Das Einheitliche Patentgericht (EPG) hat sich rasch als beliebter Gerichtsstand in Europa etabliert. Der EPG-Report von Gleiss Lutz berichtet regelmäßig über diejenige EPG-Rechtsprechung, die für die Herausbildung des neuen einheitlichen Patentrechts und Patentprozessrechts in Europa am bedeutsamsten ist.
Im Oktober hat das Berufungsgericht erstmals ein gerichtliches Verbot in einem Hauptsacheverfahren bestätigt und dabei eine für Geschäftsführer/Vorstände wichtige Konkretisierung der Haftung vorgenommen. Daneben behandelt der EPG-Report Q3|2025 aus der Vielzahl der im 3. Quartal 2025 veröffentlichten Entscheidungen die folgenden Themen:
- Berufungsgericht konkretisiert Geschäftsführerhaftung
- Zur „Long-arm-jurisdiction“ des EPG über den UK-Teil eines europäischen Patents
- Zuständigkeit des EPG für Verletzungshandlungen durch Unternehmen außerhalb der EU
- Patentfreie Reparatur/Erhaltung vs. patentverletzende Neuherstellung
- Berufungsgericht klärt Anforderungen an Beweissicherung
- Unmittelbare Patentverletzung durch Einzelverkauf von Bestandteilen
- Berufungsgericht konkretisiert Anforderungen an Erstbegehungsgefahr bei Generika
- Widerklage: Schutz des Beklagten vor zahlungsunfähigem Kläger
- Auch 33 Hilfsanträge können noch angemessen sein
- Unzulässige Erweiterung durch Streichung eines Anspruchsmerkmals
- Keine Relevanz einer Entgegenhaltung, die ein anderes Anwendungsfeld als das Streitpatent betrifft
Berufungsgericht konkretisiert Geschäftsführerhaftung
Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen für die Haftung eines Geschäftsführers für Patentverletzungen der Gesellschaft konkretisiert (Entscheidung vom 3. Oktober 2025 - UPC_CoA_534/2024 – Belkin ./. Philips). Die bloße Stellung als verantwortlicher Geschäftsführer ist – anders als nach der deutschen Rechtsprechung – nicht ausreichend, um eine Haftung zu begründen.
Ein Geschäftsführer könne prinzipiell als Mittäter, Anstifter oder Gehilfe einer Patentverletzung der Gesellschaft haften (die von der Vorinstanz angenommene Haftung als Mittelsperson iSd Art. 63 (1) EPGÜ hatte das Berufungsgericht schon in seiner Anordnung vom 29. Oktober 2024 – UPC_CoA_549/2024 abgelehnt; s. dazu EPG-Report 11/24). Eine Haftung des Geschäftsführers komme in Betracht, wenn der Geschäftsführer von den patentverletzenden Handlungen der Gesellschaft weiß und – obwohl es ihm möglich und zumutbar ist – nicht tätig wird, um die Patentverletzung abzustellen. Voraussetzung sei aber, dass (i) der Geschäftsführer die Umstände kennt, aus denen sich eine Patentverletzung ergibt und (ii) dem Geschäftsführer auch die Rechtswidrigkeit der Benutzungshandlung bewusst ist.
Ein Hinweis des Patentinhabers genüge in der Regel nicht, auf Seiten des Geschäftsführers ein Bewusstsein von der Rechtswidrigkeit zu bejahen, wenn der Geschäftsführer Rechtsrat eines Rechtsanwalts oder Patentanwalts in Anspruch nimmt und dieser zu dem Ergebnis kommt, dass keine Patentverletzung vorliegt. Auf den eingeholten Rechtsrat könne sich der Geschäftsführer so lange verlassen, bis eine die Patentverletzung der Gesellschaft feststellende erstinstanzliche Entscheidung vorliegt.
Aus Sicht von Geschäftsführen und Vorständen ist Entscheidung zu begrüßen. Bei externen (z. B. Abmahnung) oder internen Hinweisen auf eine mögliche Patentverletzung kann eine Haftung durch Einholung eines (positiven) rechts-/patentanwaltlichen Gutachtens vermieden werden. Nach der strengeren nationalen deutschen Rechtsprechung, die das Berufungsgericht ausdrücklich ablehnt, ist dies regelmäßig nicht möglich.
Zur „Long-arm-jurisdiction“ des EPG über den UK-Teil eines europäischen Patents
Anknüpfend an die BSH/Electrolux-Entscheidung des EuGH vom 25. Februar 2025 (C-339/2022) hat die Lokalkammer Mannheim entschieden, dass das EPG nicht nur zuständig ist, die Verletzung des UK-Teils eines europäischen Patents zu beurteilen, sondern im Rahmen dieser Verletzungsklage inzident auch den Rechtsbestand beurteilen kann (Entscheidung vom 18. Juli 2025 – UPC_CFI_359/2023 – FUJIFILM ./. Kodak). Dies gelte unabhängig davon, ob der Beklagte eine nationale Nichtigkeitsklage im Vereinigten Königreich erhoben hat oder nicht. Das EPG müsse weder das Verfahren aussetzen noch die Verletzungsentscheidung unter den Vorbehalt des Rechtsbestandes stellen.
Allerdings habe die Entscheidung über den Rechtsbestand des UK-Teils des europäischen Patents nur Wirkung zwischen den Verfahrensbeteiligten (inter partes). Mit Wirkung gegenüber der Allgemeinheit (erga omnes) könne das EPG den im Vereinigten Königreich validierten Teil eines europäischen Patents nicht für nichtig erklären. Es bestehe auch kein Rechtsschutzbedürfnis für ein gesondertes Feststellungsbegehren zum Rechtsbestand, da mit der Feststellung durch das EPG keine über das Verletzungsverfahren hinausgehende Bindungswirkung erreicht werden könne.
Die Lokalkammer Mannheim befindet sich im Einklang mit der Rechtsprechung der Lokalkammer Düsseldorf, die in einem Parallelverfahren noch vor der BSH/Electrolux-Entscheidung des EuGH eine entsprechende Long-arm-jurisdiction des EPG hinsichtlich der Verletzungsfrage angenommen hatte (LK Düsseldorf, Entscheidung vom 28. Januar 2025, UPC_CFI_355/2023 – FUJIFILM/Kodak, s. dazu EPG-Report 1|2025). Auf den Rechtsbestand des UK-Teils kam es in dem Parallelverfahren vor der Lokalkammer Düsseldorf aber nicht an. In einem Spannungsverhältnis steht die Entscheidung allerdings zur Rechtsprechung der Lokalkammer Wien, die den Nichtigkeitseinwand im Rahmen der Verletzungsklage für unbeachtlich hielt, solange keine Nichtigkeitswiderklage erhoben war (Entscheidung vom 15. Januar 2025 – UPC_CFI_33/2024, s. dazu EPG-Report 1|2025).
Zuständigkeit des EPG für Verletzung des spanischen Teils eines europäischen Patents durch ein nicht in der EU ansässiges Unternehmen
Die Lokalkammer Hamburg hat die internationale Zuständigkeit des EPG für die Verletzung des spanischen Teils eines Europäischen Patents durch ein Unternehmen, das in einem Drittstaat außerhalb der EU (hier: Hongkong, China) ansässig ist, bejaht, wenn das Unternehmen einen in der EU ansässigen Bevollmächtigten i.S.d. Marktüberwachungs-VO nutzt, der aus Sicht der Lokalkammer als Mittelsperson (Art. 63 Abs. 1 S. 2 EPGÜ) anzusehen ist, und als „Ankerbeklagter“ mitverklagt wird (Anordnung vom 14. August 2025 – UPC_CFI_471/2023 – Dyson ./. Dreame u.a.).
Die Lokalkammer unterscheidet dabei wie folgt:
(i) Soweit es um die Zuständigkeit für Verletzungen eines europäischen Patents in Vertragsmitgliedsstaaten geht, ergebe sich die Zuständigkeit des EPG unter dem Gesichtspunkt einer unerlaubten Handlung aus Art. 71b Nr. 2 i.V.m. Art. 7 Nr. 2 Brüssel Ia-VO. Auf den Wohnsitz des Beklagten komme es hierbei nicht an.
(ii) Soweit es um die Verletzung von Teilen eines europäischen Patents in Staaten geht, die nicht am EPG teilnehmen (hier: Spanien), lasse sich die Zuständigkeit des EPG nicht auf diesem Wege begründen. Auch eine „Long-arm-jurisdiction“ nach Maßgabe der BSH/Electrolux-Entscheidung des EuGH sei nicht gegeben, weil sie sich auf die Sitzzuständigkeit gemäß Art. 4 Brüssel Ia-VO bezieht, die bei einem Verletzer aus einem Nicht-EU-Staat nicht herangezogen werden könne.
Um ihre Zuständigkeit dennoch zu begründen, hat die Lokalkammer den regulatorischen Rahmen des Unionsrechts herangezogen: Nach Art. 16 Abs. 1 der Produktsicherheits-VO (EU) 2023/988 dürfen (z. B. elektronische) Produkte, die unter die Verordnung fallen, in der EU nur in den Verkehr gebracht werden, wenn es einen in der Union niedergelassenen Wirtschaftsakteur gibt. Wenn weder der Hersteller noch dessen Einführer in der EU niedergelassen sind, muss der Hersteller zwingend entweder einen in der EU niedergelassenen „Bevollmächtigten“ oder „Fulfilment-Dienstleister“ (Art. 3 Nr. 12 bzw. Nr. 11 der Marktüberwachungs-VO 2019/1020) nutzen, die jeweils die Aufgaben des Herstellers wahrnehmen. Den – im konkreten Fall in Deutschland ansässigen – Bevollmächtigten, der mitverklagt war, sah die Lokalkammer als Mittelsperson (Intermediär) i.S.v. Art. 63 Abs. 1 S. 2 EPGÜ (und einer Parallelbestimmung des spanischen Rechts) an.
Die Inanspruchnahme des „Bevollmächtigten“ als Ankerbeklagten in Bezug auf Verletzungshandlungen in Spanien eröffne kraft Sachzusammenhangs (Art. 8 Abs. 1 Brüssel Ia-VO) zugleich die Zuständigkeit des EPG auch für Verletzungshandlungen des im Drittstaat ansässigen Herstellers. Für die Praxis bedeutet die – weitreichende – Entscheidung, dass es sich bei außerhalb der EU ansässigen Beklagten empfiehlt zu prüfen, ob es prozesstaktische Vorteile bringt, deren „Bevollmächtigen“ – falls vorhanden – mit zu verklagen.
Patentfreie Reparatur/Erhaltung vs. patentverletzende Neuherstellung
Die Lokalkammer München stellt klar, dass der bestimmungsgemäße Gebrauch eines patentierten Produkts, der der Erschöpfung unterliegt (Art. 29 UPCA), den Austausch von Teilen umfasst, sofern durch den Austausch die Identität des spezifischen in Verkehr gebrachten Produkts erhalten bleibt – in Abgrenzung zur Schaffung eines neuen erfindungsgemäßen Produkts (Entscheidung vom 22 August 2025 – UPC_CFI_248/2024). Die Unterscheidung zwischen einer – patentverletzenden – „Neuherstellung“ des Produkts und einer nicht-rechtsverletzenden Wartung bzw. Reparatur oder Austausch von (Verschleiß-)Teilen, die die Gebrauchsfähigkeit wiederherstellen, ist auf der Grundlage einer Abwägung der schutzwürdigen Interessen des Patentinhabers an der wirtschaftlichen Verwertung der Erfindung einerseits unter Berücksichtigung der Einzigartigkeit des patentierten Produkts und der ungehinderten Nutzung des spezifischen in Verkehr gebrachten, erfindungsgemäßen Produkts andererseits vorzunehmen. Der bestimmungsgemäße Gebrauch muss die übliche Wartung und Wiederherstellung der Gebrauchsfähigkeit umfassen, wenn die Funktionalität oder Leistungsfähigkeit des spezifischen Produkts aufgrund von Verschleiß, Beschädigung oder anderen Gründen ganz oder teilweise beeinträchtigt oder aufgehoben ist. Die bestimmungsgemäße Verwendung umfasst jedoch keine Maßnahmen, die zur Neuherstellung eines patentierten Produkts führen. Wenn der Austausch des betreffenden Teils während der Lebensdauer des Produkts normalerweise zu erwarten ist und wenn die Öffentlichkeit oder die Kunden daher vernünftigerweise davon ausgehen können, dass sie das gekaufte Produkt weiterhin oder durch das Ersatzteil mehrfach verwenden können, kann im Allgemeinen davon ausgegangen werden, dass das in Verkehr gebrachte patentierte Produkt in zulässiger Weise verwendet wird. Anders verhält es sich jedoch in Ausnahmefällen, in denen sich die technischen Wirkungen der Erfindung gerade in dem ausgetauschten Teil widerspiegeln. Das Herstellungsrecht des Patentinhabers ist nicht erschöpft, wenn eine Kopie des patentierten Produkts erstmals in Verkehr gebracht wird. Die von der Lokalkammer entwickelte Abgrenzung ist aus der deutschen Rechtsprechung bekannt (BGH, Entscheidung vom 8. November 2023 – X ZR 10/20).
Berufungsgericht klärt Anforderungen an Beweissicherung
Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an eine Beweissicherungsanordnung nach Art. 60 EPGÜ, R. 192 ff. VerfO ohne Anhörung des Antragsgegners geklärt und entschieden, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Rechtsbestands keine Voraussetzung für den Erlass ist und die Anforderungen an die Dringlichkeit geringer sind als im Fall von vorläufigen Maßnahmen (Entscheidung vom 15. Juli 2025 - UPC_CoA_2/2025 – Valinea ./. Tiru):
Im Falle eines Antrags auf Beweissicherung steht es im Ermessen des Gerichts, den Antragsgegner anzuhören (R. 194.1 VerfO). Das Gericht hat die Dringlichkeit der Beweissicherung (R. 194.2 (a) VerfO) sowie die Wahrscheinlichkeit, dass Beweismittel vernichtet werden oder aus anderen Gründen nicht mehr verfügbar sein können (R. 194.2 (c), 197 VerfO), zu berücksichtigen:
- Die Dringlichkeit entspreche nicht der Dringlichkeit, die Voraussetzung für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen ist. Denn die Verfahrensordnung verlange nicht, dass das Gericht ein unangemessenes Zuwarten bei der Beantragung eines Beweissicherungsantrags berücksichtigt, wie dies für die Anordnung einstweiliger Maßnahmen erforderlich ist (vgl. R. 211.4 VerfO). Eine Dauer von ca. zwei Monaten ließ im konkreten Fall die Dringlichkeit nicht entfallen.
- Es genüge die Wahrscheinlichkeit (R. 194.2 (c) VerfO) oder die nachweisliche Gefahr (R. 197.1 VerfO), dass Beweismittel vernichtet werden oder nicht mehr verfügbar sind; ein sicherer Beweisverlust sei nicht erforderlich. Im konkreten Fall sah das Gericht die unmittelbar bevorstehende Inbetriebnahme des zu begutachtenden Ofens als ausreichende Erschwerung der Beweiserhebung an. Im Hinblick auf technische Dokumentation ließ es das Gericht genügen, dass deren Beseitigung nicht auszuschließen war, wenn die Beschlagnahme nicht gemeinsam mit der Besichtigung des Ofens erfolgt wäre.
Die Anordnung der Beweissicherung setze – anders als die Anordnung einstweiliger Maßnahmen (s. R. 211.2 VerfO) – nicht voraus, dass der Rechtsbestand des Patents hinreichend gesichert ist. Das Gericht müsse den Rechtsbestand des Patents nicht prüfen und der Antragsteller müsse dazu von sich aus nicht vortragen. Etwas anderes gilt aufgrund der prozessualen Wahrheits- und Vollständigkeitspflicht, wenn die Vermutung des Rechtsbestands eindeutig in Frage gestellt ist, bspw. aufgrund eines erstinstanzlichen Widerrufs des Patents oder weil Stand der Technik vorliegt, der für den Antragsteller erkennbar die Entscheidung des Gerichts beeinflussen muss.
Unmittelbare Patentverletzung durch Einzelverkauf von Bestandteilen
Beim Anbieten und Liefern von Bestandteilen eines patentgeschützten Erzeugnisses stellen sich regelmäßig Fragen der Abgrenzung zwischen unmittelbarer und mittelbarer Patentverletzung. Diese Abgrenzung ist in der Praxis wichtig wegen den häufig niedrigeren Anforderungen an die Durchsetzung von Patenten gegen unmittelbare Verletzer. Die Lokalkammer Mannheim hat klargestellt, dass bereits im Anbieten oder Liefern aller Bestandteile eines patentgeschützten Erzeugnisses eine unmittelbare Patentverletzung liegt, d.h. der Patentinhaber nicht nur gegen das vollständige Erzeugnis vorgehen kann (Entscheidung vom 12. September 2025 – UPC_CFI_338/2024 – Windhager ./. bellissa HAAS). Für diese Erleichterung der Anspruchsdurchsetzung muss die erfindungsgemäße Ausgestaltung eines patentgeschützten Erzeugnisses nach der LK Mannheim gerade darauf ausgelegt sein, dass seine Bestandteile am Ort der Verwendung des Erzeugnisses ohne Hinzunahme weiterer Gegenstände auf einfache Weise zusammengesetzt werden. Auch der Einzelverkauf eines solchen Bestandteils kann damit eine unmittelbare Verletzung sein, wenn auf die Möglichkeit des Zusammensetzens mit den weiteren Bestandteilen hingewiesen wird oder das Zusammensetzen offensichtlich ist.
Berufungsgericht konkretisiert Anforderungen an Erstbegehungsgefahr bei Generika
Im Kontext der Vermarktung von Generika stellt die bloße Beantragung einer Arzneimittelzulassung durch ein Generikaunternehmen keine drohende Schutzrechtsverletzung dar; auch die Erteilung einer solchen Zulassung begründet eine solche noch nicht. Mit diesen Aussagen folgt das Berufungsgericht (Entscheidung vom 13. August 2025 – UPC_CoA_446/2025 – Boehringer Ingelheim ./. Zentiva) der Lokalkammer Lissabon (Entscheidung vom 8. Mai 2025 – UPC_CFI_41/2025 – Boehringer Ingelheim ./. Zentiva). Strenger als die Lokalkammer hat das Berufungsgericht aber entschieden, dass zusätzlich zur Arzneimittelzulassung nach dem lokalen Recht für den Vertrieb nötige weitere Maßnahmen – im konkreten Fall der nach dem anwendbaren portugiesischen Recht erforderliche Abschluss eines Verfahrens zur Preisfestsetzung und Erstattungsfähigkeit – eine Erstbegehungsgefahr begründen können. Nach Ansicht des Berufungsgerichts war für die Erstbegehungsgefahr – mehr als ein Jahr vor Patentablauf – ausreichend, dass das Generikaunternehmen mit Abschluss dieses Verfahrens bereits in der Lage, das Generikum u.a. öffentlichen Krankenhäusern anzubieten.
Widerklage: Schutz des Beklagten vor zahlungsunfähigem Kläger
Mit Verfahrensanordnung vom 3. Juli 2025 (UPC_CFI_149/2024 – Headwater Research ./. Motorola et al.) hat die Lokalkammer München entschieden, dass die Klägerin der Verletzungsklage eine Sicherheitsleistung für die von den Beklagten erhobene Nichtigkeitswiderklage zu leisten hat (Art. 69 Abs. 4 EPGÜ, R. 158.1 VerfO). Grundsätzlich sieht das EPGÜ vor, dass der Beklagte eine Sicherheitsleistung des Klägers für die Kosten beantragen kann, die der Kläger im Falle des Unterliegens möglicherweise tragen muss (Art. 69 Abs. 4 EPGÜ). Das Gericht stellte klar, dass die Beklagten im Rahmen der Nichtigkeitswiderklage trotz ihrer Klägerrolle eine Sicherheitsleistung der Verletzungsklägerin verlangen können. Andernfalls könnte die Beklagte unangemessen in ihrer Rechtsverteidigung beschränkt sein, wenn sie von der Erhebung der Nichtigkeitswiderklage mangels Aussicht auf Erstattung der damit verbundenen Kosten abgehalten würde (s auch Berufungsgericht, Anordnung vom 20.06.2025 – UPC_CoA_393/2025 – Emboline/AorticLab).
Auch 33 Hilfsanträge können noch angemessen sein
Die Lokalkammer Hamburg hat entschieden, dass auch 33 Hilfsanträge zur Verteidigung des Patents noch für „den Umständen des Falls entsprechend von angemessener Zahl“ i.S.v. R.30.1c VerfO sein können (Entscheidung vom 10. Juli 2025 – UPC_CFI_173/2024 und 424/2024 – Nera ./. Xiaomi). Ähnlich wie kürzlich die Lokalkammer Mannheim (Entscheidung vom 6. Juni 2025 - UPC_CFI_471/2023 – DISH ./. AYLO, s. Newsletter 06|2025) beschränkte sich die Lokalkammer Hamburg nicht auf eine reine Formalprüfung. Die Angemessenheit ergab sich in diesem Fall zum einen daraus, dass die Verteidigung des Patents besonders kleinteilig durch unterschiedliche Merkmalskombinationen und -konkretisierungen erfolgte, so dass die Hilfsanträge sich insgesamt auf nur zwei bis drei wesentliche Begründungslinien zurückführen ließen. Zum anderen hatte die Klägerin ihre Hilfsanträge in einer beigefügten Tabelle übersichtlich aufbereitet und daher die Handhabung für Gericht und Gegner erleichtert.
Unzulässige Erweiterung durch Streichung eines Anspruchsmerkmals
Nach Auffassung der Lokalkammer Hamburg liegt eine unzulässige Änderung im Sinne einer Zwischenverallgemeinerung (Art. 123 Abs. 2, 3 EPÜ) vor, wenn ein Begriff im Anspruchswortlaut fallen gelassen worden ist, der in der beantragten Fassung noch enthalten war (Entscheidung vom 10. Juli 2025 – UPC_CFI_173/2024 und 424/2024 – Nera ./. Xiaomi). Zwar stelle nicht jede Abweichung vom Wortlaut der ursprünglichen Anmeldeunterlagen eine unzulässige Änderung dar, wohl aber, wenn der Anspruchswortlaut dadurch über die ursprünglich offenbarte technische Lehre hinausgeht. Dies hat die Lokalkammer etwa angenommen, wenn ein beschränkendes Anspruchsmerkmal gestrichen wurde und zumindest Zweifel bestehen, ob die Fachperson die dadurch entstehende Verallgemeinerung bereits der Ursprungsoffenbarung entnehmen konnte.
Keine Relevanz einer Entgegenhaltung, die ein anderes Anwendungsfeld als das Streitpatent betrifft
Die Lokalkammer Hamburg hat die Regel aufgestellt, dass eine Entgegenhaltung, die eine vergleichbare Funktionsweise, aber ein anderes Anwendungsfeld als der Gegenstand des zu beurteilenden Patentanspruchs betrifft, kein Dokument sei, das die Fachperson bei der Suche nach der Lösung der Aufgabe des Klagepatents anziehen würde (Entscheidung vom 10. Juli 2025 – UPC_CFI_173/2024 und 424/2024 – Nera ./. Xiaomi). Die Entgegenhaltung soll dann weder neuheitsschädlich (Art. 54 EPÜ) sein, noch den Gegenstand des Patents nahelegen (Art. 56 EPÜ). Im konkreten Fall betraf der Gegenstand des Klagepatents Aufbau und Herstellung eines Leistungsempfängers zum drahtlosen Laden, während die fraglichen beiden Entgegenhaltungen als Anwendungsfeld die Einstellung der Resonanzfrequenz einer Antennenvorrichtung in einem Empfänger für die Nahfeldkommunikation hatten. Zwar könne ein Dokument auch dann neuheitsschädlich sein, wenn es sich einer anderen Aufgabenstellung als das Klagepatent widme. Die fundamental andere Aufgabenstellung halte aber die Fachperson davon ab, die Entgegenhaltung anzuziehen. In ihrer Absolutheit erscheint diese Regel jedenfalls für die Neuheitsprüfung zu eng, für die es nur darauf ankommt, ob sämtliche Merkmale des Patentanspruchs einer Entgegenhaltung zu entnehmen sind.