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M&A-Update: Grundlegende Verschärfung der deutschen Investitionskontrolle verabschiedet

Das parlamentarische Verfahren für das „Erste Gesetz zur Änderung des Außenwirtschaftsgesetzes“, mit dem die deutsche Investitionskontrolle weiter verschärft wird, ist abgeschlossen. Der Bundestag hatte die 1. AWG-Novelle bereits am 18. Juni 2020 verabschiedet. Nun hat sie am 3. Juli 2020 in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause auch der Bundesrat gebilligt. Von besonderer Brisanz für die grenzüberschreitende M&A-Praxis ist die Einführung einer investitionskontrollrechtlichen Freigabe in Kombination mit einem strafbewehrten Vollzugsverbot für den Erwerb deutscher Zielunternehmen, die in bestimmten sensiblen zivilen Bereichen tätig sind. Die 1. AWG-Novelle wird zeitnah in Kraft treten und kann auch laufende Transaktionen betreffen.

Umfassende Investitionskontrolle nach bisheriger Rechtslage

Die deutsche Investitionskontrolle ist im Außenwirtschaftsgesetz („AWG“) und der Außenwirtschaftsverordnung („AWV“) geregelt.

  • Die sog. sektorspezifische Investitionskontrolle gilt für (unmittelbare oder mittelbare) Erwerbe von 10 % oder mehr der Stimmrechtsanteile an inländischen Unternehmen, die in besonders sensiblen Industriebereichen, wie etwa der Herstellung und Entwicklung von Kriegswaffen und militärischer Ausrüstung sowie Kryptotechnologie, tätig sind, durch jeden ausländischen Investor. Der Vollzug solcher Erwerbsvorgänge ist von Gesetzes wegen aufschiebend bedingt durch die Erteilung der Freigabe durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie („BMWi“).
  • Unabhängig von der jeweiligen Branche unterliegen (unmittelbare oder mittelbare) Erwerbe von Stimmrechten ab bestimmen Schwellenwerten durch Nicht-EU/EFTA-Investoren der sog. sektorübergreifenden Investitionskontrolle. Das BMWi darf einen Erwerbsvorgang dieser Art überprüfen, beschränken oder sogar untersagen, wenn er die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Zu diesem Zweck steht der Erwerbsvertrag unter der gesetzlichen auflösenden Bedingung, dass das BMWi den Erwerb untersagt. Innerhalb der sektorübergreifenden Investitionskontrolle gelten zwei unterschiedliche Schwellenwerte: Für ausländische Investitionen in Zielunternehmen, die in bestimmten zivilen Gefährdungsbereichen tätig sind, wie beispielsweise Betreiber von kritischen Infrastrukturen, gilt ein Schwellenwert von mindestens 10 % der Stimmrechtsanteile; solche Erwerbsvorgänge sind dem BMWi zu melden („Meldepflichtige Erwerbe“). Für alle anderen ausländischen Investitionen in deutsche Zielgesellschaften gilt ein Schwellenwert von mindestens 25 % der Stimmrechtsanteile; solche Erwerbsvorgänge sind zwar durch das BMWi überprüfbar, aber weder melde- noch freigabepflichtig.

Strafbewehrtes Vollzugsverbot

Durch die 1. AWG-Novelle wird erstmals ein Vollzugsverbot für Meldepflichtige Erwerbe eingeführt. Dabei differenziert das AWG wie folgt: Zum einen steht der rechtliche Vollzug des Erwerbs – wie bei der sektorspezifischen Investitionskontrolle – unter der gesetzlichen aufschiebenden Bedingung, dass das BMWi den geplanten Erwerb freigibt oder die gesetzlichen Prüfungsfristen abgelaufen sind. Vorher sind Rechtsgeschäfte, die dem Vollzug dienen, schwebend unwirksam. Zum anderen dürfen bis zu diesem Zeitpunkt bestimmte vollzugsbezogenen Handlungen nicht zugunsten des Erwerbers vorgenommen werden:

  • das Ermöglichen der Ausübung von Stimmrechten,
  • die Gewährung von Gewinnauszahlungsansprüchen, die mit dem Erwerb einhergehen,
  • das Überlassen unternehmensbezogener Informationen im Zusammenhang mit der die Meldepflicht auslösenden Tätigkeit des Zielunternehmens,
  • das Überlassen unternehmensbezogene Informationen, die das BMWi in einer entsprechenden Anordnung als bedeutsam für die wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland oder für die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland bezeichnet hat.

Ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot ist strafbewehrt: Wer verbotene vollzugsbezogene Handlungen vornimmt, kann mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe sanktioniert werden.

Der Kreis Meldepflichtiger Erwerbe ist durch die zahlreichen Reformen der letzten Jahre stetig größer geworden; zuletzt durch die 15. Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung („15. AWV-Novelle“). Zu den Meldepflichtigen Erwerben gehören derzeit insbesondere Erwerbe von inländischen Unternehmen, die kritische Intrastruktur betreiben oder branchenspezifische Software für deren Betrieb entwickeln oder herstellen, in bestimmtem Umfang Cloud-Computing Dienste anbieten, oder die bestimmte Produkte im Bereich Gesundheitswesen und Infektionsschutz entwickeln oder herstellen.

Vereinheitlichung des investitionskontrollrechtlichen Fristenregimes

Bisher waren die Fristen für das investitionskontrollrechtliche Verfahren jeweils eigenständig für die sektorspezifische und die sektorübergreifende Investitionskontrolle in der AWV geregelt. Mit der 1. AWG-Novelle wird das Fristenregime der Investitionskontrolle nun vereinheitlicht und auf eine gesetzliche Grundlage gestellt.

Anstatt bisher drei Monate im sektorübergreifenden Bereich hat das BMWi nun einheitlich innerhalb von zwei Monaten ab Kenntnis des Erwerbs (längstens jedoch fünf Jahre ab Signing) zu entscheiden, ob es wegen des konkreten Erwerbs eine förmliche Investitionsprüfung eröffnet. Der Kenntnis steht dabei der Eingang der schriftlichen Meldung und außerhalb der Meldepflicht der Eingang eines Antrags auf Erteilung einer Unbedenklichkeitsbescheinigung gleich.

Eröffnet das BMWi eine förmliche Investitionsprüfung gilt mit der 1. AWG-Novelle einheitlich eine Frist von vier Monaten ab Eingang der vollständigen Unterlagen. Innerhalb dieser Frist hat das BMWi dann zu entscheiden, ob es den Erwerb freigibt bzw. eine Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt, beschränkt oder untersagt. In diesem Zusammenhang regelt die 1. AWG-Novelle erstmals die Hemmung der Frist, wenn das BMWi Auskünfte oder Unterlagen zum Erwerb nachfordert. Außerdem kann das BMWi die Frist einseitig um drei Monate verlängern, wenn das Prüfverfahren besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Unabhängig davon sind auch Fristverlängerungen mit Zustimmung von Erwerber und Veräußerer möglich. Der bisherigen Praxis des BMWi, die Frist für die förmliche Investitionsprüfung nahezu uneingeschränkt und nach Belieben durch neue Auskunftsverlagen zu verlängern, werden damit zwar gewisse Grenzen gesetzt. Angesicht der neu eingeführten Flexibilisierungen dürfte die praktische Bedeutung der Vier-Monats-Frist aber weiterhin eher gering bleiben.

Dem neuen Fristenregime unterliegen auch laufende Transaktionen, wenn und soweit das BMWi erst nach Inkrafttreten der 1. AWG-Novelle von der Transaktion Kenntnis erlangt.

Neuer Prüfungsmaßstab

Im Bereich der sektorübergreifenden Investitionskontrolle ändert sich durch die 1. AWG-Novelle zudem der materielle Prüfungsmaßstab. In diesem Bereich schützt die Investitionskontrolle künftig nicht nur die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch die anderer Mitgliedstaaten sowie bei Projekten oder Programmen von Unionsinteresse (u. a. Galileo, Copernicus, Horizont 2020). Hinzu kommt, dass ausländische Investitionen bereits dann beschränkt oder untersagt werden können, wenn infolge des Erwerbs die öffentliche Ordnung oder Sicherheit “voraussichtlich beeinträchtigt“ wird. Bislang war für eine Beschränkung oder Untersagung eine tatsächliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

Bevorstehende weitere Verschärfung der Investitionskontrolle

Die 1. AWG-Novelle ist der zweite Schritt der „Reformserie“ zur deutschen Investitionskontrolle im Jahr 2020. Bereits am 3. Juni 2020 trat die 15. AWV-Novelle in Kraft, die insbesondere im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie darauf abzielte, die staatliche Kontrolle von ausländischen Investitionen im Gesundheitswesen und im Bereich des Infektionsschutzes zu verstärken (siehe für weitere Informationen hier). Als dritten und soweit bekannt letzten Schritt plant die Bundesregierung im Anschluss an die 1. AWG-Novelle eine weitere Novelle der AWV („16. AWV-Novelle“), die voraussichtlich im Herbst 2020 in Kraft treten wird.

Die wichtigsten bereits absehbaren Änderungen durch die 16. AWV-Novelle betreffen erneut Meldepflichtige Erwerbe: Die Meldepflicht wird weiter ausgedehnt und soll auch ausländische Investitionen in Unternehmen umfassen, die in sog. kritischen Technologien tätig sind. Dazu dürften voraussichtlich künstliche Intelligenz, Robotik, Halbleiter, Biotechnologie und Quantentechnologie gehören. Der Vollzug dieser Meldepflichtigen Erwerbe würde dann unter der gesetzlichen aufschiebenden Bedingung einer Freigabe durch das BMWi stehen; Vollzugshandlungen wären verboten und strafrechtlich sanktioniert. Durch diese Verschärfung des deutschen Investitionskontrollregimes soll in der Zukunft nicht nur die öffentliche Ordnung und Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland, sondern darüber hinaus auch ihre „technologische Souveränität“ gewährleistet werden.

Zudem ist zu erwarten, dass die 16. AWV-Novelle auch Regelungen zur weiteren Umsetzung der Verordnung (EU) 2019/452 vom 19. März 2019 zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Union („EU Screening Verordnung“) enthalten wird, insbesondere auch zum Kooperationsmechanismus zwischen den Mitgliedstaaten und zwischen den Mitgliedstaaten mit der Europäischen Kommission.

Gleiss Lutz Kommentar – Auswirkung auf die M&A-Praxis

Die 1. AWG-Novelle wird bereits durch die Einführung eines strafbewehrten Vollzugsverbots gravierenderen Einfluss auf die deutsche M&A-Praxis haben. Eine detaillierte Analyse investitionskontrollrechtlicher Risiken wird für ausländische Investoren wichtiger denn je, um Vollzugshindernisse, unerwartete Verzögerungen des Zeitplans oder sogar strafrechtliche Sanktionen bei Verstößen gegen das Vollzugsverbot zu vermeiden. Dabei sind nicht nur die Meldepflicht und das Vollzugsverbot selbst im Zeitplan, im Closing-Mechanismus und bei der Risikobewertung eines Meldepflichtigen Erwerbs zu berücksichtigen; vielmehr muss auch der Due Diligence-Prozess in Zukunft verlässlich so ausgestaltet werden, dass das Verbot der Offenlegung investitionskontrollrechtlich sensibler Informationen Beachtung findet. Dabei kann auf bekannte Instrumente, die z. B. auch der Einhaltung kartellrechtlicher Vorgaben dienen, zurückgegriffen werden.

Die konkrete Ausgestaltung des Vollzugsverbots mit der Flankierung durch einen entsprechenden Straftatbestand ist beachtlich. Ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot in der deutschen und europäischen Fusionskontrolle stellt „lediglich“ eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit dar und sanktioniert in der europäischen Fusionskontrolle sogar nur die Unternehmen und nicht die handelnden Personen. Demgegenüber ist das fusionskontrollrechtliche Vollzugsverbot mit seiner Bußgeldsanktion nicht auf einen definierten Katalog vollzugsrelevanter Handlungen beschränkt, sondern erfasst auch Rechtsgeschäfte, für die das AWG „nur“ die Rechtsfolge der schwebenden Unwirksamkeit anordnet. Das investitionskontrollrechtliche und das fusionskontrollrechtliche Vollzugsverbot sind also nicht deckungsgleich.

Zu beachten ist, dass sich die 1. AWG-Novelle auch auf laufende Transaktionen auswirken kann, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der entsprechenden Gesetzesänderungen noch nicht vollzogen worden sind. Die maßgebliche Rechtslage sollte daher vor Vollzug der Transaktion eingehend geprüft werden. Denn nach den bevorstehenden gesetzlichen Änderungen für Meldepflichtige Erwerbe kann nicht nur die rechtliche Wirksamkeit des Vollzugs der Transaktion auf dem Spiel stehen, sondern es besteht für die Transaktionsparteien auch ein erhebliches strafrechtliches Risiko.

Insgesamt sollten sich internationale Investoren der steigenden Anforderungen in der Investitionskontrolle bewusst sein – nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen weiteren Ländern. Wir empfehlen daher, so früh wie möglich im Transaktionszeitplan die relevanten investitionskontrollrechtlichen Risiken (weltweit) zu analysieren und entsprechende Lösungsstrategien zu entwickeln.

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