Öffentliches Recht

Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz

Das am 19. Juli 2022 in Kraft getretene Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz (BwBBG) soll durch gesetzlich befristete Änderungen am Vergaberecht zu einem schnelleren Ausbau des – wie es § 1 BwBBG nennt – „Fähigkeitsspektrums der Bundeswehr“ beitragen. Dies, indem Verfahren für die Vergabe öffentlicher Aufträge für die Beschaffung von Militärgütern beschleunigt werden.

 

Bundestag beschließt Gesetz zur Beschleunigung von Beschaffungsmaßnahmen für die Bundeswehr

Zur Einordnung: Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg in der Ukraine stellt eine Zäsur der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik dar. Die Frage, ob die Ausrüstung der Bundeswehr eine adäquate Bündnis- und Verteidigungsfähigkeit zulässt, schließt daran an. Die in diesem Kontext vom Bundeskanzler in der Regierungserklärung vom 27. Februar 2022 ausgerufene Zeitenwende spiegelt sich nicht nur in der Schaffung eines Sondervermögens in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr auf Grundlage des mit Wirkung zum 1. Juli 2022 neu eingeführten Art. 87a Abs. 1a GG wieder.

Am 7. Juli 2022 hat der Bundestag in einem weiteren Schritt das Gesetz zur Beschleunigung von Beschaffungsmaßnahmen für die Bundeswehr (Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz – BwBBG) beschlossen. Die darin enthaltenen Modifikationen des Vergaberechts sollen einen weiteren Schritt zur schnellen Stärkung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr darstellen. Nachfolgend gehen wir auf einige der Neuregelungen des BwBBG ein:

 

Anwendungsbereich und Befristung

Der zeitliche Anwendungsbereich des BwBBG ist nach § 9 zunächst bis zum 31. Dezember 2026 befristet und erfasst nach § 8 auch alle vor dem Inkrafttreten am 19. Juli 2022 bereits begonnenen aber noch nicht abgeschlossenen Vergabeverfahren.

Sachlich erfasst § 2 öffentliche Aufträge im Oberschwellenbereich, deren Auftragsgegenstand entweder die Lieferung von Militärausrüstung zur unmittelbaren Stärkung der Einsatzfähigkeit der Bundeswehr oder Bau- und Instandhaltungsleistungen, die in unmittelbarem Zusammenhang dazu stehen, umfasst.

Durch Annahme der Beschlussempfehlung des Wirtschaftsausschusses stellte der Bundestag zum Begriff Militärausrüstung zudem klar, dass dieser weit gefasst werden müsse, sodass u.a. Software, Rechte und Energie einbezogen werden.

 

Ausnahmen vom Gebot der losweisen Vergabe

§ 3 Abs. 1 Satz 1 sieht vor, dass über die restriktive Ausnahmeregelung des § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB hinaus mehrere Teil- oder Fachlose zusammen vergeben werden dürfen,

„wenn wirtschaftliche, technische oder zeitliche Gründe dies rechtfertigen.“

Damit hat der Gesetzgeber nicht nur einen zusätzlichen Ausnahmetatbestand geschaffen, indem er anders als im Rahmen des § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB vorgesehen auch „zeitliche Gründe“ als Rechtfertigung einer Gesamtvergabe anerkennt, ohne dass eine Dringlichkeit im Sinne des Vergaberechts vorliegen muss. Er hat auch die allgemeinen Anforderungen für eine Gesamtvergabe reduziert, indem er für alle Gründe lediglich voraussetzt, dass sie eine Gesamtvergabe „rechtfertigen“ und diese anders als bei § 97 Abs. 4 Satz 3 GWB nicht „erfordern“ müssen.

Diese Regelung schränkt das Gebot der losweisen Vergabe, dessen primärer Zweck der Schutz mittelständischer Interessen ist, erheblich ein, hebt es aber auch ganz nicht auf, obwohl die Richtlinie 2009/81/EG vom 13. Juli 2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG keine Vorgaben zur Losbildung enthält. Dies ist wohl vor dem Hintergrund des im Koalitionsvertrag formulierten Ziels der Wettbewerbsbeteiligung von KMU im Verteidigungssektor zu sehen.

 

Priorisierung marktverfügbarer Lösungen

Nach § 3 Abs. 7 sollen zur Beschleunigung der Beschaffungsvorhaben grundsätzlich im Rahmen der Markterkundung am Markt verfügbare Leistungen und Produkte zur Erfüllung der Fähigkeitsanforderungen identifiziert werden. Insofern eine nicht bereits am Markt verfügbare Leistung beschafft wird, soll die Wirtschaftlichkeitsuntersuchung auch umfassen, aus welchen Gründen eine nicht auf dem Markt verfügbare Leistung beschafft wird und ob der Zusatznutzen einer individuellen Entwicklungsleistung für die Bundeswehr die erwartbaren Mehrkosten rechtfertigt.

 

Verfahrensbeschleunigung für Nachprüfungsverfahren

Die Verfahren vor den Vergabekammern und dem Vergabesenat zur Nachprüfung von geltend gemachten Vergaberechtsverstößen sollen beschleunigt werden (in eine ähnliche Richtung gingen – ebenfalls krisenbedingt, aber für einen anderen Anwendungsbereich – die Neuregelungen im LNG-Beschleunigungsgesetz). Im Nachprüfungs- und im Beschwerdeverfahren kann die mündliche Verhandlung im Wege der Bild- und Tonübertragung stattfinden, §§ 5, 6. Weiter ist vorgesehen, dass die Vergabekammern nach Lage der Akten entscheiden können, soweit dies der Beschleunigung dient, § 5 Abs. 1. In Ausnahmefällen eröffnet § 6 Abs. 2 diese Möglichkeiten auch für die zweite (und letzte) Instanz vor dem Beschwerdegericht (Vergabesenat beim OLG).

Die Auswirkungen solcher Rechtsbehelfsverfahren, die durch solche Verfahrensbeschleunigungen abgemildert werden, können durchaus relevant sein. Laut dem 15. Rüstungsbericht des BMVg wurden z.B. im Jahr 2021 bei 1.038 vom Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr (BAAINBw) im Oberschwellenbereich durchgeführten Vergabeverfahren zwar nur elf Anträge auf Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gestellt (1,1 %) und auch in den Jahren 2014 bis 2020 insgesamt nur bei 82 von 8.926 Vergaben (0,9 %). Der Rüstungsbericht erläutert aber zugleich, dass diese Rechtsbehelfsverfahren überwiegend besonders hochvolumige und bedeutsame Vergaben betrafen und teils zu erheblichen Zeitverzügen in diesen Projekten führten.

 

Vereinfachung europäischer Beschaffungskooperationen

§ 4 dient dem Ziel, kooperative Beschaffungen mit anderen Mitgliedstaaten der EU vereinfacht durchführen zu können. So dürfen gem. § 4 Abs. 1 Auftraggeber die Teilnahme an einem Vergabeverfahren auf Bieter beschränken, die in einem Mitgliedstaat der EU ansässig sind, wenn der öffentliche Auftrag im Rahmen eines Kooperationsprogramms vergeben wird, welches mit mindestens einem anderen Mitgliedstaat der EU durchgeführt wird.

 

Verstärkte Berücksichtigung von Sicherheitsinteressen

§ 7 ermöglicht eine verstärkte Berücksichtigung von Sicherheitsinteressen im Vergabeverfahren. So rechtfertigt § 7 Abs. 2 den Ausschluss von Bewerbern oder Bietern aus Staaten außerhalb der EU.

§ 7 Abs. 1 stellt klar, dass nach § 145 Nr. 1 GWB nicht nur Beschaffungen für klassisch-institutionelle Nachrichtendienste wie den Militärischen Abschirmdienst vergaberechtsfrei sind, sondern dem funktionalen Begriff der „nachrichtendienstlichen Tätigkeit“ folgend nunmehr ausdrücklich auch alle Aufträge, die den Zwecken der Tätigkeiten des militärischen Nachrichtenwesens dienen. Interessant wird sein, wie weit diese Ausnahme künftig ausgelegt wird. Sollte diese Ausnahme für alle Teilaufgaben des breit gefächerten Führungsgrundgebiets des militärischen Nachrichtenwesens, wie es z.B. die derzeit gültige Konzeption der Bundeswehr definiert, Anerkennung finden, wären davon die mit anderen militärische Tätigkeitsfeldern teilweise eng verschränkten Aufgabenbereiche der militärischen Informationsgewinnung und Aufklärung, des Nachrichtenmanagements sowie der Militärischen Sicherheit berührt. Potentiell kommt dieser Klarstellung somit erhebliche Bedeutung zu.

 

Fazit und Ausblick

Ob mit den genannten Maßnahmen eine signifikante Beschleunigung erreicht werden kann, bleibt abzuwarten. Offen bleibt auch, welche zeitlich unbeschränkten Änderungen die für diese Legislatur angekündigte Reform des Vergaberechts mit sich bringen wird (Koalitionsvertrag, S. 33 f.). Spannend wird, ob die Neuregelungen durch das BwBBG im Einzelnen der Prüfung auf EU-Rechts-Konformität (Vereinbarkeit mit dem AEUV, mit der Richtlinie 2009/81/EG und mit den vergaberechtlichen Rechtsmittel-Richtlinien der EU) standhalten werden; Rechtsstreitigkeiten hierzu sind zu erwarten.

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