Arbeitsrecht

Müssen jetzt alle Arbeitsverträge geändert werden? Umsetzung der Arbeitsbedingungen-RL zum 1. August 2022

Die „Richtlinie (EU) 2019/1152 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über transparente und vorhersehbare Arbeitsbedingungen in der Europäischen Union“ („Arbeitsbedingungenrichtlinie“) soll eine transparente und vorhersehbare Beschäftigung fördern und führt dazu umfassende Unterrichtungspflichten des Arbeitgebers ein. Am 23. Juni 2022 hat der Bundestag den Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Richtlinie gebilligt. Das Gesetz soll zum 1. August 2022 in Kraft treten. Es bringt einen gewissen Aufwand für Arbeitgeber mit sich. Was ist konkret zu tun?

Was regelt die Arbeitsbedingungenrichtlinie?

Die Arbeitsbedingungenrichtlinie normiert insbesondere weitgehende Unterrichtungspflichten des Arbeitgebers über die wesentlichen Aspekte des Arbeitsverhältnisses und führt zu umfassenden Änderungen im Nachweisgesetz (NachwG). Das NachwG, das bislang eher ein Schattendasein in der arbeitsrechtlichen Praxis geführt hat, wird künftig eine prominentere Rolle spielen. Nach dem Gesetzesentwurf sollen Verstöße gegen Unterrichtungspflichten mit Bußgeldern von bis zu EUR 2.000 geahndet werden.

Welche Arbeitsverträge sind betroffen?

Potentiell sind zwar alle Arbeitsverhältnisse betroffen, initiativ müssen Arbeitgeber aber nur bei Neuverträgen tätig werden:

Neuverträge: Von sich aus handeln müssen Arbeitgeber bei Arbeitsverhältnissen, die ab dem 1. August 2022 beginnen. Hier treffen die Arbeitgeber die weitergehenden Unterrichtungspflichten. Da auf den Bestand des Arbeitsverhältnisses (und nicht auf den Vertragsabschluss) abgestellt wird, gilt dies auch für Arbeitsverträge, die bereits vereinbart wurden, aber erst am oder nach dem 1. August 2022 beginnen.

Altverträge: Arbeitnehmer, die bereits vor dem Stichtag tätig waren, müssen nicht ohne Weiteres, sondern nur auf Verlangen der Arbeitnehmer unterrichtet werden. Nur wenn sie eine Niederschrift ihrer wesentlichen Vertragsbedingungen verlangen, müssen Arbeitgeber tätig werden und die Arbeitnehmer zusätzlich zu dem bestehenden Arbeitsvertrag über die wesentlichen Arbeitsbedingungen schriftlich unterrichten, sofern nicht bereits ein schriftlicher Arbeitsvertrag diese Informationen enthält.

Welche Auswirkungen hat die geplante Gesetzgebung auf die Wirksamkeit und den Inhalt von Arbeitsverträgen?

Verstöße führen nicht zur Unwirksamkeit von Arbeitsverträgen. Auch müssen nicht alle Informationen bereits im Arbeitsvertrag enthalten sein. Es ist auch möglich, Arbeitnehmer in einem separaten Schreiben über die wesentlichen Vertragsbedingungen zu unterrichten. Um bürokratischen Mehraufwand zu vermeiden, dürfte es aber handhabbarer sein, zumindest bei Neuverträgen bereits im Arbeitsvertrag alle erforderlichen Inhalte aufzuführen.

Unterrichtungspflichten des Gesetzesentwurfs mit den größten Auswirkungen umfassen etwa

  • die Pflicht über das Kündigungsverfahren zu informieren. Neben den bislang üblichen Vertragsinhalten wie der zwingenden Schriftform einer Kündigung und der Kündigungsfrist, muss nach dem Gesetzesentwurf künftig auch über die Frist zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage unterrichtet werden. Ein Versäumnis dieser Pflicht soll allerdings nicht dazu führen, dass die dreiwöchige Klagefrist keine Anwendung fände;
  • einen etwaigen Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung;
  • die Zusammensetzung der Vergütung, einschließlich Zusammensetzung und Höhe der Vergütung von Überstunden, der Zuschläge, der Zulagen, Prämien und Sonderzahlungen sowie anderer Bestandteile des Arbeitsentgelts, die jeweils getrennt anzugeben sind, und deren Fälligkeit sowie die Art der Auszahlung;
  • vereinbarte Ruhepausen und Ruhezeiten, bei vereinbarter Schichtarbeit das Schichtsystem, der Schichtrhythmus und Voraussetzungen für Schichtänderungen;
  • die Anordnung und Voraussetzung von Überstunden (sofern vereinbart);
  • Name und Anschrift des Versorgungsträgers bei Zusage einer betrieblichen Altersversorgung.

Schriftformerfordernis in Zeiten der Digitalisierung? 

Bis zuletzt wurde in der Umsetzung intensiv darüber diskutiert, ob auch Nachweise in elektronischer Form zugelassen werden sollen, wie es die Richtlinie explizit vorsieht. Trotz massiver Kritik u.a. der BDA ist es im Gesetzesentwurf bedauerlicherweise bei der strengeren Schriftform geblieben, so dass Arbeitnehmer schriftlich über ihre wesentlichen Arbeitsbedingungen zu unterrichten sind.

Das heißt, dass Arbeitgeber eine eigenhändig unterzeichnete Urkunde aushändigen müssen, in der alle wesentlichen Arbeitsbedingungen niedergeschrieben sind („wet ink“). Der Arbeitsvertrag kann damit weiterhin elektronisch oder mündlich wirksam vereinbart werden, sofern er nicht befristet ist. Der Nachweis muss dann dem Schriftformerfordernis genügen. Im Hinblick auf die konkreten Prozesse im Unternehmen müssen Arbeitgeber prüfen, ob sie mit zwei parallelen Dokumenten (Arbeitsvertrag und Nachweis über Arbeitsbedingungen) arbeiten oder im Arbeitsvertrag alle wesentlichen Arbeitsbedingungen aufführen, diesen dann aber konsequent nur noch schriftlich abschließen.

Die Schriftform der Unterrichtungspflicht ist gewahrt,

  • wenn der Arbeitsvertrag schriftlich abgeschlossen und dem Arbeitnehmer eine Vertragsurkunde ausgehändigt wird oder
  • wenn die wesentlichen Vertragsbedingungen ausgedruckt, vom Arbeitgeber unterzeichnet und dem Arbeitnehmer anschließend ausgehändigt werden. Eine Gegenzeichnung des Arbeitnehmers ist zur Erfüllung der Unterrichtungspflicht nicht erforderlich.  

Wann muss unterrichtet werden?

Der Gesetzesentwurf sieht eine dreistufige Frist vor – für einige Informationen bereits am ersten Tag der Arbeitsleistung (z.B. Name und Anschrift der Vertragsparteien oder Zusammensetzung und Höhe des Arbeitsentgelts), für andere am siebten Kalendertag nach dem vereinbarten Beginn des Arbeitsverhältnisses (z.B. Zeitpunkt des Beginns des Arbeitsverhältnisses, Arbeitsort oder Tätigkeitsbeschreibung) und für weitere spätestens einen Monat nach dem vereinbarten Beginn (z.B. Urlaubsdauer oder Anspruch auf vom Arbeitgeber bereitgestellte Fortbildung). Um hier nicht den Überblick zu verlieren, bietet es sich an, bereits in den Musterarbeitsverträgen alle notwendigen Informationen abzubilden und Arbeitnehmern vor Vertragsbeginn eine unterzeichnete Vertragsurkunde auszuhändigen.

Sofern noch nicht erfolgt, sollten Unternehmen ihre Musterverträge prüfen und Prozessabläufe ausarbeiten. Sprechen Sie uns bei Fragen gern jederzeit an.

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