Compliance & Investigations

Der Koalitionsvertrag 2018 – Compliance & Investigations

Nach zähen Verhandlungen haben sich Union und SPD auf einen Koalitionsvertrag verständigt. Das 177 Seiten starke Papier trägt den vielversprechenden Namen: „Ein neuer Aufbruch für Europa, eine neue Dynamik für Deutschland, ein neuer Zusammenhalt für unser Land“. Nachdem Union und SPD bereits nach der Bundestagswahl 2013 ein „Unternehmensstrafrecht für multinationale Konzerne“ prüfen wollten, sieht der Koalitionsvertrag auf Seite 126 nun Vorhaben mit weitreichenden Regelungen zu Unternehmenssanktionen bei Rechtsverstößen vor. In diesem Artikel wollen wir Sie über die geplanten wesentlichen Änderungen in dem Bereich Compliance & Investigations kurz informieren.

1. Abschaffung des Opportunitätsprinzip bei Verfahren gegen Unternehmen

„Bislang liegt es im Ermessen der zuständigen Behörde, ob auch das betreffende Unternehmen verfolgt wird. Durch die Abkehr vom Opportunitätsprinzip des bislang einschlägigen Ordnungswidrigkeitenrechts sorgen wir für eine bundesweit einheitliche Rechtsanwendung.“

Gleiss Lutz Kommentar
Die Abkehr vom Opportunitätsprinzip hin zum Legalitätsprinzip deutet nicht unbedingt auf die Einführung eines Unternehmensstrafrechts hin. Jedenfalls wird klargestellt, dass eine (alleinige) Anwendung des im Ordnungswidrigkeitenrecht geltenden Opportunitätsprinzips in Zukunft nicht mehr erfolgen soll. Das Legalitätsprinzip verwehrt es den zuständigen Behörden weitgehend, von Bußgeldverfahren nach pflichtgemäßem Ermessen abzusehen, und verpflichtet sie einzuschreiten und Ermittlungen aufzunehmen. Hierdurch soll die Gleichförmigkeit der Rechtsanwendung gewährleistet werden.

In der Praxis dürfte sich diese Änderung zunächst in den Regionen Deutschlands auswirken, die von der Unternehmensverfolgung bislang weitgehend abgesehen haben. Nach unseren Erfahrungen hatten die meisten Staatsanwaltschaften eine Verfolgung von Unternehmen aber ohnehin auf ihrer Agenda und verhängten – unter Geltung des Opportunitätsprinzips – Bußgelder und Verfallsanordnungen in Millionenhöhe. Sehr viel problematischer wäre es, wenn die Aussage so gemeint sein soll, dass Unternehmen selbst dann verfolgt werden sollen, wenn sie die Behörden von sich aus über Fehlverhalten informieren und mit diesen vollumfänglich kooperieren. In solchen Fällen erscheint es in der Regel nicht gerechtfertigt, gegen das Unternehmen Sanktionen zu verhängen.

2. Klare Verfahrensregelungen und spezifische Regelungen über Verfahrenseinstellungen

„Durch klare Verfahrensregelungen erhöhen wir zudem die Rechtssicherheit der betroffenen Unternehmen. Zugleich werden wir spezifische Regelungen über Verfahrenseinstellungen schaffen, um der Justizpraxis die notwendige Flexibilität in der Verfolgung einzuräumen.“

Gleiss Lutz Kommentar
Das Ordnungswidrigkeitenrecht gibt Stand heute kaum Hinweise darauf, wie die Sanktionierung eines Unternehmens konkret zu bemessen und auszugestalten ist. Es regelt ausdrücklich nur den Bußgeld- oder Einziehungssbescheid. Die heute oftmals mögliche Verfahrensbeendigung im Einvernehmen zwischen der Verfolgungsbehörde und dem Unternehmen wurde gesetzlich nicht im Einzelnen geregelt und erfordert Verhandlungs- und Kommunikationsgeschick.

Diese Situation soll künftig für den Bereich der Wirtschaftskriminalität geändert werden. Es sollen klare Verfahrensregeln geschaffen werden, insbesondere auch für eine flexible Verfahrenseinstellung. Genauere Details gibt der Koalitionsvertrag nicht. Die formulierten Ziele könnten aber auf die Einführung von verfahrensrechtlichen Instrumentarien vergleichbar mit den insbesondere aus dem angelsächsischen Raum bekannten Deffered Prosecution Agreements (DPAs) oder Non-Prosecution Agreements (NPAs) hindeuten. Solche Vereinbarungen geben den Verfolgungsbehörden die Möglichkeit, die Verfolgung einzustellen bzw. aufzuschieben, unter der Bedingung dass das Unternehmen eine Reihe von Auflagen erfüllt. Dazu zählen regelmäßig die Zahlung eines Bußgeldes und/oder einer Vorteilsabschöpfung, das Einräumen eines bestimmten Sachverhalts zu den Verstößen, die fortwährende Kooperation mit der Verfolgungsbehörde und die Verbesserung des bestehenden Compliance Management Systems, um gleichartige Verstöße künftig zu vermeiden. Teilweise wird auch die Bestellung eines Compliance-Monitors mit US-Behörden vereinbart, der über einen bestimmten Zeitraum die Compliance-Bemühungen des Unternehmens überwacht. Beim Abschluss von DPAs wird die Bestellung eines solchen Monitors zunehmend die Regel (so z.B. aktuell auch bei VW).

Mit der Einführung eines solchen Instrumentariums würde Deutschland im internationalen Vergleich aufschließen. Auch Frankreich hat mit dem Sapin II-Gesetz kürzlich die Möglichkeit sogenannte Convention judiciaire d’intérêt public (CJIP) zu schließen, eingeführt, die einem DPA US-amerikanischer Prägung ähneln. Es gab hierzu bereits einen praktischen Anwendungsfall in Frankreich (vgl. CJIP zwischen HSBC Private Bank Suisse SA und Parquet National Financier). In Großbritannien sind DPAs ebenfalls bekannt, werden jedoch aktuell vom zuständigen britischen Serious Fraud Office nur zurückhaltend angewendet.

Wenn deutschen Strafverfolgungsbehörden vergleichbare Instrumentarien zur Seite gestellt werden, wäre das zunächst zu begrüßen, da gerichtliche Verfahren vermieden werden könnten. Andererseits müssten sich deutsche Unternehmen in diesem Fall darauf einstellen, dass Verfolgungsbehörden den Abschluss von Verfahren unter Auflagen stellen werden und auch nachwirkende Pflichten der Unternehmen formulieren könnten. Ob das Konzept eines Compliance-Monitors auch in Deutschland Realität wird, scheint allerdings noch nicht ausgemacht. Eine solche „Privatisierung“ der Bewährungsaufsicht fügt sich nur schwer in unser System ein und dürfte auch verfassungsrechtliche Bedenken auslösen.

3. Deutliche Erhöhung der Geldbußen bei Rechtsverstößen: Bis zu 10% des Konzernumsatzes bei größeren Unternehmen

„Die geltende Bußgeldobergrenze von bis zu zehn Millionen Euro ist für kleinere Unternehmen zu hoch und für große Konzerne zu niedrig. Wir werden sicherstellen, dass sich die Höhe der Geldsanktion künftig an der Wirtschaftskraft des Unternehmens orientiert. Bei Unternehmen mit mehr als 100 Millionen Euro Umsatz soll die Höchstgrenze bei zehn Prozent des Umsatzes liegen.“

Gleiss Lutz Kommentar
Der heute im Ordnungswidrigkeitenrecht geltende Bußgeldrahmen von bis zu EUR 10 Mio. wird zum Teil als nicht ausreichend angesehen, um Fehlverhalten auf Unternehmensseite angemessen zu sanktionieren. Der Fokus der Verfolgungsbehörden liegt daher in größeren Fällen schon heute auf der betragsmäßig nicht begrenzten Abschöpfung von rechtswidrig erlangten Vermögensvorteilen, aus Straftaten oder Ordnungswirdrigkeiten (z.B. Aufsichtspflichtverletzungen).

Die geplante Anhebung des Bußgeldrahmens auf zehn Prozent des Umsatzes birgt das Risiko unverhältnismäßig hoher Geldbußen. Das gilt insbesondere in Fällen, in denen die finanziellen Vorteile eines Unternehmens durch das Fehlverhalten der eigenen Mitarbeiter unbestimmt oder niedrig waren.

Das Ordnungswidrigkeitenrecht würde damit an den Bußgeldrahmen des Kartellrechts anknüpfen, wo Geldbußen in Höhe von bis zu zehn Prozent des weltweiten Konzernumsatzes verhängt werden können. Dort wird heute schon vielfach kritisiert, dass die Höhe der Geldbuße ohne Rücksicht auf den wirtschaftlichen Vorteil des Unternehmens und damit in vielen Fällen unverhältnismäßig hoch festgesetzt wird. Die geplante Neuregelung dürfte in jedem Fall einen spürbaren Anstieg der Bußgeldhöhen zur Folge haben.

4. Öffentliche Bekanntmachung von Sanktionen gegen ein Unternehmen

„Die Sanktionen sollen auf geeignetem Weg öffentlich bekannt gemacht werden.“

Gleiss Lutz Kommentar
Neben der Erhöhung der Geldbußen gegen das Unternehmen und die Einführung eines schärferen Strafrechts für Manager soll auch die öffentliche Bekanntmachung von Sanktionen weiter dazu beitragen, das Bewusstsein für Compliance zu schärfen. Nach Volker Ullrich (CSU) sollen beispielsweise Sanktionen gegen börsennotierte Unternehmen, vergleichbar mit dem kürzlich eingeführten Wettbewerbsregister, in einer Datenbank gesammelt werden. Mit der Erfassung des Unternehmens oder deren Management in einer solchen Datenbank geht beim Wettbewerbsregister der mögliche Ausschluss an der Teilnahme an öffentlichen Aufträgen einher. Die öffentliche Bekanntmachung von Sanktionen dürfte erhebliche Reputationsrisiken für die betroffenen Unternehmen und  schwerwiegende Nachteile in internationalen Vergabeverfahren zur Folge haben.

5. Schaffung von gesetzlichen Vorgaben zu „Internal Investigations“

„Um Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen, werden wir gesetzliche Vorgaben für „lnternal lnvestigations“ schaffen, insbesondere mit Blick auf beschlagnahmte Unterlagen und Durchsuchungsmöglichkeiten.“

Gleiss Lutz Kommentar
Es wäre begrüßenswert, wenn es zukünftig mehr Rechtsklarheit im Zusammenhang mit dem Beschlagnahmeschutz von anwaltlichen Arbeitsprodukten im Rahmen von „Internal Investigations“ (z.B. Berichte, Interview-Protokolle) herrschte. In Deutschland gibt es bisher widersprüchliche Rechtsprechung dazu, ob und in welchem Umfang Arbeitsergebnisse interner Ermittlungen dem „legal privilege“ unterliegen. Obwohl deutsche Staatsanwälte bei der Durchsuchung von Anwaltskanzleien eher zurückhaltend sind, kann nicht davon ausgegangen werden, dass sämtliche anwaltliche Arbeitsprodukte umfassend vor Beschlagnahme geschützt sind.

Rechtssicherheit hierzu wird für die Ermittlungspraxis in Deutschland und ganz Europa wichtige Impulse setzen. Gespannt wird in diesem Zusammenhang auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Durchsuchungen bei Jones Day/Volkswagen erwartet.

6. Anreize zur Aufklärungshilfe durch „Internal Investigations“

„Wir werden gesetzliche Anreize zur Aufklärungshilfe durch ,,lnternal lnvestigations" und zur anschließenden Offenlegung der hieraus gewonnenen Erkenntnisse setzen.“

Gleiss Lutz Kommentar
Ob und in welcher Weise eine Kooperation mit Strafverfolgungsbehörden „honoriert“ wird, ist derzeit weitgehend in das Ermessen der jeweiligen Behörden gestellt. Einige Staatsanwaltschaften akzeptieren es, dass bei einer entsprechenden Kooperation die Kosten der Internal Investigations in Abzug gebracht werden können (so z.B. im Bußgeldbescheid gegen die Siemens AG vom 15. Dezember 2008). Der BGH hat jüngst entschieden, dass auch die Compliance-Bemühungen eines Unternehmens (vor und nach Tataufdeckung) zu berücksichtigen sind, wenn die Höhe des Bußgelds oder der Vorteilsabschöpfung festgesetzt wird (vgl. Urteil des BGH vom 9. Mai 2017 – 1 StR 265/16). Weitere Rechtssicherheit, mit welchen Vorteilen Unternehmen bei Kooperation und Offenlegung der Erkenntnisse aus Internal Investigations rechnen können, ist daher zu begrüßen. In diesem Zusammenhang darf aber nicht verkannt werden, dass Unternehmen nach wie vor auch die Wahl haben müssen, welche Verteidigungsstrategie im Unternehmenswohl angezeigt ist. Zudem darf eine Kooperation und Offenlegung nicht zugleich mit dem Verlust des legal privilege einhergehen, falls sich die Strategie im Laufe eines Verfahrens ändern sollte.

Auch mit diesem Vorstoß würde sich die deutsche Rechtslage der US-amerikanischen Rechtslage annähern. Hier setzen beispielsweise die sog. Sentencing Guidelines des US-DOJ fest, mit welchen Vorteilen und Rabatten bei einzelnen Kooperationsmaßnahmen gerechnet werden kann.

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