Compliance & Investigations

Noch Chancen für Compliance bei Einsatz freier Auftragnehmer? – Neues vom BSG für die Praxis

Freie Auftragnehmer längerfristig so einzusetzen, dass sie nicht scheinselbständig sind, wird immer mehr zum Glücksspiel. Die Sozialversicherungsträger haben in jüngster Zeit ihre Prüfungstätigkeit deutlich intensiviert, immer häufiger steht das Hauptzollamt vor der Tür. Mit einer jüngeren Entscheidung scheint das Bundessozialgericht den Spielraum noch weiter zu verengen, eine Entscheidung aus März diesen Jahres lässt indes hoffen.

I. Urteil des BSG vom 18. November 2015

Nachdem der 12. Senat des BSG zunächst mit Urteil vom 31. März 2015 (B 12 KR 17/13 R) einen Rackjobber als selbständigen Auftragnehmer angesehen hatte, entschied er nur rund ein halbes Jahr später, nämlich am 18. November 2015 (B 12 KR 16/13 R), umgekehrt auf abhängige Beschäftigung. Letztere Entscheidung hat zu Recht einige Aufregung verursacht, denn das BSG schien mit einigen zentralen Grundsätzen der Abgrenzung zu brechen:

1. Sozialversicherungspflichtige Beschäftigung

Immerhin gesteht das BSG dem im Vertrag dokumentierten Willen der Vertragsparteien, keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung begründen zu wollen, Indizwirkung für eine selbständige Tätigkeit zu, sie kann bei der Gesamtabwägung „das Zünglein an der Waage" sein. Eine entsprechende Regelung sollte daher in keinem Vertrag mit Selbständigen fehlen.

2. Entgeltfortzahlung im Krankheits- bzw. Urlaubsfall

Keine weitergehende Bedeutung misst der Senat allerdings Regelungen zu, nach denen keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaub bzw. kein Urlaubsgeld gezahlt wird und der Auftragnehmer verpflichtet ist, Einnahmen selbst zu versteuern und für Sozial- und Krankenversicherung selbst zu sorgen. Auch das soll nur denselben Willen der Vertragsparteien zum Ausdruck bringen. Die Aufnahme auch dieser Regelungen ist daher aber unverändert sinnvoll.


3. Nebentätigkeit und Ablehnung von Auftragsangeboten

Irritierend ist die Ausführung des Senates, wenig bedeutsam sei das Recht des Auftragnehmers, Auftragsangebote der Auftraggeberin abzulehnen und auch für andere Auftraggeber tätig zu sein. Das waren bisher wesentliche Argumente für eine freie Tätigkeit, darauf beruhte auch die bewährte Gestaltung mit einem Rahmenvertrag und darauf basierenden Einzelaufträgen, die der Auftragnehmer frei annehmen oder ablehnen kann. Zur Begründung meint der Senat, die Situation vor Annahme eines Auftrags stelle sich letztlich nicht anders dar als für einen Arbeitssuchenden, dem es ebenfalls freistehe, eine ihm angebotene Arbeitsgelegenheit anzunehmen oder nicht. Der Vergleich hinkt ersichtlich, denn Arbeitssuchende sind ja gerade keine abhängig Beschäftigten. Unverändert sollte das Recht, Aufträge abzulehnen, aufgenommen und gegen eine abhängige Beschäftigung angeführt werden.

4. Frei gestaltete Tätigkeit

Eine im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit soll nur noch auf Selbständigkeit hindeuten, wenn sie tatsächlich Ausdruck eines fehlenden Weisungsrechtes ist und nicht nur „Folge der Übertragung größerer Eigenverantwortung bei der Aufgabenerledigung auf den einzelnen Arbeitnehmer bei ansonsten fortbestehender funktionsgerecht dienender Teilhabe am Arbeitsprozess". Hier wird das Kernkriterium der Weisungsfreiheit entwertet, ohne dass erkennbar ist, welchen Fall der Senat eigentlich im Auge hat. Für die Gestaltung ist nach wie vor auf im Wesentlichen weisungsfreie Tätigkeit zu achten.

Ist der Auftragnehmer, was Arbeitsort und/oder Arbeitszeit angeht, nicht weisungsgebunden, ergibt sich beides aber aus der Natur der Tätigkeit, so soll diese fehlende Weisungsgebundenheit kein Indiz gegen eine abhängige Beschäftigung sein. Selbst wenn die Tätigkeit mit weiteren, verantwortungsvolleren Aufgaben angereichert und mit größeren Möglichkeiten eigenverantwortlicher Gestaltung bei der Umsetzung des Auftrags versehen wird, soll das noch nicht gegen eine abhängige Beschäftigung sprechen, solange der Auftragnehmer das nicht zur Steigerung seiner Verdienstchancen nutzen kann.

5. Einsatz Dritter als Erfüllungsgehilfen

Starkes Indiz für eine freie Tätigkeit war bisher das Recht des Auftragnehmers, zur Durchführung von Aufträgen auch Dritte als Erfüllungsgehilfen einzusetzen. Der Senat sieht darin jedoch nur noch eines von mehreren im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigenden Indizien gegen die Annahme eines Arbeitsverhältnisses, die Delegation der geschuldeten Leistung auf Dritte müsse im Einzelfall schon prägend für eine selbständige Tätigkeit sein, insbesondere muss der Auftragnehmer realistischerweise überhaupt davon Gebrauch machen können. Insoweit bietet es sich aus Auftraggebersicht an, Auftragnehmer auch ausdrücklich zu ermuntern, Dritte bei der Ausführung des Auftrages einzusetzen. Natürlich muss das im Auftrag selbst auch ausdrücklich zugelassen werden.

6. Unternehmerrisiko und darauf resultierende Chancen

Unternehmerrisiko und daraus resultierende Chancen sind schon immer ein gewichtiges Argument für eine freie Mitarbeit. Dafür soll es, so der Senat, allerdings nicht ausreichen, wenn nur das Risiko besteht, außerhalb der Erledigung einzelner Aufträge zeitweise die eigene Arbeitskraft nicht verwerten zu können. Denn, auch Arbeitnehmern würden bezüglich Arbeitsort- und Arbeitzeitgestaltung zunehmende Freiheiten eingeräumt. Deshalb erwägt der Senat, dass Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft zukünftig nur noch dann als Indiz für Selbständigkeit angesehen werden können, wenn gerade hieraus vergrößerte Verdienstchancen erwachsen. Es bestehen allerdings schon erhebliche Zweifel, ob die Beobachtungen des Senates zur modernen Arbeitswelt zutreffen, für die er sich auf das Grünbuch Arbeiten 4.0 bezieht. Zudem können erhöhte Freiheiten in einzelnen Arbeitsverhältnissen nicht dazu führen, dass Selbständige nur deswegen zu Arbeitnehmern werden. Trotz dieser Ausführungen des Senates ist bei der Vertragsgestaltung und –umsetzung nach wie vor die Weisungsfreiheit sicherzustellen.

Die Nutzung seines Autos, PC, Telefax und Handy für die berufliche Tätigkeit soll nur noch ein unternehmerisches Risiko des Auftragnehmers begründen, wenn diese Gegenstände gerade im Hinblick auf die ausgeübte Tätigkeit angeschafft, hierfür eingesetzt und das hierfür aufgewandte Kapital bei Verlust des Auftrags und/oder ausbleibender weiterer Aufträge als verloren anzusehen wäre. Dies könne jedenfalls bei Gegenständen, die heute auch in den meisten Haushalten beschäftigter oder nicht erwerbstätiger Personen ohnehin regelmäßig zur privaten Nutzung vorhanden sein, nicht ohne spezielle diesbezügliche ­Tatsachenfeststellung unterstellt werden. Für die Praxis hilfreich ist es daher, wenn der Auftragnehmer bestimmte Software oder Apps oder auch bestimmte Bürogeräte oder in besondere Weise für die berufliche Tätigkeit ausgestattete Fahrzeuge nutzt.

7. Honorierung

Vorteilhaft - und das entspricht der bisherigen Rechtsprechung - ist die Honorierung des Auftragnehmers abhängig vom
Arbeitsergebnis und Erfolg (z. B. von Umsatz- und Verkaufszahlen, gestaffelte Provision usw.), nachteilig hingegen die Vergütung vornehmlich nach dem zeitlichen Umfang des geleisteten Arbeitsaufwandes. Dieser Gesichtspunkt spielt auch bei den Prüfungen durch die Rentenversicherungsträger eine ganz erhebliche Rolle, sodass auch hierauf bei der Gestaltung zu achten ist.

II. Urteil des BSG vom 31. März 2017

Nicht wenige haben sich nach dieser Entscheidung gefragt, wo überhaupt noch Raum für eine selbständige Tätigkeit bleibt. Das Urteil des - zwischenzeitlich anders besetzten - 12. Senates vom 31. März 2017 (B 12 R7/15 R) schwenkt hier auf ein für die Praxis eher umsetzbares Maß zurück. Die Entscheidung betraf einen Erziehungsbeistand nach § 30 SGB VIII, dem der Senat Selbständigkeit bescheinigte. Auch wenn dies sicherlich ein spezieller Fall ist, gehen viele Ausführungen des Senates in ihrer Allgemeinheit weit darüber hinaus:

1. Unternehmerrisiko

Schon zum Unternehmerrisiko ist die Betonung nun eine andere: bei reinen Dienstleistungen, die im Wesentlichen nur Know-how sowie Arbeitszeit und Arbeitsaufwand voraussetzen, ist unternehmerisches Tätigwerden nicht mit größeren Investitionen in Werkzeuge, Arbeitsgeräte oder Arbeitsmaterialien verbunden. Das Fehlen solcher Investitionen fällt damit bei reinen Dienstleistungen nicht ins Gewicht für eine (abhängige) Beschäftigung und gegen unternehmerisches Tätigwerden. Auch ohne solche Investitionen kann daher eine freie Mitarbeit vorliegen.

Teil des unternehmerischen Risikos kann auch die Unterhaltung einer eigenen Betriebsstätte sein. Der Senat stellt auch insoweit klar: wenn eine solche Betriebsstätte bei Tätigkeit der fraglichen Art zu erwarten und/oder notwendig ist, mag das so sein. Es ist aber auch unschädlich, wenn bei reinen Dienstleistungen keine solche Betriebsstätte besteht. Auch ohne eine solche Betriebsstätte kann daher eine selbständige Tätigkeit vorliegen.

Entstand nach der Entscheidung vom 18. November 2015 der Eindruck, dass die Nutzung von Auto, PC und Mobiltelefon, soweit sie auch privat erfolgt, gegen ein unternehmerisches Risiko spricht, so führt der Senat nunmehr aus, dass es nicht gegen Selbständigkeit spricht, wenn diese nicht speziell und gerade im Hinblick auf die berufliche Tätigkeit angeschafft wurden, es ist einfach nur unerheblich.

2. Einsatz Dritter als Erfüllungsgehilfen

Klang es nach der Entscheidung vom 18. November 2015 so, als führe die Verpflichtung zur höchstpersönlichen Leistungserbringung zur abhängigen Beschäftigung, so führt der Senat nunmehr aus, dass eine solche Verpflichtung nur dann als gewichtiges Indiz für abhängige Beschäftigung und gegen eine Selbständigkeit anzusehen ist, wenn diese nicht den Eigenarten und besonderen Erfordernissen der vertraglichen Leistung geschuldet ist: „Gerade bei Tätigkeiten, deren Erfolg ein besonderes Vertrauen über einen gegebenenfalls längeren Zeitraum oder aber eine besondere Expertise voraussetzt, ist die Leistungserbringung durch eine bestimmte Person häufig als Vertragsinhalt an zu sehen." Selbständige Tätigkeit kann also auch vorliegen, wenn der Auftragnehmer zur höchstpersönlichen Leistungserbringung verpflichtet ist (!). Das könnte bei dem Einsatz von IT-Dienstleistern für die Praxis erhebliche Bedeutung gewinnen. Gleichwohl empfiehlt es sich natürlich, wie oben ausgeführt, im Vertrag die Berechtigung zur Leistungserbringung durch Dritte zuzulassen und dazu in der Praxis auch zu ermuntern.

3. Honorierung

Musste man aus der Entscheidung vom 18. November 2015 entnehmen, dass die Vereinbarung eines festen Stundenhonorars in aller Regel zu einer abhängigen Beschäftigung führt, so führt der Senat nun aus, dass auch die Vereinbarung eines festen Stundenhonorars nicht zwingend für eine abhängige Beschäftigung spricht. Denn bei reinen Dienstleistungen sei ein erfolgsabhängiges Entgelt aufgrund der Eigenheiten der zu erbringenden Leistung nicht zu erwarten.

Über diese Ausführungen, die die Entscheidung vom 18. November 2015 in ein etwas anderes Licht rücken, enthält das Urteil vom 31. März 2017 auch Ausführungen zu bisher ungeklärten, in der Praxis aber wichtigen Aspekten:

So fragt die deutsche Rentenversicherung Bund in ihren Fragebögen regelmäßig, ob die Honorare jeweils frei ausgehandelt wurden. Nach der neuen Entscheidung kommt es darauf nicht mehr unbedingt an: Bei entsprechender Markt- und Verhandlungsmacht eines Auftraggebers ist die Vergabe von Dienstleistungen zu vom Auftraggeber einseitig festgelegten Konditionen nicht unüblich. Andererseits könne ein freies Aushandeln der Vergütungshöhe auch bei der Anbahnung von Arbeitsverhältnissen außerhalb des Geltungsbereichs von Entgelttarifverträgen oder anderen rechtlichen Vorgaben stattfinden.

4. Kurze Kündigungsfrist

Manche leiten ein mittelbares Weisungsrecht schon daraus ab, dass ein Vertrag nur eine kurze – z.B. 14-tägige – Kündigungsfrist vorsieht: denn der Auftragnehmer werde alle Weisungen des Auftraggebers befolgen, wenn er jederzeit mit einer kurzfristigen Kündigung rechnen müsse. Anders zu Recht der Senat: die Möglichkeit der Unterschreitung der Kündigungsfristen des § 622 BGB ist gerade eine Folge der Vereinbarung eines freien Dienstvertrags anstelle eines Arbeitsvertrags. Es wäre daher ein Zirkelschluss, jeden kurzfristig kündbar freien Dienstvertrag als Arbeitsvertrag auszulegen.

5. Berichte und Treffen mit Auftraggeber

Die Pflicht des Auftragnehmers, alle sechs Monate über die Erreichung der vereinbarten Ziele schriftlich zu berichten, war aus Sicht des Senates gleichfalls unschädlich.

Dasselbe gilt für regelmäßige Treffen der Auftragnehmer mit dem Auftraggeber, solange keine Verpflichtung des Auftragnehmers zur Teilnahme besteht, und insbesondere dann, wenn der konkrete Auftragnehmer tatsächlich an den Besprechungen auch nicht teilgenommen hat.

6. Erstattung von Aufwendungen

Die Erstattung von Aufwendungen wird zum Teil als Indiz für eine abhängige Beschäftigung angesehen, weil der Arbeitnehmer entsprechende Ansprüche hat. Da Anfahrt- oder Wegepauschalen jedoch auch bei selbständigen Handwerkern durchaus verbreitet sind, sollen Fahrtkostenerstattungen auch bei freien Auftragnehmern unschädlich sein.

7. Höhe des Einkommens

Die Höhe des Einkommens spielte für die Statusfrage bisher keine Rolle. Jetzt sieht der Senat ein gewichtiges Indiz für eine selbständige Tätigkeit, wenn das vereinbarte Honorar über dem Arbeitsentgelt eines vergleichbar eingesetzten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten liegt und dadurch Eigenvorsorge zulässt. Das ist ein ganz neuer Gesichtspunkt, der bei hoch bezahlten Spezialisten – z. B. in der IT – das Risiko einer abhängigen Beschäftigung vermindert.

8. Wettbewerbsverbote

Vorsicht ist neuerdings jedoch bei der Vereinbarung von Wettbewerbsverboten angebracht: Das Fehlen eines solchen Verbots ist kein Indiz für die Selbständigkeit, ein bestehendes Wettbewerbsverbot kann aber ein Indiz für abhängige Beschäftigung sein. Davon ist neuerdings daher abzuraten, nicht selten kann auch ausdrücklich aufgenommen werden, dass der Auftragnehmer auch für Wettbewerber tätig sein kann.

Fazit

Sollte sich die Tendenz der Entscheidung vom 31. März 2017 verfestigen, so wäre dies ein wichtiger Schritt zu mehr Berechenbarkeit bei der Gestaltung und Umsetzung von Verträgen mit Selbstständigen, die es den Beteiligten leichter macht, sich auch hier compliant zu verhalten.

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