Healthcare und Life Sciences

Dynamik im deutschen Cannabis-Markt: Steigende medizinische Verwendung heute | Konsum zu Genusszwecken morgen

I. Der deutsche Cannabis-Markt im Sommer 2022

  • Deutschland hat sich in wenigen Jahren zu einem wichtigen Absatzmarkt für medizinisches Cannabis entwickelt.
    • Allein im Jahr 2021 wurden Cannabis-Arzneimittel zum Preis von ca. 185 Mio. Euro von Vertragsärzt*innen im System der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet, was einem Wachstum von etwas mehr als 12 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. Im Jahr 2018 betrug der Umsatz noch 74 Mio. Euro.
    • Die Anzahl der Verordnungen von medizinischem Cannabis stieg 2021 im Vergleich zu 2020 von 340.000 auf 372.000 Verordnungen pro Jahr an. Dabei entfielen fast 70 Millionen Euro auf Cannabisblüten in unverändertem Zustand und weitere 46 Millionen auf cannabinoidhaltige Arzneimittel.
    • Im Bereich der Selbstzahler und Privatpatienten liegen keine gesicherten Zahlen vor. Der Umsatz könnte sich sogar auf einen höheren Betrag als im GKV-System belaufen, da die Verordnung von medizinischem Cannabis für gesetzlich Krankenversicherte von sehr strengen Anforderungen abhängig ist, sodass auch viele gesetzlich versicherte Patient*innen sich Cannabis auf Privatrezept verordnen lassen und die Kosten selbst tragen.
  • Aber dem Cannabis-Markt steht ein weiterer grundlegender Umbruch in Form der Liberalisierung zu Genusszwecken bevor. Im Juni 2022 wurde eine Vielzahl von Hearings durch den Bundesdrogenbeauftragten im Hinblick auf die von der Ampel-Koalition vereinbarte Erlaubnis zum Verkauf von Cannabis zu Konsumzwecken durchgeführt und ein Gesetzgebungsvorschlag der Bundesregierung wird zum Jahresende erwartet.
  • Dabei ist gegenwärtig noch nicht sicher, ob sich die Liberalisierung tatsächlich als „Booster“ auch für den Vertrieb von medizinischen Cannabis entwickeln wird, zumal sich auch der Preisrahmen für medizinisches Cannabis, das im deutschen Krankenversicherungssystem abgegeben wird, im Juni 2022 nochmals grundlegend verändert hat.
  • Enno Burk, Dilara Puls und Xiao Chen aus dem Berliner Healthcare-Bereich von Gleiss Lutz, deren Beratungsschwerpunkt u.a. im Bereich Arzneimittel- und Betäubungsmittelrecht sowie dem gesetzlichen Krankenversicherungssystem liegt, geben einen Überblick zu den wichtigsten rechtlichen Rahmenbedingungen im Bereich des medizinischen Cannabis und fassen die sich aktuell abzeichnenden Inhalte der Liberalisierung des Cannabis zu Genusszwecken zusammen.

 

II. Rechtliche Einordnung von medizinischem Cannabis

1. Medizinisches Cannabis als Arzneimittel

Der Markt für medizinisches Cannabis ist in Deutschland über den Import, die Herstellung bis hin zur Verordnung im System der gesetzlichen Krankenversicherung und der Abrechnung der Kosten verordneter Arzneimittel streng reguliert.

  • So handelt es sich bei Cannabis auch bei Anwendung zu medizinischen Zwecken um ein dem Betäubungsmittelgesetz (im Folgenden „BtMG“) unterliegendes, nicht verkehrsfähiges Betäubungsmittel. Deshalb sind für  
    • Import nach Deutschland,
    • Großhandelsvertrieb in Deutschland,
    • Verarbeitungsschritte im Sinne des Arzneimittelgesetzes,
    • Lagerung und
    • Werbung, die auf unterschiedliche Gesetze verteilten Regelungen und Erlaubnisvorbehalte zu beachten.
  • Darüber hinaus muss medizinisches Cannabis ärztlich verordnet werden und setzt eine genaue Anamnese durch den vor Ort anwesenden Arzt und Patienten voraus.
    • Rein telemedizinische Cannabis-Erstverordnungen sind nicht möglich.
    • Die Verordnung zu Lasten des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung ist nur bei bestimmten schwerwiegenden Erkrankungen möglich. Ansonsten droht dem Arzt ein Regress.
    • Betäubungsmittelrechtlich muss es sich bei der Verordnung von medizinischem Cannabis um das „letzte Mittel“ handeln.
    • Eine Verordnung zu Genusszwecken ohne zwingende medizinische Indikation (im Regelfall chronische Schmerzbehandlung) ist ausgeschlossen.
    • Zudem muss die Versorgung durch die Krankenkasse genehmigt werden.

2. Anbau, Import, Herstellung und Vertrieb von medizinischem Cannabis – Welche Erlaubnisse sind erforderlich?

Die je nach geschäftlicher Aktivität benötigten Erlaubnisse zeigt das folgende Schaubild: 

Die Übersicht in hoher Auflösung finden Sie hier.

3. Apothekenpflicht für medizinisches Cannabis – Abgabe als Rezeptur oder Fertigarzneimittel

  • Die Abgabe von medizinischem Cannabis darf an Patient*innen nur durch eine Apotheke – auch auf Grundlage einer Versandhandelserlaubnis – und gegen Vorlage der entsprechenden Verschreibung erfolgen.
  • Das in § 21 Abs. 1 AMG normierte grundsätzlich bestehende Erfordernis einer Zulassung von Fertigarzneimitteln findet auf medizinisches Cannabis, das in Form getrockneter Blüten in Verkehr gebracht wird, keine Anwendung. Denn die Blüten werden nicht als ein Fertigarzneimittel im Voraus hergestellt, verpackt und abgegeben werden, sondern sind Ausgangsstoff zur patientenindividuellen Herstellung eines Rezepturarzneimittels in Apotheken.
  • Enthält umgekehrt ein im Voraus hergestelltes Fertigarzneimittel Wirkstoffe aus der Cannabis-Pflanze, unterliegt dies wie üblich der arzneimittelrechtlichen Zulassungspflicht.
  • Im deutschen Apothekenmarkt hat sich eine niedrige zweistellige Zahl von Apotheken mit Versandhandelserlaubnis herausgebildet, die schwerpunktmäßig Verordnungen von medizinischem Cannabis beliefern und über die erforderlichen Lieferbeziehungen mit spezialisierten Großhändlern bzw. Importeuren verfügen.

 

III. Kostenerstattung und neue Preisbildung für GKV-System seit Juni 2022

1. Gesetzliche Krankenversicherung

  • Nach § 31 Abs. 6 SGB V haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Versorgung mit medizinischem Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten. Außerdem bedarf es bei der ersten Verordnung für eine versicherte Person der Genehmigung durch die Krankenkasse, welche nur in begründeten Ausnahmefällen abgelehnt werden darf.
  • Bisher waren nach den für die Krankenkassen geltenden Preisvereinbarungen mit den Apotheken für Cannabisblüten aller Sorten im unveränderten Zustand wie auch in Zubereitungen sortenunabhängig 9,52 Euro pro Gramm abrechnungsfähig.
  • Nach dem im Juni 2022 ergangenen Schiedsspruch sollen allerdings rückwirkend zum 1. Juni 2021 abweichende Abrechnungsregeln Anwendung finden:
    • Es ist der vom BfArM mitgeteilte Herstellerabgabepreis in Höhe von 4,30 Euro pro Gramm plus Apothekenzuschläge abrechnungsfähig.
    • Da BfArM-Cannabisblüten nur in Gebindegrößen von 50 Gramm in den Markt gebracht werden und die Haltbarkeit häufig kürzer als sechs Monate ist, hat die Schiedsstelle eine Regelung zur Abrechnung von vernichteten BfArM-Cannabisblüten festgelegt:
    • Es dürfen 5 bis maximal 45 Gramm vernichtete BfArM-Cannabisblüten eines Gebindes zu 4,30 Euro je Gramm abgerechnet werden.
    • Die Apotheken sollen ihre seit dem 1. Juni 2021 nach den früheren Regelungen abgerechneten Cannabis-Rezepturen rückabwickeln und neu abrechnen.

2. Private Krankenversicherung und Selbstzahler

  • Für privat krankenversicherte Patienten besteht kein Genehmigungsvorbehalt hinsichtlich der Verordnung von medizinischem Cannabis.
  • Dennoch kann es je nach vertraglichem Tarif zur Ablehnung der Kostenübernahme kommen – bspw. wenn die Therapie im konkreten Fall nicht medizinisch notwendig ist Daneben können auch gesetzlich Krankenversicherte sich medizinisches Cannabis auf eigene Kosten verordnen lassen, wenn sie dies beispielsweise im Bereich der Palliativbehandlung anwenden wollen, bevor eine Genehmigung der Krankenkasse vorliegt, die oft erst nach mehreren Wochen erteilt wird.
  • Für die Preisbildung gelten die Vorgaben der Arzneimittelpreisverordnung für Rezepturen.
  • Der Grammpreis von Cannabisblüten in Rezepturen orientiert sich dabei grundsätzlich am günstigsten Einkaufspreis der Apotheke. Dabei sind die Einkaufspreise zwischen Großhandel und Apotheken frei verhandelbar.

 

IV. Welche Behörden sind zuständig?

1. Cannabisagentur

  • Die beim BfArM eingerichtete Cannabisagentur ist für
    • den kontrollierten Anbau, und die Ernte,
    • die Verarbeitung und die Qualitätsprüfung,
    • die Lagerung, die Verpackung und die Abgabe der in Deutschland hergestellten medizinischen Cannabisblüten, verantwortlich.
  • Die Cannabisagentur verkauft die in Deutschland hergestellten Cannabisblüten an Apotheken im eigenen Namen als Pharmazeutischer Unternehmer und Großhändler und legt daher auch den Herstellerabgabepreis der Cannabisblüten fest, der von Apotheken gezahlt werden muss.
  • Die Cannabisagentur ist aber nicht für den Import von Cannabisblüten zuständig. Import und Vertrieb importierter Cannabisprodukte erfolgen über private Arzneimittelgroßhändler und Importeure.

2. Bundesopiumstelle

Die Bundesopiumstelle ist ebenfalls beim BfArM angesiedelt und kontrolliert den Betäubungsmittel- und Grundstoffverkehr in Deutschland.

  • Die Bundesopiumstelle erteilt Ein- und Ausfuhrgenehmigungen für Betäubungsmittel (Narcotics and Psychotropics) und Grundstoffe (Precursors) aus der EU.
  • Zudem überwacht sie den Betäubungsmittel- und Grundstoffverkehr bei den Erlaubnisinhabern (Hersteller, Händler, Importeure, Exporteure, Anbauer und wissenschaftlichen Einrichtungen) und führt Inspektionen der Betriebsstätten und Lagerräume durch.

3. Landesbehörden zuständig bei Import aus Drittstaaten

  • Für die Einfuhr von medizinischem Cannabis aus Ländern aus Nicht-EU-Staaten, erteilt die zuständige Landesbehörde des Bundeslandes, in das die Einfuhr erfolgen soll, die erforderliche Einfuhrerlaubnis zur Vorlage bei den Zolldienststellen (vgl. § 72a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AMG).
  • Die Landesbehörde führt in diesem Zusammenhang auch die regelmäßig erforderliche Prüfung durch, ob bei der Herstellung im Drittland GMP Standards eingehalten werden und eine der deutschen Cannabisagentur gleichwerte Stelle den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken kontrolliert.

4. Deutschland als Importmarkt für medizinisches Cannabis

  • Für den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken in Deutschland hat die Cannabisagentur nach einem Ausschreibungsverfahren im Jahr 2019 den Zuschlag für Anbau, Ernte und Verbreitung von Cannabis zu medizinischen Zwecken über insgesamt 10,4 Tonnen verteilt auf vier Jahre an drei Unternehmen vergeben.
  • Diese Menge deckt nicht ansatzweise den jährlichen Bedarf in Deutschland. Im Jahr 2021 wurde Cannabis in Form von getrockneten Blüten und Extrakten von rund 20,6 Tonnen aus EU-Staaten wie den Niederlanden oder Drittstaaten wie Kanada importiert. Der Import hat also fast das zehnfache Volumen der jährlich in Deutschland hergestellten Cannabis-Mengen (ca. 2,6 Tonnen p.a.).
  • Das BfArM-Cannabis ist dabei günstiger als importiertes Cannabis: Der Gramm-Preis beträgt 4,30 Euro pro Gramm (bei 50 Gramm Gebinden).

 

V. Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken voraussichtlich 2023

Am 25. Oktober 2022 hat die Bundesregierung ein Eckpunktepapier beschlossen, in dem die wesentlichen Regelungen des beabsichtigten Gesetzes zur Liberalisierung des Konsums von Cannabis zu Genusszwecken beschlossen. Dieses Papier soll nun mit der EU-Kommission abgestimmt werden und im nächsten Schritt ein Gesetzentwurf vorgestellt werden. Aktuellen Verlautbarungen aus dem Bundesgesundheitsministerium zufolge soll der Entwurf Ende des ersten Quartals 2023 fertiggestellt sein, sodass er in der zweiten Hälfte des Jahres in den Bundestag eingebracht werden könnte. Um die Europa- und Völkerrechtsmäßigkeit des Vorhabens gegenüber der EU-Kommission nachzuweisen, soll parallel zu dem Gesetzentwurfsprozess ein Gutachten erstellt werden, das insbesondere zwei entscheidende Fragen klären soll: Gelingt die Eindämmung des Schwarzmarktes, ohne dass mit der Legalisierung der Konsum ausgeweitet wird? Und zweitens: Wie gut werden Kinder- und Jugendliche geschützt? Ob die Kommission dem Vorhaben „grünes Licht gibt“, gilt als offen.

Nähere Informationen zu den Eckpunkten der Bundesregierung finden Sie in unserer Mandanteninformation „Bundesregierung verabschiedet Eckpunktepapier zur Cannabislegalisierung“.

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