Energie & Infrastruktur

Erneutes Nachspiel für die Scheibenpacht – Schritt für Schritt zur Umlagepflicht

Überraschend wurde die aktuelle EEG-Novelle in der letzten Woche noch um eine Neuregelung mit großer wirtschaftlicher Bedeutung für betroffene Wirtschaftsunternehmen ergänzt. Unternehmen, die sich derzeit mit dem zuständigen Übertragungsnetzbetreiber über die Umlagepflicht in Scheibenpachtmodellen streiten, erhalten ein „Recht zum Vergleich“. Das (vermeintliche) Weihnachtsgeschenk für die Unternehmen ist ein neues Kapitel in der bereits langen Geschichte der Scheibenpacht. 

Was ist der Hintergrund der Neuregelung?

Bei einer Scheibenpacht wird ein Kraftwerk in Leistungsscheiben aufgeteilt, die an einzelne Unternehmen verpachtet werden und in denen die Pächterunternehmen ihren eigenen Strom produzieren. Seit einigen Jahren ist umstritten, ob und unter welchen Voraussetzungen die in den Kraftwerksscheiben erzeugten und anschließend selbst verbrauchten Strommengen unter das Privileg der Eigenerzeugung bzw. Eigenversorgung fallen, sodass keine EEG-Umlage zulasten der Unternehmen anfällt. Die Bundesnetzagentur meldete im Jahr 2015 grundsätzliche Bedenken gegen die Umlagefreiheit der Scheibenpacht an. Die dadurch geschaffene Rechtsunsicherheit hatte den Gesetzgeber bereits mit dem EEG 2017 dazu bewogen, mit einem Leistungsverweigerungsrecht die Umlagefreiheit abzusichern. Unternehmen können danach die Zahlung der EEG-Umlage für die Vergangenheit und Zukunft verweigern, wenn sie sich rechtzeitig bei ihrem Übertragungsnetzbetreiber gemeldet haben. Bei dieser Meldung, die bis zum 31. Dezember 2017 abzugeben war, mussten alle wesentlichen Angaben zur Scheibenpacht an die jeweils zuständigen Übertragungsnetzbetreiber übermittelt werden.

Diese Meldung entpuppte sich vielfach als Eigentor. Die Übertragungsnetzbetreiber fingen an, die Scheibenpachtmodelle intensiv zu prüfen und EEG-Zahlungsansprüche seit dem Jahr 2000 zu erheben. Obwohl der Gesetzgeber mit dem EEG 2017 Rechtsfrieden schaffen wollte, nahmen die Übertragungsnetzbetreiber die Einführung des Leistungsverweigerungsrecht und die gemeldeten Daten zum Anlass, eine Überprüfungs- und Klagewelle loszutreten.

Wie sieht die Neuregelung aus?

Mit der am 17./18. Dezember 2020 verabschiedeten Neuregelung in § 104 Abs. 5 EEG unternimmt der Gesetzgeber einen erneuten Versuch, Rechtsfrieden zu schaffen. Den Unternehmen wird für die streitigen Strommengen das Recht eingeräumt, vom Übertragungsnetzbetreiber einen Vergleich über die Frage der EEG-Umlage-Last zu verlangen. Dieses Recht steht den sog. Elektrizitätsversorgungsunternehmen zu, also den Unternehmen, die – aus der Sicht des Übertragungsnetzbetreibers – den Strom an die Pächter geliefert haben. Ein solches zivilrechtlich durchsetzbares Recht auf einen Vergleich besteht konkret dann, wenn

  • es einen Streit oder eine Ungewissheit über das Vorliegen der Voraussetzungen des Leistungsverweigerungsrechts zwischen dem Übertragungsnetzbetreiber und dem Unternehmen gibt,
  • noch keine rechtskräftige Gerichtsentscheidung über Auskunfts- oder Zahlungsansprüche in Bezug auf die EEG-Umlage der konkreten Scheibenpacht vorliegt und,
  • der Vergleich durch das berechtigte Unternehmen bis zum 30. Juni 2022 verlangt wird.

Inhaltlich zielt der Vergleich auf ein gegenseitiges Nachgeben ab. Denn als Mindestvergleichsinhalt sollen die betroffenen Unternehmen einerseits für die streitbefangenen Strommengen bis zum 31. Dezember 2020 eine Zahlung der EEG-Umlage verweigern können, andererseits aber anerkennen, dass sie für die Strommengen ab dem 1. Januar 2021 aus den im Jahr 2017 gemeldeten Stromerzeugungsanlagen die volle EEG-Umlage zu zahlen haben.

Was bedeutet die Neuregelung für die betroffenen Unternehmen?

Die genauen Folgen für Scheibenpächter und -verpächter müssen im Einzelfall geprüft werden. Aber: Auch wenn das Recht zum Vergleich zunächst wie ein (Weihnachts-)Geschenk des Gesetzgebers erscheinen könnte, so ist nicht ausgeschlossen, dass sich Unternehmen dagegen entscheiden.

  • Die Unternehmen haben bei Ausübung dieses Rechts etwas zu verlieren, nämlich die EEG-Umlagefreiheit ihrer Scheibenpacht ab dem 1. Januar 2021. Das ist nicht selbstverständlich. Der Gesetzgeber sieht weiterhin das Leistungsverweigerungsrecht des § 104 Abs. 4 EEG vor, sodass weiterhin die Möglichkeit besteht, auch in Zukunft die Zahlung der EEG-Umlage zu verweigern. Mit dem Vergleich nach Abs. 5 n.F. kann diese Möglichkeit nicht mehr genutzt werden.
  • Auch die Neuregelung erscheint nicht völlig frei von Fallstricken. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale fügen sich nicht nahtlos in das EEG ein, und die Rechtsfolgen sind nur in Grundzügen geregelt; dies führt dazu, dass sich so manches Detail wohl erst in den Vergleichsverhandlungen mit den Übertragungsnetzbetreibern klären lassen wird. Hier ist unter anderem zu bedenken, dass betroffene Unternehmen im Jahr 2017 häufig hilfsweise verschiedene Erzeugerkonstellationen gemeldet haben, um auf der sicheren Seite zu liegen. In einem Vergleich müssten sämtliche Konstellationen abgedeckt sein.
  • Rechtssicherheit wird durch die Neuregelung (noch) nicht erreicht. Der gesetzliche Anspruch auf den Scheibenpacht-Vergleich hängt zunächst noch von der beihilferechtlichen Genehmigung der Kommission ab, und die Kommission könnte Einschränkungen vorsehen, die bei einem Vergleich zu berücksichtigen sind. Ob es zu der Genehmigung kommen wird und wie Einschränkungen aussehen könnten, ist derzeit offen. In der Gesetzesbegründung weist das federführende Bundeswirtschaftsministerium jedenfalls darauf hin, dass der gesetzliche Stichtag 31. Dezember 2020 einer beihilferechtlichen Begründung bedürfe. Zudem steht das Recht auf den Vergleich den Unternehmen bis zum 30. Juni 2022 zur Verfügung. Unternehmen könnten sich daher auch dafür entscheiden, sich durch den Übertragungsnetzbetreiber verklagen zu lassen und/oder erstinstanzlichen Entscheidungen abzuwarten, um dann (erneut) zu bewerten, ob das Recht zum Vergleich ein echtes Weihnachtsgeschenk im Jahr 2020 war.

Was ist das erste Fazit von Gleiss Lutz?

Der Gesetzgeber bringt Unternehmen in eine sehr komplexe Entscheidungssituation. Sie müssen die Erfolgsaussichten möglicher Gerichtsprozesse und das finanzielle Risiko für die Vergangenheit (inkl. hoher Zinslasten) sowie die möglichen Ersparnisse für die Zukunft bewerten und zu einer Gesamtentscheidung zusammenführen. Eine zentrale Rolle spielt hierbei die rechtliche Ausgestaltung der konkreten Scheibenpachten, denn der Gesetzgeber erkennt mit dem EEG 2021 weiterhin an, dass es Scheibenpachten gibt, die auch in Zukunft umlagefrei sein können.

Hinzu kommt, dass Unternehmen ihre zukünftigen Energiekosten kalkulieren müssen. Das ist naturgemäß mit vielen Unsicherheiten verbunden. Angesichts hoher und weiter steigender Stromkosten und EEG-Lasten muss aber ernsthaft erwogen werden, wie eine möglichst kostengünstige Stromerzeugung in der Zukunft aussehen kann. Wichtig wird hier sein, eine sachgerechte Abschätzung zur (möglichen) Entwicklung der Rechtslage vorzunehmen und dabei auch weitere energieregulatorische Gestaltungsspielräume in die Einschätzung einzubeziehen. Das Energierecht sieht weitere Privilegierungen vor, die insbesondere für energieintensive Unternehmen interessant sein können.

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