Arbeitsrecht

Kein Freizeitausgleich durch bloße Freistellung

Wird ein Arbeitnehmer in einem gerichtlichen Vergleich für die Dauer der Kündigungsfrist unter Anrechnung der noch bestehenden Urlaubsansprüche freigestellt, erfüllt der Arbeitgeber damit nicht zugleich seine aus der vereinbarten Führung eines Arbeitszeitkontos folgende Pflicht zum Abbau des Arbeitszeitkontos iSd. § 362 Abs. 1 BGB.

BAG, Urteil vom 20. November 2019 ­­– 5 AZR 578/18

Abbau eines Arbeitszeitkontos

Der Abbau eines Arbeitszeitkontos richtet sich nach der Vereinbarung, die der Führung des Arbeitszeitkontos zu Grunde liegt (Arbeitsvertrag, Betriebsvereinbarung oder Tarifvertrag). Üblicherweise werden Guthaben auf Arbeitszeitkonten durch die Gewährung von Freizeit ausgeglichen, seltener durch Geldleistung. Darüber wie mit einem Positiv- oder Negativsaldo auf dem Arbeitszeitkonto im Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses umzugehen ist, können die Arbeitsvertragsparteien eine Vereinbarung treffen. Wenn nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart ist, ist das Arbeitszeitkonto spätestens mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszugleichen. Ein Freizeitausgleich ist nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr möglich, da mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses regelmäßig die Schließung des Arbeitszeitkontos einhergeht. Ein Guthaben auf dem Arbeitszeitkonto ist dann durch Geldleistung auszugleichen.

Streit über die Abgeltung eines Zeitguthabens

Nachdem die beklagte Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristlos gekündigt hatte, schlossen die Parteien im Kündigungsschutzprozess einen gerichtlichen Vergleich, wonach das Arbeitsverhältnis durch ordentliche Arbeitgeberkündigung mit Ablauf des 31. Januar 2017 endete. Bis dahin stellte die Beklagte die Klägerin unwiderruflich von der Pflicht zur Erbringung ihrer Arbeitsleistung frei. Dazu heißt es in dem geschlossenen Vergleich:

„Die Beklagten stellen die Klägerin unwiderruflich von der Pflicht der Erbringung der Arbeitsleistung bis einschließlich 31.1.2017 unter Fortzahlung der vereinbarten Vergütung frei. Urlaubsansprüche der Klägerin für 2016 und 2017 werden mit der Freistellung in Natura gewährt.“

Der Vergleich enthält keine allgemeine Abgeltungs- bzw. Ausgleichsklausel. Das für die Klägerin elektronisch geführte Arbeitszeitkonto wies zuletzt ein Guthaben von 67,10 Stunden auf. Die Abgeltung dieses Guthabens macht die Klägerin geltend.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Arbeitsgericht hat der Klage der Arbeitnehmerin stattgegeben, das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung der beklagten Arbeitgeberin die Klage abgewiesen. Die vom Bundesarbeitsgericht zugelassene Revision der Klägerin hatte Erfolg und führte zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Die Klägerin habe einen Anspruch auf Abgeltung ihres Guthabens. Dieser Anspruch sei nicht durch die unwiderrufliche Freistellung der Klägerin erfüllt worden. Mit der Freistellung habe die beklagte Arbeitgeberin nur ihre Verpflichtung aus dem gerichtlichen Vergleich erfüllt. Die bloße Freistellung als solche reiche nicht aus, um die Pflicht der Arbeitgeberin, das Arbeitszeitkonto durch Freizeitausgleichs abzubauen, zu erfüllen. Zum Abbau eines Arbeitszeitkontos durch Freizeitausgleich sei eine Freistellung nur dann geeignet, wenn der Arbeitnehmer erkennen könne, dass der Arbeitgeber ihn (auch) zu Erfüllung seines Anspruchs auf Freizeitausgleich von der Arbeitspflicht freistellen will. Daran fehlte es vorliegend. Der Vergleich regelt weder ausdrücklich noch konkludent, dass die Freistellung neben der Urlaubsabgeltung auch dem Abbau des Arbeitszeitkontos dienen soll.

Darüber hinaus enthält der Vergleich auch keine Abgeltungs- bzw. Ausgleichsklausel, die regelt, dass mit Abschluss des Vergleichs alle (finanziellen) Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung abgegolten sind.

Der Abgeltungsanspruch der Klägerin sei auch nicht aufgrund der arbeitsvertraglichen Ausschlussfrist entfallen. Das Bundesarbeitsgericht entschied bereits im Jahr 2018, dass ein zugunsten des Arbeitnehmers auf dem Arbeitszeitkonto vorbehaltlos ausgewiesenes Guthaben, das bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht durch Freizeit oder durch Geldleistung ausgeglichen wurde, streitlos gestellt ist und nicht innerhalb einer anwendbaren Ausschlussfristen geltend gemacht werden muss (BAG, Urteil vom 20. Juni 2018 – 5 AZR 262/17). 

Gleiss Lutz kommentiert

Das Bundesarbeitsgericht führt seine bisherige Rechtsprechung zu Arbeitszeitkonten und Freizeitausgleich fort. Es verlangt von Arbeitgebern eine explizite Klarstellung, welche offenen Ansprüche des Arbeitnehmers mit seiner Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung erfüllt werden sollen. Dies gilt sowohl für gerichtliche Vergleiche als auch für Aufhebungsvereinbarung. Anders als Urlaubsansprüche können Freizeitausgleichsansprüche auch durch eine widerrufliche Freistellung erfüllt werden (BAG, Urteil vom 19. Mai 2009 – 9 AZR 433/08). Soll das Guthaben eines Arbeitszeitkontos durch die (unwiderrufliche) Freistellung ausgeglichen werden, dann muss dies allerdings explizit geregelt werden. Ist eine vollständige Streitbeilegung, d. h. eine abschließende Regelung sämtlicher Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung gewollt, dann sollte zur Sicherheit immer auch eine umfassende Abgeltungs- bzw. Ausgleichsklausel in den Vergleich oder die Aufhebungsvereinbarung aufgenommen werden.

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