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Telekommunikationsmodernisierungsgesetz – Neue Regelungen für bestimmte „Over-The-Top-Dienste“

Der Bundestag hat am 22. April 2021 den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf zur Modernisierung des Telekommunikationsrechts beschlossen (BR-Drs. 325/21). Dem Entwurf hat der Bundesrat am 7. Mai 2021 mit knapper Mehrheit zugestimmt. Neu ausgerichtet wird damit u. a. die Regulierung von OTT-I-Diensten (Instant-Messenger, Web-Mail-Dienste, Gruppen-Chats etc.): Als „interpersonelle Kommunikationsdienste“ werden diese den Vorschriften des TKG unterworfen. Das Telekommunikationsmodernisierungsgesetz tritt am 1. Dezember 2021 in Kraft.

1. Überblick über die TKG-Novelle

Mit dem Telekommunikationsmodernisierungsgesetz wird das gegenwärtige Telekommunikationsgesetz (TKG) umfassend überarbeitet und modernisiert. Dieses dient unter anderem dem Ziel, die Richtlinie (EU) 2018/1972 über den europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation von 2018 („Kodex-RL“) ins deutsche Recht umzusetzen. Die Frist hierfür lief bereits im Dezember 2020 ab. Das Hauptziel der Kodex-RL und damit auch der Modernisierung des TKG ist der Ausbau von Datennetzen „mit sehr hoher Kapazität“. Die regulatorischen Freiräume der Kodex-RL sollen genutzt werden, um besondere Anreizmechanismen zum Ausbau von Gigabitnetzen zu schaffen. Insbesondere setzt der Entwurf auf Ko-Investitions- und Open-Access-Modelle. Zudem soll der Verbraucherschutz harmonisiert und verbessert sowie ein einklagbares, ggf. umlagefinanziertes „Recht auf schnelles Internet“ geschaffen werden; die hierfür noch nötige Rechtsverordnung soll 6 Monate nach Inkrafttreten der TKG-Novelle vorliegen (§ 157 Abs. 3 und 4 TKG).

Die Möglichkeit für Vermieter, TV-Kabelgebühren auf den Mieter umzulegen, soll Mitte 2024 wegfallen. Beauftragt ein Vermieter allerdings Ausbau der Gebäudeinfrastruktur mit Glasfaser, kann er künftig die ihm hierdurch entstehenden Kosten als Nebenkosten abwälzen.

Flankiert wird diese Novelle insbesondere durch zwei weitere Gesetzesentwürfe,

  • dem Entwurf für ein Telekommunikations-Telemedien-Datenschutzgesetz (TTDSG; BT-Drs. 19/27441), das die bislang im TKG und TMG geregelten Bestimmungen zum Datenschutz in ein eigenständiges Gesetz überführen soll (die erste Lesung im Bundestag fand Ende März 2021 statt); und
  • dem Entwurf für ein Gesetz zur Anpassung des Verfassungsschutzrechts (BT-Drs. 19/24785) mit für geschäftsmäßige Telekommunikationsdienstleister wichtigen Änderungen etwa des Art. 10-Gesetzes (Stichwort: „Staatstrojaner“; das Gesetz war Anfang Mai zur ersten Lesung im Bundestag).

Das Telekommunikationsmodernisierungsgesetz wurde am 22. April 2021 vom Bundestag angenommen (BR-Drs. 325/21). Der Bundesrat hat dem Gesetz am 7. Mai 2021 zugestimmt. Das Gesetz soll am 1. Dezember 2021 in Kraft treten.

Mit dem Telekommunikationsmodernisierungsgesetz werden nunmehr auch sog. OTT-I Dienste (Instant-Messenger, Web-Mail-Dienste usw.) der Regulierung unterworfen. Im Folgenden sollen die Auswirkungen dieser Neuregulierung insbesondere im Hinblick auf sogenannte „Over-the-Top-Dienste“ (OTT-Dienste) beleuchtet werden:

2. Aktuelle Rechtslage bzgl. OTT-Dienste

Nach bisheriger Rechtslage sind nur bestimmte OTT-Dienste vom TKG umfasst. Der Sache nach handelt es sich um Dienste, die im Gegensatz zu klassischen Telekommunikationsdiensten über das offene Internet erbracht werden. Hierbei unterscheidet die BEREC (das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation) zwischen folgenden Funktionen der OTT-Dienste: OTT-0-Dienste bieten Funktionen wie klassische Telekommunikationsdienste, z. B. Anrufe über das offene Internet per SkypeOut-Funktion in das öffentliche Telefonnetz (PSTN). OTT-I-Dienste ermöglichen Individual-  oder Gruppenkommunikation in Form von Sprache, Bildern, Videos und sonstigen Daten unter Einsatz des „Internet Protocol“ allein über das offene Internet, ohne dabei inhaltliche Angebote aufzuweisen. Dazu gehören Instant-Messenger, aber auch Webmaildienste. Dagegen weisen OTT-II-Dienste inhaltliche Elemente auf und reichen damit von Suchmaschinen, über On-Demand-Plattformen, bis zu Informationsportalen.

OTT-0-Dienste wie der SypeOut-Dienst wurden spätestens mit der Entscheidung des EuGH (C-142/18) den Telekommunikationsdiensten zugeordnet (Argument: Der SkypeOut-Diensteanbieter trägt die Verantwortung für die Übermittlung der Sprachsignale über das PSTN). Dagegen fallen OTT-II-Dienste grundsätzlich nicht unter das TKG, sondern werden als Telemedien-Dienste durch das TMG reguliert. Streitig war lange die Frage, wie OTT-I-Dienste einzuordnen sind. Die Bundesnetzagentur wollte diese Dienste ebenfalls Telekommunikationsdiensten im Sinne des TKG zuordnen und wurde in dieser Auffassung im Jahr 2015 durch das Verwaltungsgericht Köln bestätigt. Der Europäische Gerichtshof lehnte dies 2019 jedoch ausdrücklich ab (C-193/18). Web-E-Mail-Dienste wie Gmail – so die Auffassung des Gerichtshofs – seien keine elektronischen Telekommunikationsdienste (Argument: Nicht der Web-E-Mail-Dienstbetreiber, sondern Dritte wie der Internetzugangsanbieter, tragen die Verantwortung für die Übermittlung der Signale). Das Urteil erging allerdings noch zu der alten EG-Kommunikation-Rahmen-RL von 2002. Mit der TKG-Novelle dürfte dieses Urteil überholt sein.

3. Ausweitung des TKG auf OTT-I-Dienste

Neben den großen Reformzielen wird der Anwendungsbereich des TKG auf OTT-I-Dienste ausgeweitet. Bislang kannte das TKG nur den allgemeinen Begriff des „Telekommunikationsdienstes“. Als wesentliche Neuerung hat die TKG-Novelle die neue Systematisierung von TK-Dienstanbietern der Kodex-RL (fast) unverändert übernommen. Der Begriff des „Telekommunikationsdienstes“ wird damit zukünftig vor allem funktional und weniger technisch bestimmt. Aus Sicht des Endnutzers soll es keine Rolle spielen, ob der Anbieter selbst die Signalübertragung vornimmt oder ob diese über einen Internetzugangsdienst (§ 3 Nr. 23 TKG) erfolgt – die Funktionalität sei aus Endnutzerperspektive gleichwertig.

Telekommunikationsdienste umfassen daher künftig die folgenden Dienste (§ 3 Nr. 61 TKG):

  • Internetzugangsdienste
  • interpersonelle Kommunikationsdienste sowie
  • Dienste, die „ganz oder überwiegend in der Übertragung von Signalen bestehen, wie Übertragungsdienste, die für Maschine-Maschine-Kommunikation und für den Rundfunk genutzt werden“.

Der neue Begriff des „interpersonellen Kommunikationsdienstes(§ 3 Nr. 24 TKG) ist ebenfalls aus der Kodex-RL entlehnt. Erfasst werden Dienste, die gewöhnlich gegen Entgelt einen direkten „interpersonellen und interaktiven“ Informationsaustausch über elektronische Kommunikationsnetze zwischen zwei oder mehreren Personen anbieten, die vom Sender der Kommunikation bestimmt werden. Damit werden „OTT-I-Dienste“ nunmehr ausdrücklich vom TKG adressiert. Als Anwendungsfälle werden im zugrundeliegenden TKG-Entwurf ausdrücklich Instant-Messengerdienste, Web-Mail-Dienste, Internettelefonie-Dienste aber auch Gruppenchats erfasst. Auch die Kommunikation zwischen einer natürlichen und einer juristischen Person kann unter den neuen Begriff fallen. Voraussetzung ist, dass die juristische Person von einer natürlichen Person vertreten wird oder die Kommunikation über ein von der juristischen Person bereitgestelltes Postfach erfolgt. Sprachassistenten werden nicht erfasst, weil die Kommunikation in diesem Fall zwischen einer natürlichen Person und einer Maschine erfolgt. Durch das Kriterium „interaktiv“ sollen nur Kommunikationsvorgänge erfasst werden, bei denen aus technischer Sicht die Möglichkeit des Informationsempfängers zur Antwort besteht. Nicht erfasst werden sollen insbesondere lineare Dienste wie Rundfunk, soziale Netzwerke sowie Dienste für Maschine-Maschine-Kommunikation (da hier eine automatische Übermittlung von Daten zwischen Hard-/Software erfolgt ohne oder nur mit geringfügiger menschlicher Beteiligung).

Zu beachten ist jedoch, dass OTT-I-Dienste nur teilweise dem Regelungsregime des TKG unterworfen werden. Dazu erfolgt die ebenfalls EU-rechtlich vorgegebene Unterscheidung in nummerngebundene und nummernunabhängige interpersonelle TK-Dienste (§ 3 Nr. 37, 40 TKG), also zwischen OTT-0- und OTT-I-Diensten. Der Grund dafür ist, dass (nummernunabhängige) OTT-I-Dienste nur dann Verpflichtungen unterliegen sollen, wenn die Anwendung spezifischer regulatorischer Verpflichtungen auf alle Arten von interpersonellen Telekommunikationsdiensten unabhängig von der Nutzung einer Nummer im öffentlichen Interesse liegt. Dies ist nur in ausgewählten Bereichen der Fall.

Lediglich OTT-II-Dienste werden auch weiterhin prinzipiell nicht vom TKG erfasst.

4. Rechtsunsicherheiten trotz neuer Definition

Bereits die Definition der Kodex-RL lässt in vielen Bereichen Rechtsunsicherheiten bestehen. Mit der TKG-Novelle wurde die Chance leider nicht genutzt, diese im Rahmen einer ausgestaltenden Umsetzung von vornherein auszuräumen.

Probleme bereitet bereits die erforderliche Entgeltlichkeit der Dienste, da beispielsweise viele Messengerdienste entgeltfrei angeboten werden. Im Vergleich zur alten Richtlinie („in der Regel“) wurde das Kriterium in der Kodex-RL jedoch abgeschwächt („gewöhnlich“). Diese gesetzgeberische Entscheidung muss sicherlich so interpretiert werden, dass auch die Finanzierung durch indirekte Einnahmen und die „Bezahlung“ mit eigenen Daten erfasst werden soll. Eine solche ökonomische, funktionale Sicht steht im Einklang mit Art. 3 Abs. 1 der Digitale-Inhalte-Richtlinie (Richtlinie [EU] 2019/770) und dessen Umsetzung durch § 327 Abs. 3 BGB-Entwurf (noch nicht in Kraft), wonach die Entgeltlichkeit eines Verbrauchervertrags auch in der Zurverfügungstellung von personenbezogenen Daten liegt.

Nicht erfasst von § 3 Nr. 24 TKG sind solche Dienste, die eine interpersonelle und interaktive Telekommunikation lediglich als untrennbar mit einem anderen Dienst verbundene untergeordnete Nebenfunktion ermöglichen. Beispielhaft wird in der Gesetzesbegründung die Chatfunktion eines Online-Spiels genannt. Ob es sich um eine Nebenfunktion handelt, hängt davon ab, ob die Funktion aus objektiv technischen Gründen nicht ohne den Hauptdienst genutzt werden kann oder schlicht mit ihrer Integration die TK-Vorschriften umgangen werden sollen. Für eine solche Einordnung soll auf die Sichtweise eines objektiven Endnutzers abgestellt werden. In der Praxis wirft dies viele Fragen auf – ob etwa Messenger-Dienste in sozialen Netzwerken – z. B. der Instagram Direct Messenger – eine nur untergeordnete Nebenfunktion des sozialen Netzwerkes ist.

5. Anwendbare Vorschriften für OTT-I-Dienste

Neben Vorgaben zur Interoperabilität finden für OTT-I-Dienste vornehmlich Regelungen des Teils „Kundenschutz“ und des Abschnitts „Öffentliche Sicherheit“ Anwendung. Insgesamt werden etliche Pflichten eingeführt. Beispielhaft seien die folgenden Regelungen genannt:       

  • die Pflicht, auf Anordnung der BNetzA eine Interoperabilität mit Diensten anderer Anbieter herzustellen (§ 21 Abs. 2 TKG),
  • die Pflicht, Verbrauchern auf deren Verlangen Informationen zu Standardbedingungen für den Zugang zu den von ihnen für Endnutzer und Verbraucherbereitgestellten Diensten und deren Nutzung zur Verfügung zu stellen (§ 52 Abs. 1 Nr. 3 TKG),
  • umfassende Informationspflichten gegenüber Kunden (§ 55 Abs. 2 TKG i.V.m. Anhang VIII Teil B der Kodex-RL),
  • die Pflicht, Daten für Auskunftsersuchen der Sicherheitsbehörden zu erheben und zu speichern (§ 172 Abs. 3 TKG),
  • die Pflicht, das „schnellere Internet“ mitzufinanzieren,
  • bestimmte Pflichten nach dem geplanten neuen Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetz (TTDSG – s.o. 1.) und
  • die (sehr weitreichenden und politisch umstrittenen) Pflichten nach dem geplanten neuen Abs. 1a des § 2 Artikel 10-Gesetz, um den Geheimdiensten u. a. die Einbringung von technischen Mitteln und die Umleitung von Telekommunikation zu ermöglichen; s. ebenfalls schon o. 1.).

Durch die Integration des Post- und Telekommunikationssicherstellungsgesetz (PTSG) in die §§ 184 ff. TKG müssen (natürlich beileibe nicht nur, aber auch) OTT-I- und OTT-II-Diensteanbieter die Notfallvorsorgepflichten des ehemaligen PTSG einhalten. Diese gelten für Anbieter öffentlich zugänglicher TK-Dienste mit mehr als 100.000 Nutzern. Da auch OTT-I-Dienste nunmehr TK-Dienste sind, löst das Anbieten solcher Dienste für mehr als 100.000 Nutzer z. B. die Pflicht aus, in gesetzlich definierten Notfällen Sprachkommunikationsdienste, Internetzugangsdienste, Datenübertragungsdienste und E-Mail-Dienste aufrecht zu erhalten und Bevorrechtigte (§ 186 Abs. 3 TKG: Behörden, Gerichte usw.) vorrangig zu versorgen. Anbieter solcher Dienste müssen daher damit rechnen, dass die BNetzA von ihnen umfassende Auskünfte z. B. über Entstörungskonzepte verlangen wird.

Von der  telekommunikationsrechtlichen Meldepflicht (künftig: § 5 TKG) sind OTT-I-Dienste ausgenommen. Auf der anderen Seite gilt das Fernmeldegeheimnis (zukünftig in § 3 TTDSG-Entwurf geregelt) über § 7 Abs. 3 Satz 2 TMG bereits gegenwärtig für OTT-I-Diensteanbieter.

6. Bewertung der Novellierung mit Hinblick auf OTT-Dienste

Insgesamt wurde in der TKG-Novelle für die Neujustierung der Regulierung von OTT-I-Diensten ein ausgewogener Ansatz gewählt. Die Beschränkung des Pflichtenumfangs für OTT-I-Dienste wird deren Besonderheiten gerecht: Anders als klassische Telekommunikationsdienste benötigen OTT-I-Dienste keine physische Infrastruktur; auch der Anbieterwechsel ist leichter möglich. Der größere Wettbewerb rechtfertigt ein geringeres Maß an Regulierung.

7. Was heißt das für Unternehmen?

Auch wenn nach der Modernisierung der Pflichtenkanon des neuen TKG nur eingeschränkt für OTT-I-Dienste gilt, müssen Unternehmen dennoch sorgsam prüfen, ob ihr Dienst unter den Anwendungsbereich des neuen TKG fallen könnte, welche konkreten Vorschriften eingehalten werden müssen und welche Sanktionen bei Non-Compliance drohen. Insbesondere kann die Umsetzung der Pflicht zur Erhebung und Speicherung von Daten aus § 172 Abs. 3 TKG einigen Aufwand im Unternehmen verursachen. Neu ist: Nach dem Ermessen der BNetzA kann bei Verstößen gegen das TKG (auch jenseits der besonderen Missbrauchsaufsicht, künftig: § 50 TKG) der erlangte wirtschaftliche Vorteil abgeschöpft werden (§ 208 Abs. 1 TKG). Dies gilt nicht, sofern und soweit der wirtschaftliche Vorteil durch Schadensersatzleistungen oder durch die Verhängung von Bußgeldern oder die Anordnung der Einziehung von Taterträgen ausgeglichen ist.

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