Arbeitsrecht

Entgelttransparenz und Entgeltgleichheit: Endspurt eines Marathons?

Am 6. März 2024 ist „Equal Pay Day“ in Deutschland, ein internationaler Aktionstag, der auf die Entgeltlücke zwischen Männern und Frauen hinweisen soll und in zahlreichen Ländern an unterschiedlichen Tagen begangen wird. Er markiert die symbolische Lohnlücke zwischen Frauen und Männern (18 %). Statistisch gesehen haben Frauen in Deutschland damit bis zum 6. März 2024 unbezahlt gearbeitet, während Männer seit Jahresbeginn für ihre Arbeit vergütet wurden. Auch nach Berücksichtigung struktureller Unterschiede zwischen den Geschlechtern wie z.B. Beruf, Qualifikation und Beschäftigungsumfang betrug die Entgeltlücke laut Statistischem Bundesamt noch 6 % in 2023. Könnte bereits der Endspurt auf dem Weg zur Entgeltgleichheit eingeläutet worden sein? Welche gesetzlichen Mechanismen des deutschen Entgelttransparenzgesetzes sowie der europäischen Entgelttransparenzrichtlinie das Vorhaben Entgeltgleichheit über die Ziellinie steuern sollen, zeigen wir in diesem Beitrag.

Das deutsche Engelttransparenzgesetz

Bereits seit Juni 2017 gilt in Deutschland das Gesetz zur Förderung der Transparenz von Entgeltstrukturen („Entgelttransparenzgesetz“ – EntgTranspG). Ziel des Gesetzes ist, das sowohl völkerrechtlich als auch europarechtlich und grundgesetzlich normierte Gebot des gleichen Entgelts von Männern und Frauen für gleiche oder gleichwertige Arbeit durchzusetzen. Konkret setzt das EntgTranspG bei der Intransparenz von Entgeltstrukturen als eine der Hauptursachen für eine ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen für gleiche oder gleichwertige Arbeit an. Die zentralen Mechanismen des EntgTranspG sind:

  • Der individuelle Auskunftsanspruch (§§ 10 ff. EntgTranspG): In Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten können Beschäftigte von ihrem Arbeitgeber Auskunft verlangen, u.a. über die Kriterien und Maßstäbe zur Festlegung des Entgelts sowie den statistischen Median des durchschnittlichen Bruttomonatsentgelts einer aus mindestens sechs Personen bestehenden Vergleichsgruppe des anderen Geschlechts. Die Auskunft soll sie in die Lage versetzen, die Einhaltung des Gebots der Entgeltgleichheit zu überprüfen.
  • (Freiwilliges) betriebliches Prüfverfahren (§§ 17 ff. EntgTranspG): Private Arbeitgeber mit mehr als 500 Beschäftigten sind aufgefordert, mithilfe betrieblicher Prüfverfahren ihre Entgeltregelungen und die verschiedenen Entgeltbestandteile sowie deren Anwendung auf die Einhaltung des Entgeltgleichheitsgebots zu überprüfen. Wenn bei einem solchen Prüfverfahren Benachteiligungen beim Entgelt wegen des Geschlechts festgestellt werden, hat der Arbeitgeber Maßnahmen zur Beseitigung der Benachteiligung zu ergreifen. Die Durchführung des Prüfverfahrens ist allerdings freiwillig.
  • Berichtspflichten für lageberichtspflichtige Unternehmen (§§ 21, 22 EntgTranspG): Lageberichtspflichtige Arbeitgeber mit mehr als 500 Beschäftigten müssen zudem einen Gleichstellungsbericht verfassen. Darin werden u.a. Maßnahmen aufgeführt, die zur Förderung der Gleichstellung der Geschlechter getroffen werden, sowie deren Ergebnisse kommuniziert. Sanktionen für den Verstoß gegen die Berichtspflicht existieren nicht. 

Evaluation des EntgTranspG durch die Bundesregierung

Seit Inkrafttreten fanden zwei gesetzlich vorgeschriebene Evaluationen der Bundesregierung in den Jahren 2019 („Evaluation 2019“) und 2023 („Evaluation 2023“) statt. In Betrieben mit mehr als 200 Beschäftigten machten nur ca. 4 % der Beschäftigten den individuellen Auskunftsanspruch geltend. Die Gründe dafür seien hauptsächlich die geringe Bekanntheit des Auskunftsanspruchs sowie Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung, z.B. bei der Bestimmung von Vergleichsgruppen. In kleineren Betrieben mit weniger als 200 Beschäftigten lässt die Evaluation 2023 einen Trend erkennen, dass diese Betriebe proaktiv Maßnahmen zur Herstellung von Entgeltgleichheit ergreifen. Die Bundesregierung gelangt im Rahmen der Evaluation 2023 insbesondere zu dem Schluss, dass zum einen die Bekanntheit des EntgTranspG gesteigert werden und zum anderen eine höhere Verbindlichkeit der Mechanismen des EntgTranspG angestrebt werden solle.

Neues aus Europa

Am 6. Juni 2023 trat die europäische Entgelttransparenzrichtlinie (EntgTransp-RL, „Richtlinie“) in Kraft. Sie ist bis zum 7. Juni 2026 in nationales Recht umzusetzen und beschäftigt aktuell das BMAS. Aus dem Ministerium wird vernommen, dass an einem vollständig neuen Gesetz gearbeitet wird, das das EntgTranspG ablösen soll. In der Evaluation 2023 hat die Bundesregierung die Neuerungen der EntgTransp-RL bereits aufgegriffen und insbesondere die größere Reichweite des individuellen Auskunftsanspruchs sowie die höhere Verbindlichkeit der Prüf- und Berichtspflichten begrüßt. Das Regelungswerk umfasst insbesondere:

  • Weitergehendes Auskunftsrecht für Arbeitnehmer (Art. 7 EntgTransp-RL): Zum einen besteht der individuelle Auskunftsanspruch nach der Richtlinie unabhängig von der Größe des Arbeitgebers. Zum anderen umfasst der Auskunftsanspruch ausnahmslos alle Entgeltbestandteile und kann neben der Entgelthöhe vergleichbarer Arbeitnehmer des anderen Geschlechts auch hinsichtlich der Entgelthöhe vergleichbarer Arbeitnehmer des eigenen Geschlechts geltend gemacht werden. Anzugeben ist dabei das durchschnittliche Entgelt der vergleichbaren Arbeitnehmer und nicht mehr der (stark kritisierte) statistische Median. 
  • Entgelttransparenz bereits für Stellenbewerber (Art. 5 EntgTransp-RL): Arbeitgeber sollen bereits vor der Beschäftigung Entgelttransparenz schaffen und haben Stellenbewerber künftig unaufgefordert über das Einstiegsentgelt der betreffenden Stelle oder dessen Spanne zu informieren. Dazu können sie z.B. die Stellenausschreibung oder Einladung zum Vorstellungsgespräch nutzen; jedenfalls muss die Information den künftigen Arbeitnehmer vor Abschluss des Arbeitsvertrags erreichen. 
  • Unterstützung durch Verbände bei Rechtsstreitigkeiten (Art. 15 EntgTransp-RL): Um Arbeitnehmern die Durchsetzung des Rechts auf gleiches Entgelt zu erleichtern, sieht die Richtlinie Möglichkeiten u.a. für Verbände, Organisationen, Gleichbehandlungsstellen und Arbeitnehmervertreter vor, sich an Gerichtsverfahren zur Erreichung der Entgeltgleichheit zu beteiligen. Eine vergleichbare Regelung findet sich im deutschen EntgTranspG bislang nicht, wurde von den Koalitionspartnern aber schon im Koalitionsvertag verankert (Prozessstandschaft).  
  • Erweiterte Berichtspflichten (Art. 9 EntgTransp-RL): Auch die Berichtspflichten sollen deutlich erweitert werden: Kleinere Unternehmen mit mindestens 100 Arbeitnehmern werden erfasst und inhaltlich geht die Berichtspflicht weiter als bislang im Rahmen des EntgTranspG.
  • Sanktionen (Art. 23 EntgTransp-RL): Die Richtlinie sieht vor, dass Verletzungen von Rechten und Pflichten im Zusammenhang mit dem Gebot der Entgeltgleichheit durch wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen zu ahnden sind, wie z.B. Geldbußen.

Die Umsetzung der EntgTransp-RL dürfte dazu beitragen, die Entgeltlücke zwischen den Geschlechtern weiter zu minimieren. Das lässt erwarten und hoffen, dass der „Equal Pay Day“ mittel- und langfristig bereits früher als am 6. März eines Jahres stattfinden wird. 

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