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Erhöhte Haftungsrisiken für Quasi-Hersteller

Auf Grund eines aktuellen Urteils des EuGH drohen Markeninhabern insbesondere im White Label-, Private Label- und Handelsmarkengeschäft künftig höhere Haftungsrisiken. Dies ist dann der Fall, wenn ein die Marke tragendes Produkt fehlerhaft ist und zu Sach- oder Personenschäden führt. Denn bislang genutzte Schutzmechanismen, um die Haftung als sogenannter „Quasi-Hersteller“ zu vermeiden, hat der EuGH kürzlich zurückgewiesen. Für viele Unternehmen entsteht damit rechtlicher Handlungsbedarf.

 

Produkthaftung im White Label-/Handelsmarkengeschäft

Das White Label-, Private Label- oder Handelsmarkengeschäft ist weit verbreitet. Hier lassen Markenhersteller Produkte von Zulieferern fertigen, die dann die eingeführte und renommierte Marke des Markenherstellers tragen und unter diesen vertrieben werden. Dass das Produkt nicht beim Markenhersteller, sondern extern gefertigt wurde, wird dabei meist nicht in der selben auffälligen Gestaltung offengelegt, mit der die Marke des Markenherstellers auf dem Produkt angebracht wird.

Jedenfalls bei Verbraucherprodukten, aber auch bei bestimmten sektoral regulierten Produkten (z.B. Produkten, die der Maschinenrichtlinie unterliegen) fordern die einschlägigen produktsicherheitsrechtlichen Vorschriften die Angabe, wer das Produkt hergestellt hat und bereit ist, gegenüber den Produktsicherheitsbehörden die Herstellerverantwortung zu übernehmen. In der Praxis wird häufig die Marke des Markenherstellers groß und prominent auf dem Produkt platziert, während die Angabe des Herstellers deutlich weniger prominent auf das Produkt gedruckt wird, sei es entweder unter ausdrücklicher Einordnung als Hersteller oder aber mit dem Zusatz „hergestellt für“, gefolgt vom Namen des Markeninhabers. Gelegentlich findet sich auch eine unkommentierte Angabe von Kontaktdaten.

Nach dem deutschen Produkthaftungsrecht haftet für Produktfehler im Sinne des Produkthaftungsgesetzes („ProdHaftG“) auch derjenige als Hersteller, der sich durch das Anbringen seiner Marke als Hersteller ausgibt (sogenannter „Quasi-Hersteller“, § 4 Abs. 1 S. 2 ProdHaftG). Kommt es zu Sach- oder Personenschäden auf Grund von Produktfehlern (§ 3 ProdHaftG), so haftet der Markeninhaber dann neben dem tatsächlichen Hersteller. Das kann dann problematisch sein, wenn es für Geschädigte einfacher ist, den Markeninhaber als den tatsächlichen Hersteller in Anspruch zu nehmen, beispielsweise, weil der tatsächliche Hersteller wie sehr häufig im – oft außereuropäischen – Ausland sitzt oder der Markeninhaber solventer ist als der tatsächliche Hersteller.

Dieses Haftungsrisiko hat in der Praxis zur Entwicklung verschiedener Ausweichstrategien geführt. Ihnen gemeinsam ist der Versuch, den Rechtsschein, den die Anbringung der Marke setzt, nämlich, dass der Markeninhaber zugleich Hersteller ist, durch die Angabe des tatsächlichen Herstellers zu zerstören. Der dahinterstehende Gedanke war, dass eine Haftung als Quasi-Hersteller dann nicht gerechtfertigt ist, wenn der tatsächliche Hersteller ausdrücklich angegeben wurde. Daher finden sich in der Praxis häufig die bereits erwähnten Doppelangaben von tatsächlichem Hersteller und Markeninhaber, oft verknüpft durch das „hergestellt für“. Gelegentlich wird auch, wenn es aufgrund von Marketingerwägungen oder wegen der Art und Weise der Gestaltung des Produkts nicht opportun erscheint, den tatsächlichen Hersteller auf dem Produkt selbst gut sichtbar zu nennen, der tatsächliche Hersteller nur in begleitenden Unterlagen wie etwa Bedienungsanleitungen, Beipackzetteln, Konformitätserklärungen oder ähnlichen Dokumenten genannt.

 

Die EuGH-Entscheidung: Keine Ausweichstrategien mehr möglich – Markeninhaber haftet als Quasi-Hersteller

Diese gelebte Praxis wird aufgrund des Urteils des EuGH vom 7. Juli 2022 – C-264/21 – Koninklijke Philips NV zukünftig nicht mehr funktionieren. Die Entscheidung des EuGH ist für die Auslegung des Produkthaftungsgesetzes maßgeblich, weil das Produkthaftungsgesetz die Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG umsetzt und die gesetzliche Definition des Quasi-Herstellers in § 4 Abs. 1 Satz 2 ProdHaftG eine wortwörtliche Wiedergabe der Definition des Quasi-Herstellers in Art. 3 Abs. 1 der Produkthaftungsrichtlinie ist.

Im Fall des EuGH ging es um eine Kaffeemaschine, die zwei sehr bekannte Marken, zum einen den Namen eines bekannten niederländischen Unternehmens und zum anderen den Namen eines bekannten Unternehmens für Kaffeemaschinen, trug. Die Maschine wurde in Rumänien von einer Tochtergesellschaft der Gesellschaft hergestellt, die Inhaberin beider Marken war. Auf der Kaffeemaschine fand sich neben der Marke des bekannten Unternehmens für Kaffeemaschinen eine italienische Adresse und der Aufdruck „Made in Romania“. Konkrete Hinweise außer der Angabe des Namens des niederländischen Unternehmens darauf, dass dieses Unternehmen Hersteller der Kaffeemaschine sein könnte, fanden sich nicht. Nachdem die Kaffeemaschine in Brand geraten war und bei einem finnischen Verbraucher einen Sachschaden verursacht hatte, nahm der Versicherer des Verbrauchers die niederländische Gesellschaft vor den finnischen Gerichten auf Schadensersatz in Anspruch. Den Obersten Gerichtshof Finnland interessierte vor allem die Frage, ob alleine der Umstand, dass ein Unternehmen eine von ihm gehaltene Marke auf einem Produkt anbringt, dieses Unternehmen zum Quasi-Hersteller macht, oder ob vielmehr darüber hinaus noch weitere Kriterien erforderlich sind, um den Markeninhaber als Hersteller zu qualifizieren. Damit verbunden wollte das finnische Gericht vom EuGH außerdem wissen, ob die Angabe auf dem Produkt, dass tatsächlicher Hersteller ein anderes Unternehmen als der Markeninhaber ist, den Markeninhaber entlasten und zum Wegfall der Eigenschaft als Quasi-Hersteller führen können.

Der EuGH verneint das. Unter Berufung auf den Wortlaut von Art. 3 Abs. 1 der Produkthaftungsrichtlinie führt er aus, dass alleine der Umstand, dass eine Marke auf einem Produkt angebracht wird, die Eigenschaft als Hersteller (nämlich als Quasi-Hersteller) begründet. Der Wortlaut sehe nämlich keine Ausweichmöglichkeiten oder Relativierung durch andere Umstände als das Anbringen der Marke vor. Unter Rückgriff auf den Sinn und Zweck der Bestimmung führt der EuGH weiter aus, dass die Anbringung der Marke den Eindruck erwecke, dass der Markeninhaber am Herstellungsprozess beteiligt oder gar dafür verantwortlich war. Die Verwendung der Marke hierfür laufe darauf hinaus, dass der Markeninhaber seine Bekanntheit nutze, um das Produkt in den Augen der Verbraucher attraktiver zu machen. Deshalb müsse sich der Markeninhaber – sozusagen als Gegenleistung oder Kehrseite der Medaille – für die Nutzung der Reputation der Marke daran festhalten lassen, dass er für die Nutzung der Marke auch haftbar gemacht werden kann.

Der EuGH argumentiert auch mit dem Verbraucherschutz. Es könne dem Verbraucher nicht zugemutet werden, sich mit dem Innenverhältnis zwischen Quasi-Hersteller und tatsächlichem Hersteller auseinander zu setzen zu müssen. Denn der Verbraucher soll gerade von der Last befreit werden, den tatsächlichen Hersteller ermitteln zu müssen. Quasi-Hersteller und tatsächlicher Hersteller hafteten gleichrangig nebeneinander. Daher bleibe es bei der vollen Haftung des Quasi-Herstellers gegenüber dem Verbraucher.

 

Folgen und Ausblick

Das Urteil hat für das White Label-, Private Label und Handelsmarkengeschäft kaum zu überschätzende Auswirkungen. Denn der Markeninhaber muss künftig mit der vollen Haftung im Außenverhältnis gegenüber dem Verbraucher rechnen. Er kann sich nach der insoweit eindeutigen Positionierung des EuGH nicht mehr darauf berufen, er habe ja durch anderweitige Angaben auf dem Produkt oder begleitenden Materialien klargestellt, er sei gar nicht tatsächlicher Hersteller. Diese Rechtsprechung des EuGH steht damit im Gegensatz zur bislang wohl herrschenden Ansicht zur Definition des Quasi-Herstellers in § 4 ProdHaftG, die es für zulässig hielt, den durch die Verwendung der Marke gesetzten Rechtsschein durch die Angabe des tatsächlichen Herstellers zu zerstören.

Das führt dazu, dass künftig etliche – bislang für zulässig gehaltene – Arten der Produktgestaltung keine enthaftende Wirkung mehr haben werden. Der Markeninhaber muss damit rechnen, dass er alleine aufgrund der Nutzung seiner Marken für Produktfehler verantwortlich gemacht und in Anspruch genommen werden wird.

Das ist in mehrfacher Hinsicht problematisch:

Zum einen muss der Markeninhaber nun vertraglich sicherstellen, dass er umfassend Regress beim tatsächlichen Hersteller nehmen kann, und zwar nicht nur in rechtlicher, sondern auch in tatsächlicher Hinsicht. Das kann gerade (aber nicht nur) bei Lieferanten aus Fernost in praktischer Hinsicht problematisch sein. Der Markeninhaber trägt insoweit das Rechtsdurchsetzung- und Insolvenzrisiko. Hinzu kommt, dass die rechtssichere Gestaltung von standardisierten Klauseln komplex ist.

Zum anderen ist der Markeninhaber häufig operativ nicht auf die Inanspruchnahme als Quasi-Hersteller und den Regress bei Lieferanten hierfür aufgestellt, weil Marken häufig in Holding-Strukturen von darauf spezialisierten und häufig nicht operativ tätigen Gesellschaften gehalten werden. Neben der hier beschriebenen Haftungsfrage sind dabei auch andere rechtliche Interessen, wie z.B. steuerliche Anreize, für die Gestaltung mitentscheidend.

Darüber hinaus stellen sich auch Fragen im Hinblick auf die Anpassung des Versicherungsschutzes.

Mit unserem rund 20-köpfigen Expertenteam unseres Product Compliance Hubs und dem gelebten Full-Service-Ansatz bei Gleiss Lutz sind wir optimal positioniert, um gemeinsam mit Ihnen eine maßgeschneiderte Strategie zur Risikominimierung zu entwickeln und Sie bei der Umsetzung zu unterstützen. Melden Sie sich daher bei Interesse für einen unverbindlichen ersten Austausch gerne bei uns.

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