Metaverse

Gesundheitsversorgung im Metaverse: Zum Rechtsrahmen für ärztliche Behandlungsleistungen und den Einsatz von Medizinprodukten in der Medical Extended Reality

Im Metaverse verschmelzen digitale und reale Welt. Dies gilt auch für die Gesundheitsversorgung. Klar ist, dass die Behandlung eines Avatars allein den dahinterstehenden erkrankten Patienten nicht gesund macht. Aber die erweiterte digitale Realität des Metaverse (Medical Extended Reality – MXR) bietet nach Einschätzung nahezu aller Beobachter grundlegend neue Behandlungsmöglichkeiten für die Patienten mit ihren behandelnden Ärzten, um unter Verwendung softwaregestützter Medizinprodukte in einem virtuellen Raum zu interagieren.

Dabei wirft die Gesundheitsversorgung im Metaverse neue Rechts- und Abgrenzungsfragen auf:

  • Welche Behandlungsmöglichkeiten eröffnet das Metaverse und wie lassen sich konkret bestehende „reale“ Behandlungsmöglichkeiten mit MXR-Behandlungen kombinieren?
  • Welches Recht ist bei grenzüberschreitenden MXR-Behandlungen anwendbar?
  • Wann gilt für die medizinische Interaktion zwischen Avataren ein Arztvorbehalt?
  • Wann ist eine Software, die im Metaverse zur Therapie von Patienten mittels Avataren eingesetzt wird, ein Medizinprodukt?
  • Wie lassen sich MXR-Anwendungen in das im System der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Deutschland integrieren?

Dr. Enno Burk und Dr. Xiao Chen aus unserem Berliner Büro, spezialisiert auf die Beratung zur Digitalisierung des Gesundheitswesens, geben Antworten auf diese Fragen.
 

I. Medical Extended Reality

1. Stationäre Leistungen im Metaverse

  • Unternehmen errichten bereits „Health Cities“, in denen Ärzte und Krankenhäuser Räumlichkeiten mieten und Behandlungspfade für virtuelle Patienten schaffen, die – soweit medizinisch erforderlich - in realen Behandlungen münden.
  • Die Uniklinik Essen hat im August 2022 ihr Pilotprojekt „Avatar-Hospital“ vorgestellt, eine virtuelle Klinik mit personalisierten Avataren, die Patienten lange Anfahrten, Wartezeiten und hektische Kurzberatungen ersparen soll. Dabei kann der Patient kann mit seinem Avatar mit denen der behandelnden Ärzten interagieren.
  • An sog. Digitalen Zwillingen (Digital Twins) der Patienten, einer exakten digitalen und dreidimensional dargestellten Nachbildung, können die Ärzte nicht nur die Operation vorab trainieren, sondern auch genau bestimmen, welche Behandlungsmethode für welchen Patienten den größten Erfolg verspricht.
  • Operationen können mit VR-Brillen vom Operationsteam aus verschiedenen Orten durchgespielt werden. Der Patient kann dabei sein und erhält einen besseren Einblick und Verständnis für den Eingriff, was zugleich die Einwilligung auf einem umfassenderen Kenntnisstand ermöglicht.
  • Dennoch werden die eigentlichen Eingriffe auch in Zukunft am Ende im realen Krankenhaus stattfinden müssen.

2. Ambulante ärztliche Behandlung im Metaverse  

  • Für die ambulante Interaktion zwischen Arzt und Patient eröffnet das Metaverse eine neue Plattform, etwa im Bereich der Psychotherapie. Hier bietet Virtual Reality („VR“)-Technologie im Vergleich zur bloßen Online-Sitzung ein Gefühl des „Vor-Ort-Seins“ und damit der Vertrautheit, aber auch ein größeres Sicherheitsgefühl durch die Anonymität bei der Nutzung von VR-Avataren.
  • MXR ermöglicht zudem Simulationen, die etwa in einer Konfrontationstherapie genutzt werden können, indem sich Patient*innen mit ihren Avataren in angstauslösende Situationen begeben, ohne sich konkret zu gefährden.
  • In der operativen Nachversorgung und im Bereich der Physiotherapie können im MXR Heilungsfortschritte ohne erneute Anfahrt des Patienten und durch Einsatz von KI auch mit reduziertem Personaleisatz intensiver und zugleich mit geringeren Kosten überwacht werden. Eine mit der Verwendung von Avataren einhergehende „Gamification“ von Behandlungen wird bereits jetzt erfolgreich in der Schmerztherapie eingesetzt.  

Die Übersicht in höherer Auflösung finden Sie hier.
 

3. Medizinprodukte in der Medical Extended Reality

In der MXR als virtuellem Raum ergeben sich auch Anwendungsmöglichkeiten für digitale Medizinprodukte und Medizinproduktsoftware. Software-Anwendungen sind bisher dann als Medizinprodukt zu qualifizieren,

wenn sie „intelligent“ ist, d.h. therapeutische Empfehlungen aufgrund der Messung von Vitaldaten auswerfen, die dann vom Anwender für medizinische Entscheidungen berücksichtigt werden können,

und

vom Hersteller auch mit dieser Zweckbestimmung angeboten werden.

  • Ob eine MXR-Anwendung als eigenständige Medizinprodukt-Software zu qualifizieren ist, dürfte davon abhängen, ob sich die medizinische Zweckbestimmung auf die reale Anwendung außerhalb des Metaverse bezieht. D.h. soll über den Einsatz des Produkts im MXR für die tatsächliche Behandlung des Patienten ein therapeutischer oder diagnostischer Effekt erzielt werden, wäre Metaverse-Anwendung als Medizinprodukt zu qualifizieren.
  • Zukünftig werden dabei auch Hardware-Komponenten (z.B. vernetzte Messgeräte am menschlichen Körper) mit den Komponenten im Metaverse vernetzt sein, die dann ggf. als Einheit einer Konformitätsbewertung unterzogen werden müssen.
  • Angesichts der Vielzahl möglicher Anwendungen im Metaverse und zugehöriger Produkte wird für die Klassifizierung einer MXR-Anwendung als Medizinprodukt oder Lifestyle-Produkt eine Einzelfallbetrachtung notwendig sein. Beispielsweise wird eine VR-Brille, die nicht mit gesundheitsbezogenen Claims, sondern lediglich mit ihren VR-Funktionen beworben wird, nicht dadurch zum Medizinprodukt, weil damit auch Ärzte und Patienten zu medizinischen Zwecken interagieren können.
  • Umgekehrt muss eine Medizinproduktsoftware, welche die VR-Brille als Zugangsmöglichkeit zum Metaverse voraussetzt, auch die Integration dieser Brille und ihre Eignung im Rahmen der Konformitätsbewertung der Software berücksichtigen.
  • Für Werbeaussagen zu MXR-Anwendungen mit Bezug zum deutschen Markt ist zu beachten, dass diese durch wissenschaftlich aussagekräftige Studien belegt sein müssen (sog. heilmittelwerberechtliches Strengeprinzip).

Die Übersicht in höher Auflösung finden Sie hier.


II. Welches Recht gilt in der Medical Extended Reality?

  • Auch wenn die Avatare von Arzt und Patient in einer globalen Medical Extended Reality interagieren, gelten für ärztliche Behandlungsverträge Einschränkungen bei der Rechtswahl. Für Patienten mit Aufenthaltsort in Deutschland findet auch auf Behandlungsverträge mit im Ausland ansässigen Ärzten das zwingende deutsche materielle Zivilrecht zum Patientenschutz Anwendung und kann nicht abgewählt werden.
  • Bieten in Deutschland ansässige Ärzte Behandlungen für ausländische Patienten an, ist das ausländische Behandlungsvertragsrecht grundsätzlich anwendbar, aufgrund der sogenannten Günstigkeitskontrolle allerdings dann nicht, wenn das Schutzniveau des ausländischen Rechts (bspw. im Hinblick auf die Arzthaftung) hinter dem deutschen Recht zurückbleibt.
     

III. Arztvorbehalt für die Behandlung von Avataren?

  • Die ärztliche Heilbehandlung dürfen in Deutschland nur approbierte Ärzte ausüben. Eine Behandlung von Patienten durch Nicht-Ärzte ist untersagt. Aber gilt dies auch für die Behandlung von Avataren von Patienten?
  • Eine dem Arzt vorbehaltene heilkundliche Tätigkeit liegt im realen Leben erst vor, wenn sie ärztliche bzw. medizinische Fachkenntnisse erfordert und die Behandlung – bei generalisierender und typisierender Betrachtung der in Rede stehenden Tätigkeit – gesundheitliche Schädigungen verursachen kann.
  • Deshalb stellt nicht jede „Behandlung“ eines Avatars die Ausübung ärztlicher Tätigkeit dar. Spätestens wenn im Metaverse aber Diagnosen und Therapieempfehlungen ausgesprochen werden, die darauf ausgerichtet sind, dass der hinter dem Avatar stehende Nutzer sie in der Realität bei der Behandlung von Erkrankungen umsetzt, wird von einer Ausübung von Heilkunde auszugehen sein, sodass hierfür auch im Metaverse ein Arztvorbehalt eingreift.
  • Nach der Liberalisierung des ärztlichen Berufsrechts gilt jedoch auch für Behandlungen im Metaverse, dass diese möglich sind, wenn ärztliche Sorgfaltsstandards gewahrt und die Patienten über die Besonderheiten der ausschließlichen MXR-Beratung aufgeklärt werden.
     

IV. Integration von MXR-Komponenten in das System der deutschen gesetzlichen Krankenversicherung

  • MXR-Komponenten lassen sich insbesondere im Rahmen von besonderen Versorgungsverträgen nach § 140a SGB V in die ambulante vertragsärztliche Versorgung integrieren. Voraussetzung ist, dass sowohl die teilnehmenden Versicherten als auch die teilnehmenden Ärzte technisch in der Lage sind, im Metaverse zu interagieren. Dabei ist auch zu beachten, dass besondere Versorgungsverträge mit digitalen Medizinprodukten auch ohne Ärzte umsetzbar sind.
  • Denkbar wäre deshalb schon heute eine MXR-Anwendung unter Einsatz von KI-Anwendungen, die einem Avatar eines Versicherten ermöglicht, mit einem KI-basierten Arzt im Metaverse zu kommunizieren, etwas Krankheitssymptome zu schildern und hierauf basierend Therapievorschläge zu erhalten (§140a Abs. 4a SGB V). Nur grundlegende diagnostische Feststellungen sind noch zwingend dem Arzt vorbehalten.
  • Auch digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs), also digitale Medizinprodukte, die vom BfArM für die Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung zugelassen wurden, und zumeist als App auf dem Smartphone aufgerufen werden, können mit MXR-Komponenten kombiniert werden (zum DiGA-Verzeichnis des BfArM: siehe hier).
  • Zudem können sich gesetzliche Krankenkassen gemäß § 68a SGB V an der Förderung digitaler Innovationen – insbesondere auch von MXR-Anwendungen – durch eine fachlich-inhaltliche Kooperation und durch den Erwerb von Anteilen am Investmentvermögen beteiligen.
  • Allerdings müssen auch die im Metaverse ausgetauschten Gesundheitsdaten geschützt sein. Für das deutsche Gesundheitssystem gelten dabei besondere strenge Anforderungen an den Sozialdatenschutz etwa im Bereich der Telemedizin, die für MXR-Komponenten zwar nicht direkt übertragbar sind. Mit fortschreitender Marktrelevanz von MXR-Anwendungen werden aber auch hierfür spezifische Sicherheitsanforderungen formuliert werden, wie dies in den letzten Jahren für die Zertifizierung von Telemedizin-Plattformen im deutschen Gesundheitssystem zu beobachten war.
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