Arbeitsrecht

Altersstaffelung von Sozialplanleistungen

Wenn Arbeitnehmer von einer Betriebsänderung betroffen sind, liegt es im Ermessen der Einigungsstelle, ob und welche Nachteile ausgeglichen und welche lediglich gemildert werden sollen. Die Bestimmung der ausgleichsbedürftigen Nachteile unterliegt einem Beurteilungsspielraum. Der vollständige Ausschluss rentennaher Arbeitnehmer von Sozialplanleistungen ist gerechtfertigt, wenn dies erforderlich und angemessen ist.

BAG, Beschluss vom 7. Mai 2019 – 1 ABR 54/17

Sachverhalt

Nach einer Betriebsstilllegung streiten die Beteiligten über die Wirksamkeit eines auf Einigungsstellenspruch beruhenden Sozialplans. Um die aus der beschlossenen Betriebsstilllegung resultierenden wirtschaftlichen Nachteile abzumildern, sah der Sozialplan Abfindungen nach der Formel Betriebszugehörigkeit x Bruttomonatsentgelt x Faktor vor, wobei der Faktor altersgestaffelt über drei Stufen stieg von 0,15 (bis 45,99 Jahre), auf 0,25 (bis 52,99 Jahre), auf 0,32 (bis 60,99 Jahre) und anschließend wieder auf 0,25 (ab 61 Jahre) sank. Von der Abfindungszahlung ausgeschlossen waren solche Arbeitnehmer, die nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis oder nach dem Bezug von Arbeitslosengeld I eine Altersrente in Anspruch nehmen können. Der Betriebsrat meint, der Spruch der Einigungsstelle überschreite durch die Bemessung des Sozialplanvolumens die Ermessensgrenzen und der Ausschluss älterer Arbeitnehmer aus dem Abfindungssystem stelle eine Altersdiskriminierung dar.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Arbeitsgericht Hamburg wies den Antrag ab. Das Landesarbeitsgericht stellte die Unwirksamkeit des Sozialplans fest, soweit Arbeitnehmer von einer Abfindung ausgeschlossen wurden, die nach dem Bezug von Arbeitslosengeld I eine vorzeitige Altersrente in Anspruch nehmen können. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin hatte vor dem Bundesarbeitsgericht Erfolg. Weder überschreite der Einigungsstellenspruch das eingeräumte Ermessen noch verletze er den betriebsverfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.

Keine Unterdotierung der Sozialplanleistungen

Die niedrigen Abfindungsbeträge aufgrund der relativ kleinen Faktoren unterschreiten nicht die Grenze des § 112 Abs. 1 Satz 2 BetrVG. Durch den Sozialplan sollen die mit der Betriebsstilllegung verbundenen Nachteile nicht vollständig ausgeglichen, sondern nur gemildert werden. Dies drücke auch die verfolgte Überbrückungsfunktion des Sozialplans durch die altersabhängigen Faktoren aus, die die unterschiedlichen Arbeitsmarktchancen von Arbeitnehmern widerspiegeln. In den Altersgruppen seien die besseren Chancen einer Anschlussbeschäftigung der jeweiligen Altersgruppen berücksichtigt worden. Bei der Bemessung der den Arbeitnehmern auszugleichenden Nachteile dürfe die Einigungsstelle solche pauschalen und typisierenden Annahmen zu den Aussichten auf dem Arbeitsmarkt zugrunde legen. Diese Annahmen stützen schließlich auch die Angaben der Bundesagentur für Arbeit zur durchschnittlichen Arbeitslosendauer.

Zulässiger Ausschluss rentennaher Arbeitnehmer von Sozialplanleistungen

Es liege hingegen eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters nach § 3 Abs. 1 AGG vor, wenn Arbeitnehmer, die unmittelbar nach ihrem Ausscheiden oder nach Bezug von Arbeitslosengeld I eine Altersrente beanspruchen können, von Sozialplanleistungen ausgeschlossen werden. Die Benachteiligung sei jedoch gem. § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG i. V. m. § 10 Satz 2 AGG gerechtfertigt, sofern die Ungleichbehandlung angemessen und erforderlich sei. Diese Voraussetzungen liegen nach der Entscheidung des BAG vor. Ohne ihren Ausschluss werden die rentennahen Arbeitnehmer überproportional begünstigt. Im Interesse der Verteilungsgerechtigkeit nehme ihre Schutzbedürftigkeit zugunsten jüngerer Arbeitnehmer ab. Während jüngere Arbeitnehmer nach dem Ende des Bezugs von Arbeitslosengeld I auf die Grundsicherung für Arbeitslose nach dem SGB II angewiesen seien, können rentennahe Arbeitnehmer bei fortbestehender Arbeitslosigkeit die wirtschaftlichen Nachteile durch ihre Rentenbezugsberechtigung oder die Möglichkeit einer Inanspruchnahme einer vorgezogenen Altersrente teils auffangen. Dass ihnen ein Ausgleich beispielsweise im Fall einer vorzeitigen Inanspruchnahme einer Altersrente zustehe, sei angesichts der beschränkten Sozialplanmittel nicht vorgesehen.

Folgerungen für die Praxis – Gleiss Lutz kommentiert

Die Entscheidung stärkt den Ermessensspielraum der Einigungsstelle. In der Praxis sollte beachtet werden, dass das Bundesarbeitsgericht die Abfindungshöhe der Dauer einer zu erwartenden Arbeitslosigkeit gegenüberstellt und dies auch eine Differenzierung oder sogar den Ausschluss einer weniger schutzwürdigen Altersgruppe von Sozialplanleistungen rechtfertigt. Dazu sollte bereits beim Zweck der Sozialplanleistungen zwischen Ausgleich und Minderung von Nachteilen unterschieden werden. Andernfalls ist es nicht konsequent, bei der vorzeitigen Inanspruchnahme einer Altersrente einen Ausgleich als gegeben anzusehen. Denn entscheidend ist, dass jüngere Arbeitnehmer zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile auf die Leistungen aus dem Sozialplan angewiesen sind, während ältere Arbeitnehmer durch die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente selbst die wirtschaftlichen Nachteile teils abmildern können.

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