Automotive & Mobility

Historische Herausforderungen und rechtlicher Handlungsbedarf für die Automobilindustrie als Folge der COVID-19-Pandemie

Risiken (er)kennen und vermeiden („Corona-Krisen-Compliance“) /
Chancen jetzt nutzen

Die COVID-19-Pandemie und ihre Folgen stellt die gesamte Branche vor historische Herausforderungen. Gesunkene Absatzzahlen, massive Verluste, das „Verbrennen“ von Liquidität, bestehende oder drohende Liquiditätsengpässe und zusätzlich benötigte Finanzierungen sowie ein verändertes Kundenverhalten sind unmittelbare Folgen der Corona-Krise. Hinzu kommt der bereits begonnene rasant fortschreitende technologische Wandel in einem globalen Wettbewerbsumfeld, der zu strategischer Neuausrichtung zwingt und mittel- oder langfristig die Fortführungsfähigkeit von Unternehmen oder Teilen davon in Frage stellt. Der Gesetzgeber hat nach dem „Lock-Down“ im März 2020 mit staatlichen Kredit- und Konjunkturprogrammen reagiert und die Pflicht, Insolvenzanträge zu stellen, vorübergehend eingeschränkt. Diese (vorübergehenden) Hilfen ändern nichts an den grundlegenden Herausforderungen, denen sich die Unternehmen stellen müssen: Sie müssen ihre Finanzierung und Kreditfähigkeit sichern und die strategische Neuausrichtung unter angepassten Bedingungen vorantreiben. Dabei sind juristische Vorgaben und weitreichende Haftungsrisiken insbesondere für die Geschäftsleiter zu beachten. Diese sind vielfach nicht (ausreichend) bekannt. Durch bewährte Überwachungsmaßnahmen („Corona-Krisen-Compliance“) lassen sich Risiken identifizieren und vermeiden. Auch bei der strategischen Neuausrichtung und damit zusammenhängenden Reorganisationen und Transaktionen gilt es rechtliche Risiken zu kennen und zu vermeiden, damit die bestehenden Chancen erfolgreich genutzt werden können. Häufig ist dafür ein früh- bzw. rechtzeitiges Handeln erforderlich.

COVID-19 als Brandbeschleuniger für eine Industrie im Umbruch

Aktuellen Studien zufolge werden weltweit in den Jahren 2020 bis 2022 ca. 40-45 Mio. weniger Fahrzeuge hergestellt. Damit sind die Auswirkungen der Corona-Krise mehr als dreimal so groß, wie die der Finanzkrise in den Jahren 2008/2009, mit damals lediglich 12 Mio. weniger hergestellten Fahrzeugen. In Europa sind die Verkaufszahlen für Kraftfahrzeuge im April 2020 im Vergleich zum Vorjahr um 84 % eingebrochen. Während in China eine sehr schnelle Markterholung erkennbar ist, gehen Experten für Europa von einer nur langsamen Erholung aus.

Der technologische Wandel in der Automobilindustrie ist zudem in vollem Gange. Hersteller und Zulieferer sind von den rasanten Änderungen, vor allem im Bereich der E-Mobilität und intelligenter Fahrzeuge, kombiniert mit globalem Wettbewerbsdruck und regulatorischen Einschränkungen für Verbrennungsmotoren, in besonderem Maße bedroht. Es ist davon auszugehen, dass sich dieser Vorgang weiter beschleunigen wird – auch die COVID-19 bedingten wochenlangen Schließungen fast aller europäischen Automobilwerke, der schwache Absatz von Neufahrzeugen sowie ungewisse Nachholeffekte sprechen für eine solche Entwicklung. Hinzu kommen die Gefahr eines erneuten Stillstands der Produktion aufgrund einer zweiten Infektionswelle sowie zusätzlicher Kostendruck wegen der zurückgegangenen Nachfrage. Die schon vor Ausbruch von COVID-19 spürbaren disruptiven Veränderungen werden dadurch noch verstärkt und erhöhen die Dringlichkeit des bereits zuvor bestehenden Anpassungsbedarfs. Rechtzeitiges Handeln kann hier über den Fortbestand des Unternehmens entscheiden.

Notwendige Corona-Krisen-Compliance: Risiken (er)kennen und vermeiden 

Um während oder als Folge der COVID-19-Pandemie möglichst rechtssicher durch die kritische Phase zu steuern, ist es unerlässlich, dass sich die Geschäftsleitung mit den Handlungspflichten, auf die sie in einer solchen Situation trifft, vertraut macht. Hierbei sind einige Modifikationen der gesetzlichen Regelungen zu beachten, die der Gesetzgeber in Reaktion auf die COVID-19-Pandemie mit dem sog. COVInsAG (COVID-19-Insolvenzaussetzungsgesetz) eingeführt hat. Mit dem COVInsAG soll Unternehmen, die infolge der COVID-19-Pandemie in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten, unter bestimmen Voraussetzungen die vorläufige Fortführung ermöglicht und die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt werden (Lesen Sie mehr in unserer Mandanteninformation Gesetzliche Erleichterungen im Insolvenzrecht und für Restrukturierungen). Das COVInsAG löst die Haftungsgefahren jedoch nicht auf. Im Gegenteil. Für die Geschäftsleiter bestehen weiterhin weitreichende Haftungsrisiken, wenn sie nicht die Einhaltung der teilweise geänderten Handlungspflichten durch ein bewährtes Programm zur Corona-Krisen-Compliance überwachen und dokumentieren. Soweit die Insolvenzantragspflicht suspendiert ist – derzeit bis zum 30. September 2020 und aufgrund der diskutierten Verlängerung möglicherweise auch bis März 2021, bedarf es einer kontinuierlichen Überwachung, ob die Voraussetzungen der Aussetzung vorliegen. Gleichfalls sind unter stetigem Monitoring der Insolvenzgründe die (eingeschränkten) Zahlungsverbote zu beachten und deren Einhaltung zu dokumentieren. Weitere zivil- und strafrechtliche Verpflichtungen sowie Haftungsrisiken lässt das COVInsAG zudem völlig unberührt. Generell bleiben die Geschäftsleiter verpflichtet, alle notwendigen Maßnahmen zur Überwindung der Krise zu treffen. Zur Sicherung der Liquidität sind ggf. staatliche Unterstützungsmaßnahmen, wie z. B. Liquiditätshilfen unter dem „KfW Sonderprogramm 2020“ rechtzeitig zu beantragen. Hierbei sind einige „Roadblocks“, insbesondere für Unternehmen mit bestehenden strukturellen Problemen zu beachten (Lesen Sie mehr in unserer Mandanteninformation Rettung durch KfW-Darlehen)

Restrukturierung in gut vorbereiteten gerichtlichen Verfahren als Option oder
„Plan B“

Für den Fall, dass die Voraussetzungen der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zu entfallen drohen, ist rechtzeitig ein „Plan B“ vorzubereiten. Aber auch solange Insolvenzantragspflichten suspendiert sind, bestehen Insolvenzgründe und Antragsrechte weiter. In Abstimmung mit den Eigentümern und ggf. Investoren ist ernsthaft zu prüfen, ob eine Sanierung im gerichtlichen Verfahren in Betracht kommt und Vorteile bietet. Solange der deutsche Gesetzgeber die EU-Richtlinie über den präventiven Restrukturierungsrahmen noch nicht umgesetzt hat – die Umsetzung muss bis spätestens zum 17. Juli 2021 erfolgen, können Schutzschirmverfahren bzw. Eigenverwaltungsverfahren und Insolvenzplanverfahren geeignete Alternativen sein.

Strategische Neuausrichtung: Chancen durch rechtzeitigen „Restart“ nutzen

Die Investitionsbereitschaft vieler Unternehmen wird durch die Corona-Krise nur kurzfristig zurückgehen. Mittel- bis langfristig erwarten Marktexperten eine Zunahme von M&A-Aktivitäten für „C.A.S.E. Deals“ sowie den Ausbau von strategischen Partnerschaften für batteriebetriebene Fahrzeuge. Vor dem Hintergrund des sich durch die COVID-19-Pandemie drastisch beschleunigenden Wandels werden viele Zuliefererunternehmen dazu gezwungen, den „Restart“ jetzt aktiv zu gestalten und zu sichern. Ein Bündel an Maßnahmen ist erforderlich:

  • Sicherung der mittel- bis langfristigen Finanzierung des Unternehmens,
  • strategische Neuausrichtung,
  • Anpassen von Personal- und Kostenstrukturen,
  • Schließen von Kompetenzlücken,
  • Trennung von Geschäftsbereichen sowie
  • Erwerb von Unternehmen oder (strategischen) Beteiligungen.

Auch aus rechtlicher Sicht ist Inhabern und Managern zu empfehlen, unverzüglich zu handeln. Je eher gehandelt wird, desto rechtssicherer kann eine Transaktion, Restrukturierungsmaßnahme oder Reorganisation gestaltet werden, beispielsweise die Separierung von „alten“ gefährdeten Geschäftsbereichen und innovationsträchtigen und zukunftsfähigen Geschäftsbereichen. Das gilt jetzt umso mehr, da der Gesetzgeber mit dem COVInsAG eine Vielzahl von befristeten Regelungen geschaffen hat, die z. B. bei der Trennung von Geschäftsbereichen (Carve Out- und M&A-Transaktionen) genutzt werden können, um die Transaktion und beteiligte Unternehmen auch für den Fall eines Worst-Case-Szenario (spätere Insolvenz eines beteiligten Unternehmens) zu schützen (Ringfencing).

Fazit: Corona-Krisen-Compliance zur Absicherung und im Übrigen den Blick nach vorne richten!

Aufgrund der COVID-19-Pandemie haben die ohnehin vom Wandel betroffenen Unternehmen der Automobil(zulieferer)industrie zusätzliche Herausforderungen zu meistern. Mit der adäquaten Corona-Krisen-Compliance lassen sich aktuelle Haftungsrisiken vermeiden. Im Übrigen gilt es, die Finanzierung und Fortführung des Unternehmens zu sichern und die strategische Neuausrichtung voranzutreiben – auch durch geeignete Restrukturierungen, Reorganisationen und Transaktionen. Inhaber und Manager dürfen nicht zu lange warten, sondern müssen rasch und entschlossen handeln, um sich rechtzeitig zukunftssicher aufzustellen!

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