Am 15. September 2025 hat Bundeswirtschaftsministerin Katharina Reiche einen 10-Punkte-Plan zur Neuausrichtung der Energiewende vorgestellt. Der Plan beruht auf einem Monitoringbericht, der den Stand der Energiewende bewertet hat, insbesondere im Hinblick auf Kosten, Systemeffizienz und Versorgungssicherheit. Daran knüpft Reiches Plan nun an: Der 10-Punkte-Plan soll bestehende Lücken schließen, die Energiewende effizienter gestalten und die Kosten für Staat, Wirtschaft und Verbraucher senken.
Zehn Maßnahmen für sichere, saubere und bezahlbare Energie
Ziel des 10-Punkte-Plans ist es, Klimaneutralität zu erreichen und gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu sichern. Damit die Energiewende gelingen kann, stellt Wirtschaftsministerin Reiche künftig Verlässlichkeit, Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Kosteneffizienz ins Zentrum der Energiepolitik. An dem Ziel, bis 2030 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien zu gewinnen, hält das Ministerium fest, will dabei aber mehr Realismus und Pragmatismus setzen. Künftig soll der Ausbau der erneuerbaren Energien stärker mit Netzen, Speichern und der tatsächlichen Systemlast abgestimmt werden.
- Ehrliche Bedarfsermittlung und Planungsrealismus: Ausbaupfade für erneuerbare Energien und Netzinfrastruktur sollen angepasst werden und sich zukünftig an neujustierten Strombedarfsszenarien orientieren. Insoweit weist das Bundeswirtschaftsministerium auch darauf hin, dass von einem geringeren Strombedarf als bisher angenommen auszugehen sei. Die aktuelle Fassung des EEG 2023 geht derzeit noch von einem Strombedarf von 750 TWh im Jahr 2030 aus, wobei der Monitoringbericht die (erhebliche) Spannbreite von 600 – 700 TWh annimmt. Das Bundeswirtschaftsministerium will sich wohl eher an der unteren Grenze dieser Spanne orientieren.
- Erneuerbare Energien markt- und systemdienlich fördern: Das Bundeswirtschaftsministerium kündigt eine Reform des Förderregimes für erneuerbare Energien an. Konkret soll die fixe Einspeisevergütung ganz abgeschafft werden. Die Vergütung bei negativen Preisen soll vollständig beendet werden. Anstatt des jetzigen Marktprämienmodells sollen differenzierte Finanzierungsmodelle – etwa zweiseitige Contracts for Difference (CfDs) und Clawback-Mechanismen – entwickelt werden. Außerdem soll eine Verpflichtung zur Direktvermarktung für Neuanlagen eingeführt werden. Vieles davon ist ohnehin unionsrechtlich erforderlich und das Ministerium hat hier bereits einen Handlungsrückstand. Es ist zu erwarten, dass die Reformierung des Ausschreibungsdesigns nun zeitnah angegangen wird und sich spätestens Anfang 2026 abzeichnet, wie das zukünftige Modell aussehen wird.
- Netze, erneuerbare Energien und dezentrale Flexibilität synchron ausbauen: Anlagen- und Netzausbau sollen besser aufeinander abgestimmt werden, um Netzengpässe und (teure) Überkapazitäten zu vermeiden. Hierfür sollen u.a. die Kombination von EE-Anlagen mit Speichern (Co-Location), die Installation von Netzampeln und die Möglichkeit der Überbauung (Cable Pooling) verstärkt genutzt werden. Zudem sollen finanzielle Anreize für einen netzfreundlichen Zubau von Anlagen und eine effiziente Nutzung bestehender Netzkapazitäten geschaffen werden (z.B. kapazitätsbasierte Netzentgelte und regional differenzierte Baukostenzuschüsse). Die Bündelung von Anschlussbegehren soll durch digitale Queue-Managementsysteme erleichtert werden.
- Technologieoffenen Kapazitätsmarkt schnell implementieren: Die Energiewende soll technologieoffener werden, um eine sichere Stromversorgung auch dann zu gewährleisten, wenn Sonne und Wind nicht genügend Strom liefern. Insbesondere sollen Gaskraftwerke mit Umstellungsperspektive auf Wasserstoff gefördert werden. Das Bundeswirtschaftsministerium hat angekündigt, dass bis Ende des Jahres 2025 Klarheit über die Ausschreibungen für Gaskraftwerke bestehen soll.
- Flexibilität und Digitalisierung des Stromsystems voranbringen: Zentrales Instrument für die Digitalisierung ist der Rollout von Smart Metern, deren Einbauquote deutschlandweit bislang nur weniger als 3 % ausmacht. Zukünftig soll die Verantwortung für den verpflichtenden Rollout bei den Verteilnetzbetreibern und in deren regulierten Anlagevermögen liegen. Lastmanagement, Batterien und andere Flexibilitätstools sollen in variable Stromtarife und Netzentgelte integriert werden.
- Einheitliche und liquide Energiemärkte erhalten und ausbauen: Die Märkte für Strom, Gas, Wasserstoff und CO2 sollen frei gestaltet werden, um attraktive Rahmenbedingungen für Industrie, Investoren und Verbraucher zu schaffen. Marktspaltung und „überzogene“ Eingriffe in Preisbildung und Angebotsstrukturen sollen vermieden werden.
- Förderregime überprüfen, Subventionen systematisch senken: Alle bestehenden Fördermaßnahmen und Subventionen sollen überprüft und auf das unbedingt nötige Maß reduziert werden. Förderungen sollen gezielt auf energieintensive Unternehmen, Forschung und Innovationen ausgerichtet und zeitlich befristet werden, um nachhaltigen Wettbewerb zu sichern.
- Forschung zukunftsgerichtet vorantreiben, Innovationen fördern: Neue Technologien wie Tiefengeothermie, Fusionsreaktoren, Wasserstoff sowie Carbon Capture, Utilisation and Storage (CCS/U) sollen erschlossen werden, um Kosteneffizienz und Wettbewerbsfähigkeit langfristig zu sichern. Dabei soll auch die Nutzung von Künstlicher Intelligenz eine zentrale Rolle spielen. Zu diesem Zweck soll die zügige Realisierung von Rechenzentren gefördert werden.
- Wasserstoffhochlauf pragmatisch fördern: Bei Wasserstoff sollen rechtliche Vorgaben abgebaut werden (z.B. durch eine Ausweitung der Definition von ,,grünem Wasserstoff‘‘ auf EU-Ebene). Der Ausbau der Wasserstofftechnologie soll zunächst auf Märkte konzentriert werden, in denen die Nachfrage bereits besteht oder mit geringem Aufwand angeregt werden kann (z.B. im Bereich von Raffinerien). Daneben soll der Ausbau des Wasserstoffkernnetzes in Deutschland vorangetrieben werden, während zugleich ausländische Wasserstoffpotenziale erschlossen werden sollen. Die aktuellen Ausbauziele für Elektrolyseure sollen durch flexible Ziele ersetzt werden.
- CCS/CCU als Klimaschutztechnologie etablieren: Die Speicherung, Lagerung bzw. Nutzung von CO2 sieht das Bundeswirtschaftsministerium als unverzichtbar für die Dekarbonisierung industrieller Prozesse an. Sektoren mit schwer vermeidbaren Emissionen, beispielsweise die Zement- und Chemieindustrie, aber auch Kraftwerke und Energieerzeuger sollen Zugang zu Investitionshilfen und Infrastrukturförderung erhalten. Hierfür soll das Kohlendioxidspeicher- und Transportgesetz (KSpTG) reformiert werden.
Zusammenfassung und Einschätzung
Das Bundeswirtschaftsministerium bestätigt den hohen Bedarf an erneuerbaren Energien für das Erreichen der Klimaziele. Gleichzeitig mahnt der nun vorgelegte 10-Punkte-Plan zu mehr Kosteneffizienz und Planungsrealismus. Dabei sind insbesondere die folgenden Punkte besonders hervorzuheben.
- Synchronisierung von Anlagen- und Netzausbau: Der Netzausbau ist zum „Bottleneck“ der Energiewende geworden. Die erneuerbaren Energien genießen beim Netzanschluss zwar Vorrang aber auch ihr Netzanschluss kann in manchen Regionen nur noch nach langen Wartezeiten gewährt werden. In den vergangenen Monaten hat der Gesetzgeber bereits erste Abhilfe geschaffen, z.B. durch die Einführung des sog. Netzüberbaus bzw. Cable Poolings, das den Anschluss mehrerer Anlagen an dem gleichen Netzverknüpfungspunkt erlaubt. Daran knüpft der 10-Punkte-Plan nun an. Der Ausbau erneuerbarer Anlagen soll durch eine gezieltere Standortwahl bedarfsgerecht optimiert werden. Das bedeutet aber auch: Die Standortwahl wird in Zukunft zunehmend von der Netzverfügbarkeit abhängen. Die Standortsteuerung könnte über Baukostenzuschüsse oder Netzentgelte vorgenommen werden, die in Regionen knapper Netzressourcen deutlich höher ausfallen könnten als in Regionen, in denen Netzkapazität (noch) verfügbar ist. In der mittelfristigen Projektierung entsteht damit ein weiterer Aspekt, der für die kommerzielle Bewertung der Projekte relevant werden kann.
- Markt- und systemdienliches Fördersystem: Das Bundeswirtschaftsministerium fordert eine Abkehr von pauschalen Subventionen hin zu differenzierten Finanzierungsmodellen. Fixe Einspeisevergütungen sowie Vergütungen bei negativen Strompreisen sollen abgeschafft werden. Stattdessen sind zweiseitige Finanzierungsmodelle (etwa Differenzverträge (CfDs)) geplant; denkbar ist auch ein anderer Rückforderungsmechanismus, um Überförderungen zu vermeiden. Das Ministerium ist hier bereits überfällig; die EU Kommission blockiert dem Vernehmen nach die Freigabe des Solarpakets I auch deswegen, da es im aktuellen Marktprämienmodell noch keinen Mechanismus gibt, der mögliche Überförderungen reguliert. Für Projektierer heißt dies aber zugleich: Das wirtschaftlich attraktive Marktprämienmodell, dass die Strompreisvergütung nach unten absichert, aber nach oben nicht begrenzt, wird absehbar zu einem Ende kommen.
- Strombedarfsanalyse: Die Reduzierung der Strombedarfsanalyse von 750 TWh/a auf die Spanne von 600 – 700 TWh/a im Jahr 2030 wird auch eine erhebliche Auswirkung auf die Zubaukorridore der erneuerbaren Energien und damit auch auf die Ausschreibungsvolumen in den nächsten Jahren haben. Das Bundeswirtschaftsministerium will sich sogar eher an der unteren Schwelle der Prognose orientieren und die Energiewende damit mittelfristig eher an 600 TWh/a im Jahr 2030 ausrichten. Das würde bedeuten, dass 120 TWh/a weniger Strom aus erneuerbaren Energien benötigt würden, legt man die Zielmarke von 80 % erneuerbaren Energien am Strommix zugrunde.
- Flexibilisierung des Strommarktes: Das 10-Punkte-Programm rückt bei der (notwendigen) Flexibilisierung des Strommarktes die Gaskraftwerke in den Mittelpunkt und stellt in Aussicht, dass über die Ausschreibungen der Gaskraftwerke Ende des Jahres 2025 Klarheit bestehen soll. Die bereits seit Jahren diskutierten Gaskraftwerke sind auch unter der aktuellen Bundesregierung seit einigen Monaten in der Diskussion; sowohl in Berlin aber auch in Brüssel. Ob sich nun in den nächsten Wochen tatsächlich ein Ausschreibungsdesign abzeichnen wird, bleibt abzuwarten. Bereits jetzt ist kaum noch realistisch, dass es diese Kraftwerke bis zum – eigentlich geplanten – Jahr 2029/2030 geben wird. Umso schwerer wiegt, dass es kein klares Signal im 10-Punkte-Plan bezüglich des Hochlaufs von Großbatteriespeichern gibt. Diese Technologie überlässt man derzeit vollständig dem Markt und sendet politisch eher negative (Markt-)Signale, indem man mit den Gaskraftwerken des für Batteriespeicher interessanten Kapazitätsmarkt reduziert.
Die Reaktionen auf den 10-Punkte-Plan fallen daher unterschiedlich aus. Die energieintensive Industrie begrüßt die Vorschläge, vor allem angesichts der weiterhin hohen Strompreise. Auch Verbände wie der Verband der Chemischen Industrie (VCI), der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) und der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) äußern sich überwiegend positiv. Sie sehen in den Reformen ein Fundament für ein deutlich effizienteres, wirtschaftsfreundlicheres Energiesystem und fordern eine zügige Umsetzung.
Aus der Branche der Erneuerbaren Energien kommt jedoch teils deutliche Kritik. Der Bundesverband Neue Energiewirtschaft (BNE), der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) und die Deutsche Umwelthilfe (DUH) warnen vor einem möglichen Rückschritt beim Ausbau. Besonders die im Raum stehende Kürzung von Förderungen für Solardächer sorgt für Unmut.