Arbeitsrecht

Keine Änderung einer individuell ausgehandelten arbeitsvertraglichen Bezugnahmeklausel durch Betriebsvereinbarung

Individuell ausgehandelte Vergütungsregelungen sind keine (kontrollfähigen) AGB und daher – mangels „Betriebsvereinbarungsoffenheit“ – grundsätzlich nicht zum Nachteil des Arbeitnehmers durch Betriebsvereinbarung abänderbar.

BAG, 11. April 2018 – 4 AZR 119/17

Die Parteien stritten über die Frage, ob dem Kläger eine Vergütung nach Maßgabe eines der aktuellen Gehaltstarifverträge für den Öffentlichen Dienst zustehe. Der Kläger war bei der Beklagten bzw. ihrer Rechtsvorgängerin als Masseur in einem Senioren- und Pflegezentrum beschäftigt. In einer Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag von Dezember 1992 verständigte sich die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit dem Kläger auf eine Reduzierung der Arbeitszeit. In der Vereinbarung heißt es, die Vergütung betrage „monatlich in der Gruppe BAT V c/3 = DM 2.527,80 brutto“. Im Februar 1993 schlossen die Rechtsvorgängerin der Beklagten und der bei ihr gebildete Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung. Danach sollten in ihrem Anwendungsbereich „analog die für die Angestellten des Bundes und der Länder vereinbarten Bestimmungen des Lohn- und Vergütungstarifvertrags – BAT vom 11. Januar 1961“ gelten. Ihre Bestimmungen sollten automatisch Bestandteil von Arbeitsverträgen werden, die vor Februar 1993 geschlossen worden waren. Wie von der Betriebsvereinbarung vorgesehen, unterzeichneten die Rechtsvorgängerin der Beklagten und der Kläger im März 1993 einen entsprechenden Nachtrag zum Arbeitsvertrag. Dieser sah vor, dass die Bestimmungen der Betriebsvereinbarung die zugehörigen Regelungen des Arbeitsvertrags außer Kraft setzen sollten, während alle Vertragsbestimmungen, die durch die Betriebsvereinbarung nicht geregelt waren, ihre Gültigkeit behalten sollten.

Im Jahr 2016 – die Beklagte hatte die Betriebsvereinbarung zwischenzeitlich gekündigt und der BAT war ausgelaufen – vereinbarten die Parteien im Zusammenhang mit einer Arbeitszeiterhöhung, dass das Gehalt des Klägers „entsprechend der 0,78 Stelle auf 1.933,90 EUR erhöht“ werde und „alle übrigen Bestandteile des bestehenden Arbeitsvertrages … unverändert gültig“ blieben. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, ihm stehe aufgrund arbeitsvertraglicher dynamischer Bezugnahme eine Vergütung nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst in der für die kommunalen Arbeitgeber geltenden Fassung (TVöD/VKA) bzw. dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) zu. Die Beklagte meinte, eine dynamische Bezugnahme auf die vom Kläger herangezogenen Tarifwerke liege nicht vor. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Vor dem BAG war der Kläger erfolgreich. Nach Auffassung des BAG, dessen Entscheidung bisher nur in Form der Pressemitteilung vorliegt, ist die Beklagte verpflichtet, den Kläger nach der jeweiligen Entgelttabelle des TVöD/VKA zu vergüten. Der Kläger und die Rechtsvorgängerin der Beklagten hätten die Vergütung nach den jeweils geltenden Regelungen des BAT und nachfolgend des TVöD/VKA arbeitsvertraglich vereinbart. Die (noch nachwirkende) Betriebsvereinbarung aus dem Jahr 1993 habe nicht vermocht diese Vereinbarung abzuändern. Die arbeitsvertragliche Vergütungsabrede unterläge bereits deshalb nicht der Abänderung durch eine kollektivrechtliche Regelung, weil es sich nicht um eine allgemeine Geschäftsbedingung, sondern um eine individuell vereinbarte, nicht der AGB-Kontrolle unterworfene Regelung der Hauptleistungspflicht handele. Wie das BAG in diesem Zusammenhang den vereinbarten Nachtrag zum Arbeitsvertrag aus dem März 1993 bewertet, ist der Pressemitteilung nicht zu entnehmen. Die vom LAG aufgeworfene Frage der – generellen – Betriebsvereinbarungsoffenheit von allgemeinen Geschäftsbedingungen in Arbeitsverträgen ließ das BAG mangels Entscheidungserheblichkeit dahinstehen.

Gleiss Lutz Kommentar                                                                                

Es stellte sich im vom BAG entschiedenen Fall die Frage, ob eine individualvertraglich dynamisch in Bezug genommene Tarifvergütung durch eine Betriebsvereinbarung verschlechtert werden kann. Das ist möglich, wenn im Arbeitsvertrag ausdrücklich eine „Betriebsvereinbarungsoffenheit“ dieser Regelung vereinbart ist. Fehlt eine solche Klausel, soll diese allerdings – zu Recht – bezüglich „allgemeiner Arbeitsbedingungen mit kollektivem Bezug“ stillschweigend („konkludent“) in Arbeitsverträge hineingelesen werden können (BAG, NZA 2013, 916). Ob diese Rechtsprechung richtig ist, lässt der 4. Senat im vorliegenden Urteil ausdrücklich dahingestellt. Möglich war das, weil nach Ansicht des Senats eine Betriebsvereinbarung eine arbeitsvertragliche Vergütungsabrede bereits dann nicht verschlechtern könne, wenn es um eine individuell vereinbarte, nicht der AGB-Kontrolle unterworfene Regelung der Hauptleistungspflicht geht (§ 307 Abs. 2 Satz 1 BGB). Dem ist zuzustimmen.

Weiterleiten
Kompetenz