Am 12. September 2025 hat die Volksrepublik China ihr Schiedsgesetz im Rahmen der 17. Sitzung des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses geändert. Die überarbeitete Fassung beinhaltet die ersten wesentlichen Änderungen des chinesischen Schiedsverfahrensrechts seit mehr als dreißig Jahren und tritt am 1. März 2026 in Kraft.
Zusammenfassung
- Nach dem neuen Schiedsgesetz werden chinesische Schiedssprüche mit Auslandsbezug wie inländische Schiedssprüche behandelt und in gleicher Weise vollstreckt. Das gilt für Schiedsverfahren mit Auslandsbezug, bei denen der Schiedsort in der Volksrepublik China liegt, das Verfahren jedoch von einer ausländischen Schiedsinstitution administriert wird.
- Die Novellierung eröffnet Parteien die Möglichkeit, bei Streitigkeiten mit Schiedsort in der Volksrepublik China eine ausländische Schiedsinstitutionen zu wählen. Welche Schiedsinstitution die Parteien für ihr Verfahren wählen sollten, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls, den individuellen Präferenzen und der Verhandlungsposition ab.
- Weitere Gesetzesänderungen sind ebenfalls weitreichend und betreffen unter anderem die Rolle der staatlichen Gerichte beim einstweiligen Rechtsschutz sowie Regeln für virtuelle Schiedsverfahren.
Einführung
Am 12. September 2025 verabschiedete die Volksrepublik China die erste umfassende Novellierung ihres Schiedsgesetzes seit mehr als dreißig Jahren („Neues Schiedsgesetz“). Das Neue Schiedsgesetz tritt am 1. März 2026 in Kraft. Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die wichtigsten Änderungen, die sich aus dem Neuen Schiedsgesetz ergeben.
Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen in der Volksrepublik China
In der Volksrepublik China sind inländische Schiedssprüche direkt bei der Vollstreckungsabteilung des zuständigen staatlichen Gerichts vollstreckbar. Die Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche hängt hingegen von der Entscheidung eines staatlichen Gerichts ab, das feststellen muss, dass der ausländische Schiedsspruch in der Volksrepublik China anzuerkennen und vollstreckbar ist. Die Volksrepublik China ist Vertragsstaat der New York Convention von 1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche („New York Convention“). Die Vertragsstaaten haben sich verpflichtet, ausländische Schiedssprüche als bindend anzuerkennen und zu vollstrecken, sofern nicht einer der wenigen Ablehnungsgründe nach Artikel V der New York Convention vorliegt. Ob ein Schiedsspruch tatsächlich vollstreckt wird, hängt in der Volksrepublik China jedoch in der Praxis häufig davon ab, in welcher Provinz Chinas die Vollstreckung betrieben wird.
Anders als in vielen Rechtsordnungen wurde die Nationalität eines Schiedsspruchs in der Volksrepublik China nach bisheriger Praxis nicht durch den Schiedsort bestimmt, sondern durch die Nationalität oder den Sitz der das Verfahren administrierenden Schiedsinstitution. Ein in China ergangener Schiedsspruch konnte daher als ausländisch gelten, wenn das Schiedsverfahren durch eine ausländische Schiedsinstitution administriert wurde. Dadurch bedurften solche von einer ausländischen Institution administrierten Schiedssprüche trotz des chinesischen Schiedsorts der Anerkennung und Vollstreckung nach dem New Yorker Übereinkommen und unterlagen somit einer Überprüfung durch staatliche Gerichte, die zuweilen als weniger schiedsfreundlich wahrgenommen wurde.
Parteien, die eine möglichst reibungslose Vollstreckung anstrebten, sahen sich vor diesem Hintergrund häufig gezwungen, eine chinesische Schiedsinstitution zu wählen, auch wenn dies nicht ihren Präferenzen entsprach. Chinesische Schiedsinstitutionen üben häufig einen größeren institutionellen Einfluss auf die Entscheidungsfindung aus. Zudem fehlt manchen Institutionen in komplexen grenzüberschreitenden Fällen mitunter die umfassende Erfahrung, die führende internationale Institutionen wie die ICC entwickelt haben. Vor diesem Hintergrund ist die nunmehrige Gesetzesnovellierung von besonderer praktischer Bedeutung.
Territorialprinzip und die Rolle ausländischer Schiedsinstitutionen
Das Neue Schiedsgesetz markiert einen grundlegenden Wandel hin zu einer am Schiedsort orientierten Bestimmung des anwendbaren Rechts und der Nationalität von Schiedssprüchen. Nach dem Schiedsgesetz von 1994 mussten Schiedsvereinbarungen eine chinesische „Schiedskommission“ benennen, was in der Praxis die Benennung einer in der Volksrepublik China gegründeten Schiedsinstitution bedeutete. Dass ausländische Schiedsinstitutionen Schiedsverfahren mit Schiedsort in Festlandchina administrieren, sah das Gesetz nicht vor. Dennoch hat der Supreme People‘s Court („SPC“) den chinesischen Markt für ausländische Schiedsinstitutionen durch eine Reihe schiedsfreundlicher Entscheidungen schrittweise geöffnet, insbesondere durch die Longlide-Entscheidung aus dem Jahr 2013, die eine ICC-Schiedsklausel in einem Schiedsverfahren mit Schiedsort in Shanghai bestätigte (Anhui Longlide Packaging and Printing Co Ltd gegen BP Agnati SRL, (2013) Min Si Ta Zi Nr. 13). Nachfolgende Gerichtsentscheidungen folgten der Leitlinie des SPC und stellten Schiedssprüche, bei denen die Parteien eine ausländische Institution bei einem Schiedsort in China gewählt hatten, inländischen Schiedssprüchen gleich, sofern das Schiedsverfahren einen Auslandsbezug hatte. Faktisch wurde damit die Bewertung der Nationalität eines Schiedsspruchs über die Nationalität des Schiedsspruchs teilweise aufgegeben und durch eine Anknüpfung an den Schiedsort ersetzt (sogenanntes Territorialprinzip).
Das Neue Schiedsgesetz konsolidiert diese Entwicklung. Erstens bestätigt Artikel 81, dass die Parteien in Fällen mit Auslandsbezug den Ort des Schiedsverfahrens (Schiedsort) vereinbaren können, wodurch das anwendbare Verfahrensrecht und die Zuständigkeit des für die Anerkennung zuständigen Gerichts an diesem Schiedsort verankert werden. Zweitens erkennen die Artikel 27 und 89 eine weiter gefasste Kategorie von Schiedsinstitutionen an – „Schiedsausschüsse, Schiedsgerichte und andere rechtskonform errichtete Institutionen“ – und entfernen sich damit von der strikten Formulierung von 1994, welche die Gültigkeit einer Schiedsvereinbarung an die Wahl einer chinesischen „Schiedskommission“ knüpfte. In ihrer Gesamtheit folgen diese Bestimmungen der modernen internationalen Praxis, den Schiedsort als das Organisationsprinzip des Schiedsverfahrens in den Vordergrund stellen.
Tätigwerden ausländischer Schiedsinstitutionen in der Volksrepublik China
Artikel 86 des Neuen Schiedsgesetzes erlaubt ausländischen Schiedsinstitutionen, Niederlassungen in bestimmten Gebieten, wie z.B. in Pilot-Freihandelszonen und im Freihandelshafen Hainan, zu errichten, um Schiedsverfahren mit Auslandsbezug gemäß den einschlägigen nationalen Vorschriften zu administrieren. Diese Erlaubnis begrenzt aber nicht die Wahl des Schiedsorts: Für die Nationalität eines Schiedsspruchs ist einzig der Schiedsort maßgeblich, nicht das Vorhandensein einer Niederlassung der Schiedsinstitution am Schiedsort oder in einer Freihandelszone. Dagegen gestattet es das Neue Schiedsgesetz Parteien nicht, rein inländische Streitigkeiten (ohne Auslandsbezug) von ausländischen Schiedsinstitutionen administrieren zu lassen. Inländische Streitigkeiten bleiben chinesischen Institutionen vorbehalten. Mit anderen Worten: Ausländische Schiedsinstitutionen dürfen keine inländischen Streitigkeiten administrieren. Allerdings dürfen ausländische Schiedsinstitutionen Streitigkeiten mit Auslandsbezug administrieren, wobei Schiedssprüche in Verfahren mit Auslandsbezug rein inländischen Schiedssprüchen gleichgestellt werden, wenn der Schiedsort in der Volksrepublik China liegt. Dafür muss der Schiedsort nicht zwingend in einer der in Artikel 86 genannten Gebiete liegen.
Dieser Ansatz bestätigt damit die Entwicklung weg von der Bestimmung der Nationalität eines Schiedsspruchs über die Schiedsinstitution und hin zur Heranziehung des Schiedsorts. Diese fand ihren Ausgangspunkt im Gesetz von 1994, worauf ein Jahrzehnt lang schrittweise schiedsfreundlichere Rechtsprechung, wie u.a. Longlide (siehe oben), erging, die eine Administration von Schiedsverfahren durch ausländische Institutionen wie der SIAC oder ICC trotz Schiedsorts in Peking oder Shanghai anerkannte und im Vollstreckungsverfahren inländischen Schiedssprüchen gleichstellte. Das Neue Schiedsgesetz schafft dadurch Rechtssicherheit, indem nunmehr der Schiedsort den verfahrensrechtlichen Rahmen, das zuständige Gericht und die Nationalität des Schiedsspruchs bestimmt.
Anhaltende Förderung chinesischer Institutionen und Öffnung von Verfahren mit Auslandsbezug
Das Neue Schiedsgesetz ermutigt Parteien weiterhin dazu, eine chinesische Schiedsinstitutionen auch bei bestehendem Auslandsbezug zu wählen und bestätigt gleichzeitig, dass inländische Institutionen Investitionsschiedsverfahren administrieren dürfen. Die CIETAC und der Shenzhen Court of International Arbitration (SCIA) haben bereits konkrete Regelungen für Investitionsschiedsverfahren ausgearbeitet, und die ausdrückliche Erlaubnis, Investitionsschiedsverfahren administrieren zu dürfen, dürfte die Anzahl und Sichtbarkeit von Investitionsschiedsverfahren mit Beteiligung chinesischer Parteien und Interessen erhöhen. Diese Bevorzugung chinesischer Schiedsinstitutionen durch den Gesetzgeber ändert aber nichts an der Autonomie der Parteien, sich in Fällen mit Auslandsbezug vorbehaltlich der vorstehend beschriebenen gesetzlichen Grenzen auf eine Administration durch eine ausländische Institution zu einigen.
Praktische Auswirkungen auf die Formulierung von Schiedsklauseln und die Verfahrensstrategie
Mit der Bestimmung der Nationalität eines Schiedsspruchs über den Schiedsort steigt die Bedeutung präzise formulierter Schiedsklauseln. Die Wahl des Schiedsortes wirkt sich unmittelbar auf die gerichtliche Zuständigkeit, das anwendbare Verfahrensrecht, die Aufhebungsmöglichkeiten und einschlägigen Gerichtsstand sowie auf die Art und Weise der Vollstreckung in China aus. Weiterhin ist die Wahl der Schiedsinstitution beispielsweise maßgeblich für das Verfahrensmanagement, die Schiedsrichterernennung und die Beweisaufnahme, da die Schiedsordnung von Schiedsinstitutionen solche Aspekte oft umfassend regelt. Bei Verfahren mit Auslandsbezug und Schiedsort in der Volksrepublik China sollten Parteien, die eine Administration des Schiedsverfahrens durch eine ausländische Institution gegen die Administration durch eine chinesische Institution abwägen, ihre Entscheidung an der Art der Streitigkeit, den gewünschten Verfahrensinstrumenten und den Vollstreckungsaussichten ausrichten.
Einstweilige Maßnahmen und Beweissicherung sind staatlichen Gerichten vorbehalten
Das Neue Schiedsgesetz verfolgt hinsichtlich einstweiliger Maßnahmen einen restriktiven Ansatz. Obwohl der einstweilige Rechtsschutz in der Schiedsgerichtsbarkeit oft von entscheidender Bedeutung ist – insbesondere, weil Parteien auch bei Vorliegen einer entsprechenden Schiedsvereinbarung Interesse an einer schnellen, unmittelbar durchsetzbaren Entscheidung haben können –, ermächtigt das Neue Schiedsgesetz die Schiedsgerichte nicht zum Erlass einstweiliger Maßnahmen. Für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes sind ausschließlich die staatlichen Gerichte zuständig.
In der Praxis bedeutet das, dass Schiedsinstitutionen etwaige Anträge auf Erlass einer einstweiligen Maßnahme an das zuständige Gericht zur Entscheidung weiterleiten müssen. Die Schiedsinstitution hat somit eine reine Übermittlungsfunktion, trifft jedoch keine Entscheidungen. Sollte bereits vor Beginn des Schiedsverfahrens ein Bedürfnis zum Erlass einstweiliger Maßnahmen bestehen, können die Parteien direkt beim Gericht einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz stellen. In jedem Fall entscheidet letztlich das staatliche Gericht über den Antrag.
Dasselbe gilt auch für Anträge auf Beweissicherung. Die Parteien können bereits vor Einleitung eines Schiedsverfahrens bei Gericht einen Antrag auf Beweissicherung stellen. In diesem Fall gelten dieselben verfahrensrechtlichen Unterscheidungen zwischen Beweissicherungsanträgen, die vor und nach Einleitung des Schiedsverfahrens gestellt werden.
Die Parteien sollten jedoch ein besonderes Augenmerk auf die Vollstreckung etwaiger staatlicher Gerichtsentscheidungen legen. Während in der Volksrepublik China gerichtlich angeordnete einstweilige Maßnahmen im Inland wirksam sind, kann sich die Anerkennung und Vollstreckung solcher Anordnungen im Ausland je nach Jurisdiktion als schwierig erweisen. Die grenzüberschreitende Vollstreckbarkeit einstweiliger Verfügungen richtet sich weiterhin nach der jeweiligen Jurisdiktion und kann unterschiedliche Verfahren über mehrere Jurisdiktionen hinweg erfordern, um in der Praxis Rechtsschutz außerhalb der Volksrepublik China sicherzustellen.
Weitere wichtige Änderungen
Darüber hinaus beinhaltet das Neue Schiedsgesetz die folgenden wichtigen Änderungen:
Ad-hoc-Schiedsverfahren: Erstmals sind nach nationalem Recht Ad-hoc-Schiedsverfahren für maritime Streitigkeiten mit Auslandsbezug erlaubt sowie auch für Streitigkeiten zwischen Unternehmen, die in ausgewiesenen Freihandelszonen, im Freihandelshafen Hainan und in anderen staatlich vorgeschriebenen Gebieten gegründet wurden und registriert sind (Artikel 82). Dies stellt zwar eine Abkehr von der langjährigen Präferenz für die institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit dar, doch ist die Reform eng gefasst: Ad-hoc-Schiedsverfahren stehen für sonstige inländische Streitigkeiten weiterhin nicht zur Verfügung und bleiben auch für die meisten internationalen Streitigkeiten außerhalb der genannten Kategorien weitgehend unzugänglich.
Strengere Anforderungen an Unabhängigkeit und Offenlegung: Schiedsrichter müssen sämtliche Umstände offenlegen, die Anlass zu begründeten Zweifeln an ihrer Unabhängigkeit oder Unparteilichkeit geben könnten, womit das Neue Schiedsgesetz international anerkannte und bewährte Praktiken aufgreift (Artikel 45).
Online-Schiedsverfahren: Das Neue Schiedsgesetz erlaubt ausdrücklich Online-Schiedsverfahren, sofern sich die Parteien nicht ausdrücklich dagegen entscheiden (Artikel 11). Online geführte Verhandlungen und die elektronische Vorlage von Dokumenten und Beweisen sind standardmäßig ihren Offline-Pendants gleichgestellt. Dieses Opt-out-Modell entspricht den heutigen technologischen Realitäten und dürfte effizientere Verfahren ermöglichen.
Schlussfolgerung
Mit dem Neuen Schiedsgesetz führt die Volksrepublik China teilweise international anerkannte und bewehrte Verfahrensregelungen ein. Die Parteiautonomie wird gestärkt, insbesondere durch eine erweiterte Freiheit zur Wahl der administrierenden Schiedsinstitution, der ausdrücklichen Anerkennung des Schiedsorts als ausschlaggebendes Kriterium für die Bestimmung der Nationalität eines Schiedsspruchs und einer gezielten Öffnung für Ad-hoc-Schiedsverfahren. Diese von der Globalisierung und externem Benchmarking geprägten Reformen lassen die Absicht der Volksrepublik China erkennen, sich als attraktiveren Standort für grenzüberschreitende Streitigkeiten zu positionieren. Ob sich die Volksrepublik China mit dem Neuen Schiedsgesetz wirklich als schiedsfreundlicher Standort für grenzüberschreitende Streitigkeiten etablieren kann, hängt maßgeblich davon ab, wie schiedsfreundlich die Gesetzesänderungen in der Praxis ausgelegt und angewendet werden. Jede der dargestellten Gesetzesänderungen ist nur unter bestimmten Voraussetzungen und in definierten Grenzen verfügbar, sodass die Anwendbarkeit in hohem Maße von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls abhängt. Parteien sollten die Anwendbarkeit daher im Lichte der konkreten Schiedsvereinbarung, des gewählten Schiedsorts und der Art der Streitigkeit prüfen.