Arbeitsrecht

Rückgriff auf die Gesamtzusage trotz erteilter Einzelzusage

Arbeitgeber und Arbeitnehmer können zwar vereinbaren, dass eine Einzelzusage auf Versorgung erteilt und der Arbeitnehmer an künftigen kollektiven Versorgungsregelungen nicht beteiligt wird. Jedoch ist der Arbeitgeber dann verpflichtet, Verhandlungen mit dem Arbeitnehmer aufzunehmen, wenn sich die Einzelabrede als deutlich ungünstiger als die spätere Versorgungsordnung darstellt. Initiiert der Arbeitgeber keine solchen Verhandlungen, kommt ein Rückgriff auf die Gesamtzusage in Betracht.

BAG, Urteil vom 2. Dezember 2021 – 3 AZR 123/21

Sachverhalt

Die Parteien streiten über einen Anspruch auf betriebliche Altersrente. Bei Einstellung des Klägers zum 1. Juli 1986 vereinbarten die Parteien, die in einem früheren Arbeitsverhältnis des Klägers erworbene Pensionskassenversorgung über den BVV (Pensionskasse des Bankengewerbes) fortzuführen. Die vom Kläger zum damaligen Zeitpunkt unterschriebene Einzelabrede lautete wie folgt:

„Weiterhin zahlen wir Ihnen ab Januar 1987 monatlich 245 DM als Beitragszuschuß zur Altersversorgung des BVV. Durch diese Regelung sind Sie von der betrieblichen Altersversorgung der D ausgenommen.“

Für nach dem 31. März 1984 eingetretene Arbeitnehmer galt ab dem Jahr 1988 im Unternehmen eine kollektive Verordnungsregelung, die in den darauffolgenden Jahren mehrfach angepasst wurde. Hiervon ausgenommen waren Arbeitnehmer, mit denen, wie mit dem Kläger, eine Einzelzusage vereinbart wurde.

Der Kläger ist der Ansicht, ihm stünden, ergänzend zu den Leistungen aus der BVV-Pensionskasse, auch die Versorgungsleistungen gemäß der kollektiven Versorgungsordnung zu. Da die Parteien zunächst annahmen, dass es sich bei der späteren Versorgungsordnung um eine Betriebsvereinbarung gehandelt hat, stritten sie im Rahmen einer ersten Feststellungsklage über die Frage, inwiefern die Herausnahme einzelner Mitarbeiter aus der im Jahr 2007 abgeschlossenen Verordnung durch Einzelzusagen zulässig war.  Letztlich führte der rechtskräftige Abschluss des ersten Verfahrens (BAG, Urteil vom 19. Juli 2016 – 3 AZR 134/15) jedoch zu der Erkenntnis, dass der formwirksame Abschluss einer Betriebsvereinbarung nicht beweisbar war. Daraufhin reichte der Kläger eine weitere Klage ein. In dieser stützte der Kläger seine Versorgungsansprüche auf eine spätere Fassung der Versorgungsordnung aus dem Jahr 1995.

Das ArbG Frankfurt/Main hatte der Klage teilweise stattgegeben. Im Rahmen der daraufhin von der Beklagten eingelegten Berufung wurde die Klage vom LAG Hessen insgesamt abgewiesen.

Entscheidung des BAG

Die Revision des Klägers vor dem BAG hat teilweise Erfolg.

Die Klage sei zunächst zulässig. Versorgungsberechtigte Arbeitnehmer hätten grundsätzlich die Möglichkeit, einen Versorgungsanspruch auf Grundlage einer konkret benannten Versorgungsordnung geltend zu machen und damit den Streitgegenstand einer Klage zu begrenzen. Die Rechtskraft des Vorprozesses stehe der Klage somit nicht entgegen. Es handele sich vielmehr um einen anderen Streitgegenstand, da sich der Kläger auf eine andere Versorgungsordnung stütze. Jede Versorgungsordnung bilde einen eigenen Lebenssachverhalt.

Die Klage und damit auch die Revision sei aber (nur) teilweise begründet. Der Kläger habe zwar einen Anspruch auf Zahlung der Versorgungsleistungen nach der für ihn günstigeren Versorgungsordnung. Auf diesen Anspruch müsse er sich aber den Teil der Leistungen aus derBVV-Versorgung, die auf Arbeitgeberbeiträgen beruhen, anrechnen lassen. Die unwirksame Betriebsvereinbarung sei gem.  § 140 BGB  in eine Gesamtzusage umzudeuten. Ein Ausschluss des Arbeitnehmers von der Gesamtzusage über eine Einzelzusage sei grundsätzlich zulässig. Dies gelte insbesondere, wenn diese Vereinbarung auf Wunsch des Arbeitnehmers getroffen wurde. Die Berufung auf die Einzelzusage unterliege aber der Ausübungskontrolle nach § 242 BGB. Nach § 241 Abs. 2 BGB sei der Arbeitgeber verpflichtet, die Einzelabrede mit dem Arbeitnehmer nochmals zu erörtern und ihm eine Änderung oder Aufhebung der Einzelvereinbarung vorzuschlagen, wenn später eine wider Erwarten günstigere Gesamtabrede für alle anderen Arbeitnehmer getroffen werde. Bei Unterlassen einer solchen Erörterung könne sich der Arbeitgeber nicht auf die für den Arbeitnehmer ungünstige Einzelzusage berufen.

Gleiss Lutz kommentiert

Eine Herausnahme einzelner Arbeitnehmer aus kollektiven Versorgungsordnungen ist nicht zu empfehlen, sinnvoller sind entsprechende Anrechnungsregeln. Werden einzelne Arbeitnehmer dennoch auf Basis einer bereits bestehenden Einzelzusage aus dem Anwendungsbereich einer Gesamtzusage ausgenommen, können sich Arbeitgeber jedenfalls nicht ohne weiteres auf solche Einzelzusagen berufen, wenn dadurch der Arbeitnehmer schlechter stehen würde. Den Arbeitgeber trifft dann die Pflicht, Verhandlungen mit betroffenen Arbeitnehmern aufzunehmen und die Möglichkeit einer Versorgung über die Gesamtzusage wieder zu eröffnen. Kommt der Arbeitgeber dem nicht nach, sind betroffene Arbeitnehmer so zu stellen, wie sie bei Einbeziehung in den Anwendungsbereich der Gesamtzusage stehen würden. Bereits gewährte Leistungen gemäß der Einzelzusage sind anzurechnen.

Das gefundene Ergebnis überzeugt bereits aus Gründen der Gleichbehandlung.

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