entwurf des VerSanG sieht eine Milderung von Verbandssanktionen bei der Durchführung einer internen Untersuchung vor, allerdings nur dann, wenn folgende qualitative Anforderungen erfüllt werden:

  • Die internen Ermittlungen müssen wesentlich zur Aufklärung der Verbandsstraftat beitragen;
  • Die internen Ermittlungen sind „unabhängig“ und wurden nicht durch den Verteidiger des Unternehmens durchgeführt;
  • Das Unternehmen oder die von ihm beauftragten Anwälte arbeiten ununterbrochen und uneingeschränkt mit den Verfolgungsbehörden zusammen;
  • Das Ergebnis der internen Ermittlung, die wesentlichen Dokumente und der Abschlussbericht der internen Ermittlungen werden den Verfolgungsbehörden offengelegt; und
  • Die internen Untersuchungen werden unter Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens geführt, insbesondere:
    • Mitarbeiter werden vor ihrer Befragung darauf hingewiesen, dass ihre Auskünfte in einem Strafverfahren gegen sie verwendet werden können;
    • Befragten wird das Recht eingeräumt, anwaltlichen Beistand oder ein Mitglied des Betriebsrats zu Befragungen hinzuzuziehen, und die Befragten werden auf dieses Recht vor ihrer Befragung hingewiesen; und
    • Befragten wird das Recht eingeräumt, die Auskunft auf solche Fragen zu verweigern, deren Beantwortung sie selbst oder die in § 52 Abs. 1 StPO bezeichneten Angehörigen gefährden, wegen einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit verfolgt zu werden, und die Befragten auf dieses Recht hingewiesen werden;
  • Die interne Untersuchung wird in Übereinstimmung mit den geltenden Gesetzen geführt und dokumentiert.

Bemerkenswert ist die angelegte Trennung von interner Untersuchung und Unternehmensverteidigung. Der Entwurf des VerSanG begründet diesen Ansatz mit einer höheren Glaubwürdigkeit der internen Untersuchung, wenn sie von der Unternehmensverteidigung getrennt ist. Der Entwurf hält jedoch ausdrücklich fest, dass die interne Untersuchung durch dieselbe Kanzlei durchgeführt werden kann, die die Unternehmensverteidigung übernimmt, sofern eine organisatorische Trennung zwischen beiden Beratungsmandanten vorgenommen wird.

Die rechtlichen Anforderungen an eine solche interne Untersuchung sind hoch. Eine Strafmilderung ist nach dem Entwurf insbesondere nur dann möglich, wenn die Arbeitnehmerrechte bei Interviews umfassend gewahrt werden. Den Befragten wird neuerdings auch ein Aussageverweigerungsrecht eingeräumt, was den Ermittlungserfolg unternehmensinterner Untersuchungen in einigen Fällen erschweren dürfte. Insbesondere bei komplexen internen Untersuchungen wird es daher umso wichtiger, eine auf interne Untersuchungen spezialisierte Kanzlei einzuschalten, um die Möglichkeit einer Sanktionsmilderung im Sinne des § 18 VerSanG zu erhalten. Faktisch wird mit diesen Vorgaben ein Rahmen für die Durchführung interner Untersuchungen geschaffen. Unternehmen werden sich im Regelfall zumindest die Möglichkeit einer Sanktionsmilderung durch interne Untersuchungen offenhalten wollen, auch dann, wenn z.B. ein Ermittlungsverfahren noch gar nicht gegen das Unternehmen eingeleitet ist.

Im Falle einer unternehmensinternen Untersuchung, die diese Voraussetzungen einhält, kann die Verfolgungsbehörde sogar bis zum Abschluss der internen Untersuchung ganz von der Verfolgung des Unternehmens absehen.

V.   Regelungen zum Beschlagnahmeschutz

Große Sorge bereitet die vorgeschlagene Änderung des Beschlagnahmeschutzes in § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO und insbesondere die Begründung dafür. Durch die „Hintertür“ des VerSanG wird dabei eine zentrale Norm der StPO zum Nachteil der Beschuldigten (sowohl juristische als auch natürliche Personen) „geschliffen“. Nach dem Wortlaut des Entwurfs sollen künftig alle Aufzeichnungen und Unterlagen, die sich im Gewahrsam von Rechtsanwälten befinden, beschlagnahmt werden dürfen, es sei denn, der betroffene Mandant ist „Beschuldigter“ in einem Strafverfahren und es besteht ein „Vertrauensverhältnis“ mit Blick auf diese Unterlagen.

Originäre Geschäftsunterlagen des Unternehmens („Rohdaten“) sollen nach § 97 Abs. 2 n.F. StPO ausdrücklich keinem Beschlagnahmeschutz unterliegen.

Im Gesetzestext wird dagegen nicht eindeutig geregelt, ob und inwieweit (anwaltliche) Arbeitsprodukte, die im Rahmen einer internen Untersuchung angefertigt wurden (z.B. Interviewprotokolle, Zwischen- und Endberichte sowie Präsentationen) vor Beschlagnahme geschützt sind. Allerdings finden sich in der Entwurfsbegründung Hinweise, wie die neue Regelung zu Beschlagnahmeverboten auszulegen ist – nämlich sehr eng:

Ausgangspunkt der Entwurfsbegründung ist, dass Arbeitsprodukte nur dann von dem Beschlagnahmeverbot erfasst sein sollen, wenn sie „dem geschützten Vertrauensverhältnis“ zwischen beschuldigtem Unternehmen und Rechtsanwalt zuzuordnen sind.

In der Begründung heißt es weiter, dass das Unternehmen bei Sanktionsverfahren nach dem VerSanG die Rechte eines Beschuldigten hat, sodass die Aufzeichnungen von Befragungen von Leitungspersonen § 97 Abs. 1 Nr. 2 StPO (also: Beschlagnahmeverbot) unterfielen. Unklar ist dabei, wie sich diese Erläuterung mit der im Entwurf angelegten Trennung zwischen „interner Untersuchung“ und „Unternehmensverteidigung“ verträgt. Hier sollte Klarheit geschaffen werden, dass ein „Vertrauensverhältnis“ unabhängig von der formalen Verteidigerstellung besteht. Das entspräche auch der Konzeption des VerSanG. Nach dem VerSanG gehören die Durchführung einer internen Untersuchung und eine entsprechende Kooperation materiell ebenso zur Verteidigung der Interessen des Unternehmens, wie die Wahrnehmung der (weiteren) Beschuldigtenrechte. Interne Untersuchung und Vertretung des Unternehmens gegenüber den Ermittlungsbehörden sind, wenn auch getrennt, die zwei Säulen einer kooperativen Unternehmensverteidigung. Die Erstreckung des Beschlagnahmeschutzes auf Arbeitsprodukte einer internen Untersuchung muss erst recht gelten, wenn sich das Unternehmen nach der vollständigen Kenntnis des Sachverhalts dazu entschließt, von den Milderungsmöglichkeiten keinen Gebrauch zu machen, sondern sich gegen die Vorwürfe – ggf. auch konfrontativ – zu verteidigen.

Eine der Schlüsselfragen lautet, was nach dem Referentenentwurf gelten soll, wenn eine interne Untersuchung zeitlich vor einem Ermittlungsverfahren (und der formalen Beschuldigtenstellung) durchgeführt wird. Hier deutet die Begründung eine „harte Linie“ an, dass – wohl mangels formaler „Beschuldigtenstellung“ – kein Beschlagnahmeverbot bestehen könnte, wenn eine Sachverhaltsaufklärung vor Vorliegen einer Beschuldigtenstellung stattfindet oder anderen Zielen diene, zum Beispiel der internen Compliance.

Sollte der Entwurf tatsächlich so Gesetz werden, wäre das eine erhebliche Verschlechterung der aktuellen Rechtslage und eine inakzeptable Schwächung der Verteidigungsrechte der Unternehmen zu befürchten. In dieser Fassung ist der Entwurf des VerSanG dringend korrekturbedürftig. Er lässt überdies völlig unberücksichtigt, dass die Unternehmensleitung gesellschaftsrechtlich verpflichtet ist, interne Untersuchungen durchzuführen, wenn der Verdacht auf Compliance-Verstöße besteht. Ohne flankierenden Beschlagnahmeschutz wird das Unternehmen gezwungen, eine sich ggf. selbst belastende Faktenlage zu schaffen, die dann vollständig gegen das Unternehmen verwendet werden kann. Die vom Entwurf bezweckte Anreizwirkung für interne Untersuchungen würde im Ergebnis konterkariert, weil zu befürchten steht, dass in der Praxis unternehmensinterne Untersuchungen nur noch durchgeführt werden, wenn bereits Ermittlungsverfahren eröffnet sind. Ob damit eine gleichförmigere Sanktionierung von Unternehmen verbunden wäre, ist zweifelhaft.

VI.   Anreize für Investitionen in Compliance

Begrüßenswert ist, dass der Entwurf des VerSanG rechtssichere Anreize für die Investition in Compliance schaffen will. Diese Zielsetzung verfolgt der Entwurf mit verschiedenen Ansätzen.

Compliance-Maßnahmen können nach dem Entwurf zunächst bei der Bemessung der Höhe einer Sanktion Berücksichtigung finden. Der Entwurf setzt damit konsequent um, was nach der jüngsten Rechtsprechung des BGH schon zum OWiG gilt (wir berichteten, siehe Know-How-Beitrag vom 21. September 2017).

Zudem sind Compliance-Maßnahmen des Unternehmens bei der Auswahl der Art der Sanktion maßgeblich. Eine Verwarnung des Unternehmens mit Sanktionsvorbehalt kommt nur dann in Betracht, wenn zu erwarten ist, dass die Verwarnung ausreichend ist, um Verbandsstraftaten in Zukunft zu vermeiden. Nach dem Entwurf kommt dies insbesondere dann in Betracht, wenn die fragliche Verbandsstraftat ein „Ausreißer“ (so die Begründung des Entwurfs) war und der Verband Compliance-Maßnahmen trifft oder getroffen hat, um gleichartige Verbandsstraftaten in Zukunft zu vermeiden.

Schließlich kann das Gericht dem Unternehmen Weisungen erteilen, wenn eine Geldsanktion vorbehalten wird. Diese Weisungen dienen spezialpräventiven Zielen und sollen insbesondere Schwachstellen im Compliance-Programm des Unternehmens schließen.

Das VerSanG soll zwei Jahre nach Verkündung in Kraft treten. Damit soll Unternehmen ausreichend Zeit gegeben werden, die internen Abläufe zu überprüfen und erforderlichenfalls weitere Compliance-Maßnahmen zu treffen.

VII.   Vorbehaltszeit als „deferred prosecution“ und Compliance-Monitor

Verwarnt das Gericht das Unternehmen und behält sich zumindest teilweise eine Sanktion vor, kann es für den Vorbehaltszeitraum Weisungen erteilen. Das Gericht kann das Unternehmen insbesondere anweisen, Compliance-Maßnahmen zur Vermeidung künftiger Verbandsstraftaten zu treffen und diese Maßnahmen durch „Bescheinigung einer sachkundigen Stelle“ nachzuweisen. Nach den USA, UK und Frankreich würde damit auch Deutschland das Institut des sog. Compliance-Monitor einführen, um eine „deferred prosecution“ zu ermöglichen.

Das Unternehmen soll den Compliance-Monitor (der Referentenentwurf sprich von der „sachkundige Stelle“) auswählen. Die Bestellung bedarf allerdings der Zustimmung des Gerichts. Der Compliance-Monitor schließt den Mandatsvertrag mit dem Unternehmen ab; die Kosten für die „sachkundige Stelle“ trägt das Unternehmen. Es ist davon auszugehen, dass die Aufgaben und der Umfang der Tätigkeit des Monitors – ähnlich wie in den USA, UK, Frankreich und bei Monitorships der Weltbank oder anderer Entwicklungsbanken – vor der eigentlichen Bestellung eng zwischen dem Unternehmen und der Staatsanwaltschaft oder dem Gericht abgestimmt werden. So kann das Gericht bestimmen, wie häufig und in welchen Abständen die sachkundige Stelle an das Gericht berichtet. Der Monitor muss in der Regel ein (Kurz-)Gutachten erstellen. Nach dem Entwurf kommen als „sachkundige Stelle“ Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und Unternehmensberater in Betracht.

Das Gericht verurteilt das Unternehmen zur vorbehaltenen Geldsanktion, wenn in der Vorbehaltszeit eine Verbandsstraftat begangen wird und damit die Erwartungen in den Vorbehalt nicht erfüllt werden oder wenn das Unternehmen gegen Auflagen und Weisungen gröblich oder beharrlich verstößt.

VIII.   Ausweitung auf Auslandsstraftaten

Da eine Verbandsstraftat auf Straftaten abstellt, durch die Verbandspflichten verletzt werden oder der Verband bereichert wurde, spielt der Tatort der strafbaren Handlung zunächst keine Rolle, soweit dadurch im Inland bestehende Verbandspflichten verletzt werden. Das VerSanG soll daher auch solche Taten erfassen, auf die das deutsche Strafrecht nicht anwendbar ist, wenn die Tat auch in Deutschland eine Straftat wäre und sie am Begehungsort mit Strafe bedroht ist, wenn der Verband zur Zeit der Tat seinen Sitz in Deutschland hat. Eine „long-arm jurisdiction“ nach dem Vorbild des US-FCPA oder des UK Bribery Act ist damit aber nicht verbunden, da der Anwendungsbereich des VerSanG auf Unternehmen mit „Sitz“ in Deutschland beschränkt ist.

Neu eingeführt wird zudem die Regelung, dass bei erwarteter Sanktionierung im Ausland von der Durchführung eines Verfahrens im Inland abgesehen werden kann, wenn die in Deutschland zu erwartende Sanktion nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder es keiner Einwirkung auf den Verband zur Verteidigung der Rechtsordnung im Inland mehr bedarf. Damit eröffnet das VerSanG die formale Möglichkeit, Sanktionen ausländischer Verfolgungsbehörden zu berücksichtigen, um eine Doppelsanktionierung („double jeopardy“) zu vermeiden. Diese Regelung ist zu begrüßen, da außerhalb der EU der Grundsatz des „ne bis in idem“ keine Anwendung findet. Insbesondere im Rahmen der – zunehmenden – internationalen Kooperation von Strafverfolgungsbehörden wäre die Regelung von erheblicher Bedeutung.

IX.   Einführung eines Verbandssanktionenregisters

Rechtskräftige Entscheidungen über die Verhängung von Verbandssanktionen oder Verbandsgeldbußen sollen zukünftig in ein beim Bundesamt für Justiz zu führendes Register eingetragen werden. Dabei sind neben den Daten, die zur Identifizierung des Verbandes nötig sind, auch die Verbandsstraftat oder Ordnungswidrigkeiten und die angewandten Vorschriften zu bezeichnen. Unbeschränkte Auskunft aus dem Register sollen allerdings nach der jetzigen Entwurfsfassung nur Behörden und Gerichte auf ausdrückliches Ersuchen erhalten. Eine Auskunft an die Allgemeinheit („naming and shaming“), wie im jüngsten Entwurf zur Änderung des GwG für das Transparenzregister vorgesehen, enthält der Entwurf des VerSanG hingegen nicht.

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