Mergers and Acquisitions

Bundesregierung startet Reformserie zur Verschärfung der deutschen Investitionskontrolle

Mit Kabinettsbeschluss vom 20. Mai 2020 hat die Bundesregierung die 15. Verordnung zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung beschlossen und damit eine Reihe zu erwartender gesetzlicher Änderungen im Jahr 2020 eingeleitet, um die Regeln zur Kontrolle ausländischer Investitionen in Deutschland weiter zu verschärfen. Die 15. AWV-Novelle steht in erster Linie im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie und zielt darauf ab, die staatliche Kontrolle von ausländischen Investitionen in solche deutschen Zielunternehmen zu verstärken, die im Gesundheitswesen und im Bereich Infektionsschutz tätig sind. Hierzu wird insbesondere die Aufgreifschwelle gesenkt, und es werden zusätzliche Meldepflichten eingeführt. Die Änderung wird in Kürze in Kraft treten und auch laufende Transaktionen in diesen Bereichen betreffen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der 15. AWV-Novelle noch nicht vollzogen sind.

Umfassende Investitionskontrolle nach bisheriger Rechtslage

Die deutsche Investitionskontrolle ist im Außenwirtschaftsgesetz („AWG“) und der Außenwirtschaftsverordnung („AWV“) geregelt. In den letzten drei Jahren war sie bereits mehrfach Gegenstand von Reformen, die allesamt auf eine strengere Kontrolle ausländischer Investitionen abzielten.

  • Die sog. sektorspezifische Investitionskontrolle gilt für (unmittelbare oder mittelbare) Erwerbe von 10 % oder mehr der Stimmrechtsanteile an inländischen Unternehmen, die in besonders sensiblen Industriebereichen, wie etwa der Herstellung und Entwicklung von Kriegswaffen und militärischer Ausrüstung sowie Kryptotechnologie, tätig sind, durch jeden ausländischen Investor. Der Vollzug solcher Erwerbsvorgänge ist von Gesetzes wegen aufschiebend bedingt durch die Erteilung der Freigabe durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie („BMWi“).
  • Unabhängig von der jeweiligen Branche unterliegen (unmittelbare oder mittelbare) Erwerbe von Stimmrechten ab bestimmen Schwellenwerten durch Nicht-EU/EFTA-Investoren der sog. sektorübergreifende Investitionskontrolle. Das BMWi darf einen Erwerbsvorgang dieser Art überprüfen, beschränken oder sogar untersagen, wenn er die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Zu diesem Zweck steht der Erwerbsvertrag unter der gesetzlichen auflösenden Bedingung, dass das BMWi den Erwerb untersagt. Innerhalb der sektorübergreifenden Investitionskontrolle gelten zwei unterschiedliche Schwellenwerte: Für ausländische Investitionen in Zielunternehmen, die in bestimmten zivilen Gefährdungsbereichen tätig sind, wie beispielsweise Betreiber von kritischen Infrastrukturen, gilt ein Schwellenwert von mindestens 10 % der Stimmrechtsanteile; solche Erwerbsvorgänge sind dem BMWi zu melden („Meldepflichtige Erwerbe“). Zu den kritischen Infrastrukturen gehören derzeit Anlagen und Systeme in den Bereichen Energie, Wasser, Ernährung, Telekommunikation, Transport sowie das Finanz-, Versicherungs- und Gesundheitswesen. Für alle anderen ausländischen Investitionen in deutsche Zielgesellschaften gilt ein Schwellenwert von mindestens 25 % der Stimmrechtsanteile; solche Erwerbsvorgänge sind weder melde- noch freigabepflichtig.

Bislang gelten nur eher wenige deutsche Zielunternehmen, die im Bereich Gesundheitswesen tätig sind, als Betreiber kritischer Infrastrukturen. Dazu gehören beispielsweise Krankenhäuser, Labore, Hersteller von verschreibungspflichtigen Medikamenten und Anlagen und Systeme zu deren Verkauf sowie Hersteller von Beatmungsgeräten – jeweils ab Erreichen eines bestimmten Versorgungsgrads. Ausländische Investitionen in Zielunternehmen, die im Gesundheitswesen tätig sind, unterfallen daher bis heute in vielen Fällen nicht dem strengeren Regime für Meldepflichtige Erwerbe.

Erweiterung Meldepflichtiger Erwerbe auf bestimmte Bereiche im Gesundheitswesen und Infektionsschutz

Die 15. AWV-Novelle, die am 20. Mai 2020 von der Bundesregierung beschlossen wurde und in Kürze in Kraft treten wird, markiert den Beginn einer Reihe von Gesetzesänderungen, mit denen die Regeln zur Kontrolle ausländischer Investitionen in Deutschland verschärft und der Anwendungsbereich der Investitionskontrolle erweitert werden soll. Ausgelöst durch die aktuelle COVID-19-Pandemie, aber auch angetrieben von Befürchtungen über künftige vergleichbare Krisensituationen, ist die Bundesregierung zu der Auffassung gelangt, dass die sektorübergreifende Investitionskontrolle in ihrer aktuellen Gestalt nicht ausreicht, um die Aufrechterhaltung eines funktionierenden Gesundheitssystems in Deutschland langfristig sicherzustellen. Mit der 15. AVW-Novelle wird der Kreis Meldepflichtiger Erwerbe daher mit dem Ziel erweitert, ein breites Spektrum ausländischer Investitionen in deutsche Zielgesellschaften zu erfassen, die im Bereich Gesundheitswesen und Infektionsschutz tätig sind. Insbesondere werden die Entwicklung und Herstellung der folgenden Produkte erfasst:

  • Persönliche Schutzausrüstung;
  • Arzneimittel, die für die Gewährleistung der gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung wesentlich sind (einschließlich relevanter Ausgangs- und Wirkstoffe);
  • Medizinprodukte, die zur Diagnose, Verhütung, Überwachung, Vorhersage, Prognose, Behandlung oder Linderung von lebensbedrohlichen und hochansteckenden Infektionskrankheiten bestimmt sind;
  • In-Vitro-Diagnostika, die dazu dienen, Informationen über physiologische oder pathologische Prozesse oder Zustände oder zur Festlegung oder Überwachung therapeutischer Maßnahmen im Zusammenhang mit lebensbedrohlichen und hochansteckenden Infektionskrankheiten zu liefern.

Weitere Änderungen der Investitionskontrolle

Die Bundesregierung hat mit der 15. AWV-Novelle außerdem die Gelegenheit genutzt, den Kreis Meldepflichtiger Erwerbe um ausländische Investitionen in weitere deutsche Zielgesellschaften zu erweitern: So ist nun etwa auch der Erwerb von Unternehmen meldepflichtig, die bestimmte Dienstleistungen im Bereich staatlicher Kommunikationsinfrastrukturen (digitales Sprech- und Datenfunksystem für Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben) erbringen. Zudem wird dem BMWi die ausdrückliche Befugnis erteilt, bei seiner Prüfung ausländischer Investitionen zu berücksichtigen, ob der Erwerber unmittelbar oder mittelbar staatlich gehalten oder kontrolliert wird oder ob die fragliche Transaktion staatlich finanziert wird. Schließlich wird mit der 15. AWV-Novelle ausdrücklich klargestellt, dass auch der Asset Deal vom Erwerbsbegriff der AWV erfasst ist, was aber ohnehin bereits der ständigen Verwaltungspraxis entspricht.

Diese weiteren Änderungen stehen nicht im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie. Vielmehr greifen sie überwiegend der Umsetzung der Verordnung (EU) 2019/452 vom 19. März 2019 zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Union („EU Screening Verordnung“) vor.

Bevorstehende weitere Verschärfung der Investitionskontrolle

Die 15. AVW-Novelle ist lediglich der erste Schritt in einer Reihe von weiteren Änderungen der gesetzlichen Regelungen zur Investitionskontrolle, die in den nächsten Wochen oder Monaten erwartet werden. So ist insbesondere ein Gesetzesentwurf zur Änderung des AWG (Erstes Gesetz zur Änderung der Außenwirtschaftsverordnung) bereits vom Bundeskabinett verabschiedet worden und durchläuft derzeit das parlamentarische Verfahren. Darüber hinaus plant die Bundesregierung eine weitere Novelle der AWV, sobald das AWG geändert worden ist. Beide Änderungen werden auch weitere Details zur Umsetzung der EU Screening Verordnung enthalten.

Die wichtigsten bereits absehbaren Änderungen betreffen ebenfalls Meldepflichtige Erwerbe: Der Kreis von Transaktionen dieser Art wird weiter ausgedehnt und erfasst danach auch ausländische Investitionen in Unternehmen, die im Bereich sog. kritischer Technologien tätig sind, insbesondere künstliche Intelligenz, Robotik, Halbleiter, Biotechnologie und Quantentechnologie. Von besonderer Brisanz ist darüber hinaus, dass der Vollzug Meldepflichtiger Erwerbe zukünftig unter einer gesetzlichen aufschiebenden Bedingung einer Freigabe durch das BMWi stehen soll, welche durch ein Vollzugsverbot flankiert wird. Ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot soll zudem unter Strafe gestellt werden.

Außerdem soll der Entscheidungsspielraum des BMWi substantiell erweitert werden: Ausländische Investitionen im Bereich der sektorübergreifenden Investitionskontrolle können demnach bereits dann beschränkt und untersagt werden, wenn infolge des Erwerbs die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines anderen Mitgliedstaats “voraussichtlich beeinträchtigt“ wird. Derzeit ist für eine Beschränkung oder Untersagung eine ernsthafte Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung der Bundesrepublik Deutschland erforderlich.

Gleiss Lutz Kommentar – Auswirkung auf die M&A Praxis

Die am 20. Mai 2020 verabschiedete 15. AWV-Novelle wird erhebliche Auswirkungen auf die grenzüberschreitende M&A-Praxis haben, soweit deutsche Zielunternehmen aus den Bereichen Gesundheitswesen und Infektionsschutz involviert sind. Erwerbe von Zielunternehmen, die bestimmte Impfstoffe, Arzneimittel (einschließlich Ausgangs- und Wirkstoffe) und Medizinprodukte zur Behandlung hochansteckender Infektionskrankheiten entwickeln oder herstellen, unterliegen nun den Prüfungsbefugnissen des BMWi, sobald die Schwelle von 10 % der Stimmrechtsanteile erreicht oder überschritten wird. Darüber hinaus müssen solche Transaktionen dem BMWi gemeldet werden. Das BMWi wird auf diese Weise auch über den Erwerb kleinerer Minderheitsbeteiligungen an vielen deutschen im Gesundheitswesen und Infektionsschutz tätigen Unternehmen Kenntnis erlangen und diese überprüfen können. Es ist dabei zu erwarten, dass das BMWi auch seine Verwaltungspraxis in dieser Hinsicht weiter verschärfen wird und von seinen Einschränkungs- und Untersagungsbefugnissen in den Bereichen Gesundheitswesen und Infektionsschutz verstärkt Gebrauch machen könnte. Vor diesem Hintergrund wird es für die M&A-Praxis in den Bereichen Gesundheitswesen und Infektionsschutz erforderlich sein, die konkrete Geschäftstätigkeit des deutschen Zielunternehmens, den Erwerber und mögliche Sicherheitsbedenken eingehend zu analysieren, um den Anforderungen und Risiken der deutschen Investitionskontrolle angemessen Rechnung zu tragen.

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Kreis Meldepflichtiger Erwerbe im ursprünglichen Referentenentwurf des BMWi zur 15. AWV-Novelle nochmals weiter gefasst war: Nach dem Willen des BMWi sollten nicht nur Investitionen in deutsche Zielunternehmen meldepflichtig werden, die unmittelbar die vorgenannten Produkte entwickeln oder herstellen, sondern teilweise auch solche Investitionen in Zielunternehmen, die nur mittelbar an diesen Prozessen beteiligt sind, wie etwa Lieferanten von Ausgangs- und Wirkstoffen, Vorprodukten und Komponenten für diese Prozesse. Zwar geht die 15. AWV-Novelle nicht ganz so weit. Allerdings könnten sich aus dieser Gesetzgebungshistorie durchaus Anhaltspunkte dafür ergeben, welche ausländischen Investitionen das BMWi auch außerhalb des Anwendungsbereichs Meldepflichtiger Erwerbe in Zukunft genauer unter die Lupe nehmen wird.

Während die 15. AWV-Novelle für grenzüberschreitende Transaktionen im Bereich des Gesundheitswesens und des Infektionsschutzes eine bedeutende Rolle spielt, werden die darüber hinaus anstehenden Reformen des AWG und der AWV einen wesentlich breiteren und gravierenderen Einfluss auf die M&A-Praxis im Zusammenhang mit deutschen Zielgesellschaften haben. Eine detaillierte Analyse investitionskontrollrechtlicher Risiken wird dann für ausländische Investoren wichtiger denn je, um Vollzugshindernisse, unerwartete Verzögerungen des Zeitplans und sogar strafrechtliche Sanktionen bei Verstößen gegen das Vollzugsverbot zu vermeiden. Dies gilt auch für laufende Transaktionen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der entsprechenden Gesetzesänderungen noch nicht vollzogen worden sind und daher unter die neuen, strengeren Regeln fallen. In solchen Fällen sollte die jeweils maßgebliche Rechtslage vor dem Vollzug gründlich geprüft werden. Denn nach den bevorstehenden gesetzlichen Änderungen für Meldepflichtige Erwerbe kann nicht nur der Vollzug der Transaktion auf dem Spiel stehen, sondern es besteht auch ein erhebliches strafrechtliches Risiko. Insgesamt sollten sich internationale Investoren der steigenden Hürden für unmittelbare und mittelbare Erwerbe von deutschen Zielunternehmen bewusst sein; ihnen wird empfohlen, so früh wie möglich im Transaktionszeitplan die relevanten Risiken zu analysieren und entsprechende Lösungsstrategien zu entwickeln.

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