Die nächste BREXIT-Verhandlungsrunde – Wie geht es weiter?

Auch im neuen Jahr reißen die Fragen rund um den Ablauf des Brexit nicht ab. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob sich die EU und Großbritannien auf eine Übergangslösung einigen können und wie diese ausgestaltet sein könnte. Mit Ablauf der durch das Austrittsgesuch vom 29. März 2017 in Gang gesetzten Zweijahresfrist droht noch immer der „hard Brexit“. Aber auch bei einer zeitlich befristeten Übergangslösung ist noch weitgehend unklar, wie es im Anschluss daran langfristig weitergehen soll. Beide Seiten, die EU und Großbritannien, haben hierzu bereits bestimmte Zielrichtungen zu erkennen gegeben.

 

1. Brexit - die Uhr tickt

Nachdem sich die Brexit-Verhandlungen im Jahre 2017 recht zäh entwickelt haben, hat sich um die Jahreswende ein gewisser Optimismus auf beiden Seiten des Ärmelkanals breitgemacht. Anlass zur Hoffnung gab vor allem die Mitteilung des Europäischen Rates vom 15. Dezember 2017, die einen hinreichenden Fortschritt der Austrittsverhandlungen attestierte, um in die zweite Phase überzugehen: den Verhandlungen über die künftigen (Handels-)Beziehungen. Zuvor hatte der Europäische Rat durch Mitteilung vom 29. April 2017 einen zweiphasigen Verhandlungsansatz vorgegeben. Ratspräsident Tusk bezeichnete die zweite Phase als den schwierigeren Teil, für den nur noch weniger als ein Jahr verbleibt. Bereits jetzt ist absehbar, dass das enge zeitliche Korsett für die Austrittsverhandlungen mit hoher Wahrscheinlichkeit schwer einzuhalten ist.

Leider sind diese zeitlichen Vorgaben auch recht unflexibel. Eine Verlängerung der Zweijahresfrist kann der Europäische Rat nur einstimmig im Einvernehmen mit Großbritannien beschließen (Art. 50 Abs. 3 EU-Vertrag). Allzu verständlich ist es daher, dass man sich nicht nur auf der Insel den Kopf darüber zerbricht, ob es noch andere Möglichkeiten gibt, die Uhr zu stoppen. Stellt man auf die Austrittserklärung ab, so wird erwogen, ob diese „Willenserklärung“ möglicherweise in irgendeiner Form rückgängig gemacht werden kann, z.B. durch Widerruf oder eine Rücknahme des Antrags. Dabei ist umstritten, ob derartige „Notlösungen“ überhaupt durch den geltenden Rechtsrahmen abgedeckt sind. Realistischer erscheint es aus heutiger Sicht vielmehr, dass durch eine befristete Übergangslösung der status quo soweit möglich zumindest faktisch aufrechterhalten werden soll.

 

2. Phase 2 der Verhandlungen – der Blick in die (nahe) Zukunft

Phase eins der Verhandlungen über den Austritt ist weitgehend abgeschlossen; eine erste Einigung wurde am 8. Dezember 2017 bekannt gegeben. Mit der Bestätigung hinreichender Fortschritte in Phase eins hat der Europäische Rat am 15. Dezember 2017 nicht nur den Weg für die zweite Phase der Verhandlungen – den Rahmen der künftigen Beziehungen – geöffnet, sondern zugleich auch Leitlinien hierfür beschlossen, welche die Anforderungen an mögliche Übergangsregelungen als Teil des Austrittsabkommens aus Sicht der EU näher definieren. Für Phase eins hatte der Rat der Rat der Europäischen Union am 22. Mai 2017 zudem detailliertere Verhandlungsrichtlinien vorgegeben. Diese sollen Anfang des Jahres noch in Bezug auf die zweite Phase ergänzt werden. Am 20. Dezember 2017 präsentierte die Kommission hierzu bereits einen konkreten Vorschlag.

 

3. Hinweise von Europäischem Rat und Kommission zu möglichen Übergangsregelungen

Art. 50 des EU-Vertrags sieht eine Übergangsregelung als Teil des Austrittsabkommens nicht explizit vor. Zwar kann damit der Austritt des Vereinigten Königreichs mit Ablauf des 29. März 2019 nicht aufgeschoben werden. Formal handelt es sich bei Großbritannien mit Ablauf des Datums um einen Drittstaat. Dennoch besteht ein gewisser Gestaltungsspielraum, um die Wirkungen des Austritts abzufedern. Dies ist klar im Interesse beider Parteien, die jeweils ausdrücklich betonen, dass sie – post Brexit – eine enge Beziehung zueinander befürworten und anstreben.

Sowohl der Europäische Rat als auch Kommission lassen dabei bereits klare Vorstellungen erkennen, wie mögliche Übergangsvorschriften aus Sicht der EU auszugestalten sind. Zunächst das bekannte Mantra: Es wird unmissverständlich betont, dass nur ein Gesamtpaket ohne „Rosinenpickerei“ für Großbritannien in Betracht kommt. Der Rat unterstützt in seinen Leitlinien vom 15. Dezember 2017 im Grundsatz den Vorschlag der Briten zu einem klar befristeten Übergangszeitraum von etwa zwei Jahren. Die Kommission legt sich in ihrem Vorschlag an den Rat der Europäischen Union zur Ergänzung der Verhandlungsrichtlinien vom 20. Dezember 2017 auf eine maximale Geltungsdauer bis zum 31. Dezember 2020 fest. Verhandlungsgegenstand soll sowohl nach dem Rat als auch der Kommission der gesamte acquis communautaire der EU sein.

Großbritannien soll als Drittstaat in der Übergangszeit bereits nicht mehr in Institutionen und Entscheidungsgremien der EU vertreten sein. Trotzdem sollen alle Vorschriften der EU und ihre Durchsetzungsstrukturen weiterhin auch für Großbritannien gelten, da das Vereinigte Königreich im Übergangszeitraum weiterhin die Vorteile des Gemeinsamen Markts genießen würde. Die Rechtsprechungshoheit der Europäischen Gerichte soll sich deshalb zunächst weiterhin auch auf Großbritannien erstrecken. Ob die Briten bereit sind, auch nur übergangsweise diesen Preis für den vorläufigen Verbleib im Binnenmarkt zu bezahlen, erscheint fraglich und dürfte noch zu hitzigen Diskussionen führen.

 

4. Die Übergangsregelung: Bleibt erstmal alles beim Alten?

Selbst wenn sich die EU mit ihren Vorstellungen von einer zeitlich befristeten Übergangsphase durchsetzt, gibt es Bereiche, die mit dem formellen Austritt am 29. März 2019 unmittelbar einer Änderung unterliegen und nicht durch Übergangsregelungen im Austrittsabkommen aufgeschoben werden können. Hervorzuheben sind hier insbesondere internationale Handelsabkommen. Mit Ablauf des 29. März 2019 ist Großbritannien ein Drittstaat und profitiert nicht mehr automatisch von Handelsbeziehungen und Abkommen der EU mit anderen Drittstaaten. Es ist daher verständlich, dass man sich auf der Insel bereits jetzt umschaut und über künftige Drittlandhandelsbeziehungen Gedanken macht.

In der Theorie ließe sich der Übergangszeitraum unbegrenzt verlängern. Das Primärrecht würde dem wohl nicht entgegenstehen. Auch eine weitere anschließende Phase einer erneuten (abweichenden) Übergangsregelung wäre zumindest denkbar. Allerdings hat EU-Chefunterhändler Barnier bereits deutlich gemacht, dass mit den Übergangsregelungen definitiv mit dem Ende des mehrjährigen Haushaltsrahmens der EU Schluss sein soll. Der Vorschlag der Kommission zur Ergänzung der Verhandlungsrichtlinien hält den 31. Dezember 2020 als Endtermin fest.

 

5. Und wie geht es langfristig weiter?

Wie bereits vom Europäischen Rat in der Mitteilung vom 29. April 2017 quittiert, hat die britische Regierung bereits verlautbart, dass Großbritannien langfristig nicht im Binnenmarkt verbleiben möchte, sondern ein ambitioniertes Freihandelsabkommen mit der EU anstrebt. Realistischer Weise ist jedoch nicht zu erwarten, dass die die wirtschaftliche Integration zwischen den beiden Wirtschaftsblöcken ein annähernd gleiche Qualität haben wird wie bisher. Dies zeigen einige Beispiele:

  • Dies gilt zunächst für den freien Warenverkehr – eine Frage, die weit über die Frage der Zollunion hinausgeht. Das Cassis de Dijon-Prinzip der gegenseitigen Anerkennung – ein Grundpfeiler der Europäischen Wirtschaftsordnung – wird sich in reiner Form in dem Freihandelsabkommen kaum wiederfinden. Nach diesem Grundsatz können Waren, die in einem Mitgliedstaat rechtmäßig in Verkehr gebracht wurden, in allen anderen Mitgliedstaaten frei verkauft werden. Dieses Prinzip geht weit über herkömmliche Regeln in sonstigen Freihandelsabkommen hinaus und war einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren des EU-Binnenmarktes. Es hat zum Abbau zahlreicher sog. nicht-tarifärer Handelshemmnisse (staatliche Genehmigungserfordernisse, Produktstandards, protektionistische Zulassungsregeln, sonstige Beschränkungen, etc.) geführt. Es war auch von herausragender Bedeutung für Investoren, aus Drittstaaten, da sie von einem Mitgliedstaat aus die gesamte EU mit ihren Produkten beliefern könnten, ohne umfangreiche Genehmigungsprozesse in 28 Ländern zu durchlaufen. Die umfassende Warenverkehrsfreiheit à la Cassis de Dijon wird sich jedoch künftig kaum realisieren lassen. Denn dieser Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung beruht auf einer weitgehenden Rechtsharmonisierung durch die EU, die man in London gerade nicht mehr will. Mit (zu) weitgehenden Zugeständnissen an die Briten liefe die EU zudem Gefahr, die einheitlich zu betrachtende und in sich abgestimmte europäische Rechtsordnung zu erodieren. Dies wäre zum Schaden aller verbleibenden 27 Mitgliedstaaten.
     
  • Dies gilt auch, sogar in verstärktem Maße, für den Bereich der Niederlassungs- und Dienstleitungsfreiheit. Hier wollen viele – auch EU-Unternehmen – vor allem den wechselseitigen Zugang für Banken und Versicherungen erhalten. Nach den derzeit geltenden Regeln über die Dienstleistungsfreiheit können Finanzdienstleister, die in einem Mitgliedstaat zugelassen sind, ihre Produkte frei in allen anderen Mitgliedstaaten vertreiben. Und nach den derzeit anwendbaren Regeln über die Niederlassungsfreiheit können Unternehmen ohne wesentliche Einschränkungen (Bankerlaubnis o.ä.) Niederlassungen in anderen Mitgliedstaaten eröffnen („Passporting“). Auch dies beruht natürlich auf der Überlegung, dass alle Institute in der EU den gleichen Regularien unterliegen. Hierzu gehören vor allem die strengen EU-Regeln über die Bankenunion. Die Freizügigkeit der Finanzunternehmen kann nur dann gewährt werden, wenn ein „level playing field“ besteht und alle Wettbewerber den gleichen Spielregeln unterworfen sind. Es kann z.B. nicht sein, dass Londoner Institute einer laxeren Aufsicht unterworfen sind als ihre EU-Konkurrenten (was von der britischen Seite immer wieder also Option ganz offen diskutiert wurde) und dann mit einem erheblichen Wettbewerbsvorteil im Binnenmarkt agieren können.

    Für den Bereich der Finanzdienstleistungen gibt es, anders als im Bereich des Warenverkehrs, auch keine internationalen Abkommen, die als Vorbild dienen könnten. Zwar wird derzeit über einen vereinfachten Anerkennungsmechanismus für Finanzinstitute spekuliert. Ein solches Abkommen sollte aber nach der Vorstellung vieler EU-Stakeholder auch einen Suspensionsmechanismus für finanzmarktrelevante Abmachungen enthalten, und zwar für den Fall, dass ein regulativer oder steuerlicher Unterbietungswettlauf in Gang gesetzt wird. Das schafft Rechtsunsicherheit und zeigt, dass solche Regeln die sehr weitgehende Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit nur schwerlich ersetzen können. Londoner Finanzinstitute, die auf Nummer sicher gehen willen, sollten daher eine Tochtergesellschaft in der EU gründen.
     
  •  Ebenso wenig kann es sein, dass britische Unternehmen ohne Einschränkungen staatliche Förderungen erhalten können (auch dies wurde von den Brexiteers so gefordert), ihre EU-Wettbewerber aber der strengen Beihilfeaufsicht der Generaldirektion Wettbewerb in Brüssel unterliegen. Die Freizügigkeit würde also voraussetzen, dass ein einheitlicher Rechtsrahmen, inklusive Beihilfekontrolle, für alle besteht. Dies würde möglicherweise auch bedeuten, dass britische Staatsbeihilfen in Brüssel (mit-)abgesegnet werden – eine aus Sicht des „Leave“-Lagers kaum erträgliche Vorstellung.
     
  • Einen weiteren zentralen Punkt bildet bekanntlich die Frage, ob und in welchen Umfang sich Großbritannien künftig weiterhin der Rechtsprechung der Europäischen Gerichte unterwerfen wird. Für das Leave-Lager ist dies eine ganz zentrale Glaubensfrage mit quasi-religiösem Charakter, d.h. so etwas soll auf keinen Fall in Frage kommen. Dass das künftige Abkommen ganz ohne Instanz zur Klärung von Streitpunkten auskommen könnte, erscheint jedoch unrealistisch. Das wäre im Übrigen auch nicht im britischen Interesse, da Unternehmen aus dem Vereinigten Königreich schließlich auch ihre Freizügigkeitsrechte durchsetzen wollen, wenn EU-Staaten diese verletzen.

Bereits diese wenigen Punkte illustrieren wie schwierig die Gespräche sein werden. Da die britische Seite viele vorstehend beschriebenen Punkte gerade nicht akzeptieren will („rote Linien“), scheint ein voller Marktzugang unrealistisch. Mit „Bestrafung“ hat dies alles nichts zu tun, sondern es ist die unausweichliche Konsequenz der Tatsache, dass ein voller Marktzugang nur bei einem gleichen „level playing field“ gewährt werden kann. Das würde aber gerade eine Harmonisierung voraussetzen, was London eben wieder nicht will. Das Ganze ähnelt der Quadratur des Kreises.

Die von den EU-Institutionen angedachten, zeitlich befristeten Übergangsregelungen mit einer weitgehenden Fortgeltung des Acquis der EU beantworten die Fragen rund um die langfristige Ausgestaltung des Brexit daher nicht. Es wird vielmehr etwas Zeit gewonnen, um die für den Anschlusszeitraum zur Verfügung stehenden Gestaltungsmöglichkeiten weiter zu sondieren.

6. Was heißt das für die Unternehmen?

Es gibt eigentlich (leider) keinen Grund zur Entspannung. Die Vorstellungen der Verhandlungspartner liegen nach wie vor weit auseinander und die britische Regierung macht nur wenige Anstalten die eigene Bevölkerung auf die Notwendigkeit von Kompromissen einzustimmen. Die jüngste Kabinettsumbildung in Großbritannien und weiterhin vorgebrachte Drohkulissen bis hin zum „Austritt ohne Abkommen“ haben dies alles nicht wahrscheinlicher gemacht.

Auch wenn ein „hard Brexit“ vermieden werden kann, so ist also doch sehr wahrscheinlich, dass das künftige Freihandelsabkommen weit hinter den derzeitigen Integrationsstandard zurückbleibt. An das Gegenteil zu glauben wäre Traumtänzerei. Die Unternehmen müssen sich darauf einstellen.

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