Arbeitsrecht

Schadensersatzanspruch bei Versäumnis einer Verfallfrist wegen Verstoßes gegen das Nachweisgesetz

Der Arbeitgeber hat den Schaden des erloschenen Vergütungsanspruchs des Arbeitnehmers nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB zu ersetzen, wenn er dem Arbeitnehmer eine Ausschluss- bzw. Verfallsfrist nicht rechtzeitig schriftlich nachweist und der Anspruch bei Nachweis nicht untergegangen wäre. Der Arbeitnehmer hat hierfür jedoch die Kausalität zwischen der nicht fristgemäßen Geltendmachung des Anspruchs als Schaden und der unterlassenen Aufklärung als Pflichtverletzung darzulegen und zu beweisen.

BAG, Urteil vom 22. September 2022 – 8 AZR 4/21

Sachverhalt

Der Kläger war als Küster zwischen 1996 und 2016 bei der Beklagten, einer Kirchengemeinde, beschäftigt. Der zwischen den Parteien geschlossene Arbeitsvertrag nahm auf die Kirchliche Arbeits- und Vergütungsordnung (KAVO) in ihrer jeweiligen Fassung Bezug. Obwohl der Kläger ab Mai 2004 die Voraussetzungen für eine Höhergruppierung nach der KAVO erfüllt hatte, wurde er nicht in die entsprechende Vergütungsgruppe eingruppiert, was der Kläger über Jahre hinweg nicht bemerkte. Erst als er im November 2015 erfuhr, dass er zu niedrig vergütet worden war, machte er rückwirkend die Zahlung der Differenzvergütung gegenüber der Beklagten geltend.

Die Beklagte lehnte die Nachzahlung unter Hinweis auf die Ausschlussfrist nach § 57 I KAVO ab, wonach „Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von sechs Monaten nach Fälligkeit vom Mitarbeiter oder Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden [...]“.

Der Kläger ist der Ansicht, die Beklagte habe ihm Schadensersatz in Höhe der Differenzvergütung für den Zeitraum ab Mai 2004 zu leisten, da seine Differenzvergütungsansprüche wegen der Ausschlussfrist nach § 57 Abs. 1 KAVO erloschen seien. Wenn die Beklagte ihn rechtzeitig auf die Ausschlussfrist hingewiesen hätte, hätte er die Ansprüche rechtzeitig geltend gemacht.

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab, das Landesarbeitsgericht gab ihr teilweise statt und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz für den Zeitraum von Januar 2013 bis April 2015.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Arbeitnehmers gegen das Berufungsurteil vor dem BAG blieb ohne Erfolg.

Nach Ansicht des BAG steht dem Kläger kein Schadensersatzanspruch nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB wegen der erloschenen Differenzvergütungsansprüche zu. Grundsätzlich sei ein Arbeitgeber, der sich mit dem Nachweis der wesentlichen Arbeitsvertragsbedingungen gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 NachwG aF im Verzug befinde, verpflichtet, dem Arbeitnehmer den hierdurch adäquat-kausal verursachten Schaden zu ersetzen. Ein solcher Schadensersatzanspruch sei in Höhe des erloschenen Vergütungsanspruchs begründet, wenn dieser nur wegen der Versäumung der Ausschlussfrist erloschen sei und bei gesetzmäßigem Nachweis seitens des Arbeitsgebers nicht untergegangen wäre. Bei einem Verstoß des Arbeitgebers gegen § 2 Abs. 1 S. 1 NachwG aF gelte grundsätzlich die Vermutung, dass der Arbeitnehmer die Ausschlussfrist beachtet hätte, wenn er auf sie hingewiesen worden wäre (sog. Vermutung eines aufklärungsgemäßen Verhaltens).

Jedoch befreie diese Vermutungsregel den Kläger nicht davon, die Kausalität zwischen der Verletzung der Nachweispflicht und dem eingetretenen Schaden darzulegen und zu beweisen. Jene Kausalität habe der Kläger vorliegend nicht ausreichend dargelegt. Vielmehr habe der Kläger selbst vorgetragen, seine fehlerhafte Eingruppierung über viele Jahre hinweg nicht bemerkt zu haben. Einen ihm nicht bekannten Anspruch hätte der Kläger jedoch auch in Kenntnis der Ausschlussfrist nicht geltend machen können. Die Vermutung eines aufklärungsgemäßen Verhaltens reiche nicht so weit, dass unterstellt werden kann, der Kläger hätte ihm nicht bekannte Ansprüche rechtzeitig geltend gemacht.

Gleiss Lutz kommentiert

Mit seiner Entscheidung hat das BAG seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, wonach dem Arbeitnehmer ein Schadensersatzanspruch in Höhe des erloschenen Vergütungsanspruchs wegen Verzuges nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB grundsätzlich zustehen kann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht gemäß § 2 Abs. 1 S. 1 NachwG aF auf die Anwendbarkeit einer Ausschlussfrist in einem Tarifvertrag hingewiesen hat. Zu begrüßen ist, dass das BAG nunmehr aber klarstellt, dass die Vermutung eines aufklärungsgemäßen Verhaltens den Arbeitnehmer nicht davon entbindet, die Tatsachen für die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden durch entsprechenden Parteivortrag dazutun und gegebenenfalls zu beweisen. Auch wenn die Entscheidung zum NachwG i.d.F. bis zum 31.7.2022 erging, bleibt sie in ihrer Grundaussage aktuell, da die Vorschrift des § 2 Abs. 1 S. 1 NachwG aF in der Neufassung unverändert geblieben ist.

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