Aktuelle Entwicklungen bei den Industrienetzentgelten – Bundesnetzagentur veröffentlicht Diskussionspapier zur Netzentgeltsystematik Strom

Die Diskussion um die Zukunft der Stromnetzentgelte in Deutschland nimmt an Fahrt auf. Mit der Veröffentlichung des Diskussionspapiers zur „Festlegung der allgemeinen Netzentgeltsystematik Strom (AgNes)“ am 24. September 2025 durch die Bundesnetzagentur ist ein weiterer Meilenstein im Reformprozess erreicht. Die derzeit geltenden Regelungen, insbesondere die zahlreichen Sonderentgelte für Industriekunden, geraten zunehmend unter Druck. Ziel der Bundesnetzagentur ist eine grundlegende Neuausrichtung des Systems, das künftig nicht nur transparenter und gerechter, sondern auch besser auf die Herausforderungen der Energiewende zugeschnitten sein soll.

Bisher profitieren zahlreiche Industrieunternehmen in Deutschland von reduzierten Netzentgelten. Über Sonderregelungen (wie das sogenannte Bandlastprivileg oder vermiedene Netzentgelte) werden deutliche Entlastungen gewährt – oftmals mit der Begründung, dass diese Verbraucher netzdienlich agieren oder durch konstante Lastverläufe zur Netzstabilität beitragen. Diese Privilegien summieren sich auf mehrere Milliarden Euro jährlich und führen dazu, dass die Finanzierung der Netze überproportional von kleineren und mittleren Stromverbrauchern getragen wird. 

Neue Netzentgeltsystematik durch AgNes

Vor diesem Hintergrund zielt das AgNes-Verfahren auf eine umfassende Neustrukturierung ab. Die Bundesnetzagentur schlägt in ihrem aktuellen Papier unter anderem vor, künftig auch Einspeiser an den Netzkosten zu beteiligen – etwa durch ein Einspeiseentgelt oder ein verpflichtendes Grundentgelt für alle Netznutzer. Gleichzeitig wird diskutiert, klassische Mengen- oder Leistungstarife durch kapazitätsorientierte und zeitvariable Entgeltkomponenten zu ergänzen. Netzentgelte sollen somit in Zukunft auch abhängig davon sein, wann und wie Netzressourcen abhängig von Marktschwankungen oder Engpässen genutzt werden – ein Paradigmenwechsel mit weitreichenden Konsequenzen für Industrie, Gewerbe und Energieversorger gleichermaßen.

Für industrielle Großverbraucher, die bislang von stabilen und oft vergünstigten Entgelten profitierten, bedeutet dies eine zunehmende Abkehr von alten Privilegien. Zwar bleibt die Bundesnetzagentur im Ton vorsichtig, doch die Stoßrichtung ist klar: Netzentgelte sollen anders verteilt und stärker an die aktuellen und zukünftigen Netzbelastungen ausgerichtet werden. Dies betrifft auch die sogenannte atypische Netznutzung sowie die vermiedenen Netzentgelte, deren Abschmelzung bereits für 2026 bis 2028 angekündigt wurde. Unternehmen, die bislang durch von Netzentgeltreduzierungen profitieren konnten, müssen sich auf Änderungen einstellen. 

Im Rahmen des AgNes-Verfahrens wird zudem die Integration von Speichern in die Entgeltsystematik diskutiert. Hier setzt die Bundesnetzagentur das Signal, dass sich die Speicherbranche (jedenfalls nach August 2029) auf Netzentgelte einstellen sollte. Gleiches gilt für die Einbeziehung von Einspeisern in die Netzentgeltsystematik; auch hier deutet die Bundesnetzagentur an, dass es Netzentgelte für die Einspeisung von Strom geben könnte. Das betrifft insbesondere die Erneuerbaren-Energien-Anlagen, die somit ggf. Teil des Netzentgeltsystems werden würden. 

Insgesamt soll in Zeiten zunehmender Volatilität im Stromsystem durch entsprechende Preissignale künftig gezielt flexibles Verhalten belohnt werden – beispielsweise durch niedrigere Entgelte in netzschwachen Zeiten oder Regionen. Technologisch erfordert dies jedoch eine flächendeckende Modernisierung der Mess- und Steuerinfrastruktur, um fernsteuerbare Verbrauchseinrichtungen zu fördern.

Konsultationsphase: Vorläufige Branchenstimmen

Bis zum 21. Oktober 2025 läuft die öffentliche Konsultationsphase, in der sich Unternehmen, Verbände und Netzbetreiber zur aktuellen Vorlage äußern können. 

Am 30. September 2025 hat zudem ein Branchenworkshop mit Fokus auf die Industrienetzentgelte stattgefunden. In den Stellungnahmen zeigen sich unterschiedliche Bewertungen der vorgeschlagenen Reformelemente. Eine Beteiligung von Einspeisern an Netzentgelten wird mehrheitlich abgelehnt. Etwas mehr Offenheit besteht gegenüber einer einmaligen Kostenbeteiligung beim Netzanschluss. Positiv bewertet wird vor allem ein Kapazitätspreis, der als marktgerechtes Signal für Knappheit verstanden wird und zur gewünschten Flexibilisierung der Netzentgelte beiträgt. Auch die Integration von Speichern sorgt für einheitlichen Zuspruch. Dagegen stoßen sowohl das vorgeschlagene Grundentgelt für alle Netznutzer als auch die bundesweite Vereinheitlichung der Entgelte auf überwiegend kritische Stimmen – insbesondere wegen fehlender Anreize zur Systemdienlichkeit und befürchteter Unklarheiten bei der Verantwortlichkeit der Netzbetreiber. Gleichwohl wird die Vereinheitlichung punktuell als Chance für bundesweit tätige Unternehmen und für gleichwertige Lebensverhältnisse gesehen. Breite Zustimmung erfahren dynamische Entgelte, da sie netzdienliches Verhalten fördern könnten; allerdings wird betont, dass deren Einführung schrittweise erfolgen müsse und neue technische Voraussetzungen erfordere. Industrievertreter äußern zudem Sorgen, dass ihnen betrieblich bedingt oft die Flexibilitätsoptionen fehlen, um auf kapazitätsabhängige oder dynamische Entgelte angemessen reagieren zu können. Bei der Einführung dynamischer Entgelte muss diese Möglichkeit berücksichtigt werden, um eine systematische Benachteiligung zu vermeiden.

Die Ergebnisse fließen in die weitere Ausgestaltung der AgNes-Festlegung ein, die nach aktuellem Planungsstand bis Ende des Jahres 2026 finalisiert werden soll. Das bisherige Regelwerk der Stromnetzentgeltverordnung soll nach ihrem Auslauf Ende 2028 durch AgNes ersetzt werden, wobei Übergangsregelungen geplant sind.

Ausblick 

Für Unternehmen, insbesondere energieintensive Betriebe, empfiehlt es sich, die Entwicklungen eng zu verfolgen, mögliche Kostenwirkungen frühzeitig zu analysieren und sich aktiv in den Konsultationsprozess einzubringen. Das gilt auch für die Speicherentwickler und für Betreiber von Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien; auch hier deutet sich an, dass Netzentgeltbelastungen in Zukunft entstehen könnten. 

Klar ist: Die zukünftige Netzentgeltsystematik wird dynamisch und flexibel. Doch auch, wenn ein Umbruch der bestehenden Sonderentgelte bevorsteht, hat die Bundesnetzagentur angekündigt, dass bestehende Verträge unbedingt zu schützen sind. Daher sei auch ein Festhalten an jetzigen Sonderentgelten nach 2028 möglich, während parallel die neue Systematik eingeführt wird, um Benachteiligungen und Vertragsbrüche zu vermeiden.

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