Subventionen und Beihilfen

EU Kommission plant neue wettbewerbsrechtliche Instrumente: Das Weißbuch zu Drittstaatensubventionen

Am 17. Juni 2020 hat die EU-Kommission das bereits seit längerer Zeit angekündigte „White Paper on levelling the playing field as regards foreign subsidies” der Öffentlichkeit vorgestellt.

Das Dokument ist ein Novum, das große praktische Auswirkungen auf die Transaktionspraxis haben könnte. Es ist eine Verbindung zwischen bekannten Elementen des Wettbewerbsrechts – der Beihilfekontrolle, der Missbrauchsaufsicht, der Fusionskontrolle und des Vergaberechts – sowie etablierten Instrumenten aus dem Trade Law und der Investitionskontrolle.

Hintergrund: Schutz gegen Subventionen aus Drittstaaten

Für das Projekt, das die Grenzen verschiedener Rechtsinstrumente zunehmend verwischt und diese miteinander verschmilzt, sind bei der Kommission daher auch verschiedene Generaldirektionen zuständig (vor allem GD COMP und GD TRADE).

Auch wenn es nicht so ausdrücklich gesagt wird, so geht es hierin vor allem um China. Hintergrund ist das immer stärkere Vordringen staatlich unterstützter Unternehmen aus der Volksrepublik in die EU. Gerade in der Corona-Krise könnten – so die Besorgnis – geschwächte EU-Unternehmen zur leichten Beute für Übernahmen aus China werden. Die Europäer wollen sich davor schützen, dass staatlich aufgepäppelte Unternehmen aus Asien auf Einkaufstour gehen und das europäische Tafelsilber aufkaufen.

Die Praktiken, die bekämpft werden sollen, sind seit langem bekannt und werden von der EU-Industrie beklagt. Die Kommission hat diejenigen Subventionspraktiken im Auge, die sie aus der EU-Beihilfekontrolle seit Jahrzehnten kennt, wie Exportbeihilfen, Zuschüsse, günstige Darlehen, Staatsgarantien, Schuldenerlasse und Steuerbeihilfen. Von diesen profitieren EU-Tochtergesellschaften von Nicht-EU-Unternehmen und erzielen erhebliche Wettbewerbsvorteile. Als möglicherweise betroffene Branchen nennt das Papier die üblichen Verdächtigen: Aluminium, Stahl, Halbleiter, Schiffbau, und die Automobilindustrie.

Neue Formen der Zusammenschluss- und Missbrauchskontrolle

Letztlich beruht der Vorschlag auf einem Rechtsvakuum: Die strengen Beihilferegeln in Art. 107f. AEUV richten sich nur gegen Beihilfen, die von EU-Mitgliedstaaten gewährt werden. Die Europäischen Antisubventionsregeln erlauben zwar, gestützt auf die WTO-Regeln, die Verhängung von Ausgleichszöllen. Diese haben sich allerdings in der Praxis der letzten 25 Jahre nicht als sonderlich scharfes Schwert erwiesen, um unlautere Subventionierungen durch Drittstaaten zu bekämpfen. Der Diskussionsvorschlag umfasst verschiedene mögliche Säulen bzw. „Module“:

  • Zum einen ist dies eine neue Form der Fusionskontrolle. Die Kommission erwägt solche Unternehmensakquisitionen zu überprüfen, die primär durch Subventionen von Drittstaaten finanziert werden. Konkret will die Kommission Beteiligungen prüfen, die dem ausländischen Investor maßgeblichen Einfluss auf Unternehmensentscheidungen oder eine Beteiligung von gewissem Einfluss verschaffen. Die Regeln würden für Targets mit einem Jahresumsatz von mindestens 100 Mio. Euro, aber auch für „potentiell wichtige Unternehmen mit einem (noch) begrenzten Umsatz in der EU“ gelten. Ähnlich wie bei der bestehenden (kartellrechtlichen) Fusionskontrolle, müssten die beteiligten Unternehmen die Übernahme bei der Kommission anmelden, sobald bestimmte Schwellenwerte erfüllt sind. Angedacht ist hier als Anknüpfungspunkt, dass der Investor innerhalb der vergangenen drei Jahre Subventionen in gewisser (noch zu definierender) Höhe zur Finanzierung des Kaufpreises erhalten hat. Die Anmeldepflicht ist flankiert von einem Vollzugsverbot sowie Geldbußen für dessen Verletzung. Unterbleibt eine Anmeldung, so kann die Kommission von Amts wegen tätig werden.
  • Daneben soll eine Art Missbrauchskontrolle treten. Die Kommission würde in Zusammenarbeit mit mitgliedstaatlichen Behörden prüfen, ob die Tätigkeit staatlich geförderter Unternehmen aus Drittstaaten, etwa das Angebot von Dienstleistungen, den Wettbewerb verzerrt. Die Schwelle dafür soll erstaunlich niedrig liegen. Es gilt hier die aus dem EU-Beihilferecht bekannte „De-Minimis“-Grenze von 200.000 Euro staatlicher Subventionen über einen Zeitraum von drei Jahren. Eine Vielzahl von Unternehmen würden wohl diesem System unterliegen.
  • Drittens sollen Unternehmen eine Erklärung abgeben müssen, wenn sie sich um einen größeren öffentlichen Auftrag bewerben. Darin sollen sie angeben, ob sie oder Subunternehmer in den vergangenen drei Jahre Hilfen ausländischer Regierungen erhalten haben. Hat die ausschreibende Behörde Zweifel an der Richtigkeit der Angaben, soll sie sich an die nationalen Aufsichtsbehörden oder die Kommission wenden, die den Vorgang untersuchen und notfalls eine dreijährige Sperre für öffentliche Aufträge verhängen können.

Materieller Test und mögliche Sanktionen

In materieller Hinsicht soll im Wesentlichen untersucht werden, ob eine Übernahme oder eine Geschäftspraxis durch Subventionen erleichtert und ob sie den Binnenmarkt verzerren wird. Hierbei will die Kommission die Unterstützungsmaßnahmen im Rahmen einer Einzelfallanalyse auf der Grundlage einer „Sammlung von Indikatoren in Bezug auf die Subventionen und die jeweilige Marktsituation“ prüfen. Zu diesen Gesichtspunkten gehören die Höhe der Subvention, die Unternehmensgröße, der Marktanteil, das Bestehen von strukturellen Überkapazitäten, der Konzentrationsgrad und die Bedeutung des (Technologie-)Sektors. Daneben will die Kommission auch den „Grad der Offenheit“ des Heimatmarktes des Unternehmens berücksichtigen, denn – so ihre Vorstellung – wenn ein Subventionsempfänger dort nur geringem Wettbewerb ausgesetzt ist, könnte er seine privilegierte Stellung auf anderen Märkten ausnutzen.

Bei den angedachten Sanktionen orientiert sich der Vorschlag an der gewohnten Härte der Brüsseler Wettbewerbspolitik. Übernahmen sollen untersagt bzw. Entflechtungen angeordnet werden. Beschränkungen der Kapazität, der Investitionen und der Marktpräsenz kommen auch in Betracht. Ebenso sollen die Unternehmen verpflichtet werden, Zugang zu wichtigen Infrastrukturen oder Schutzrechten auf FRAND Basis (fair, reasonable and non-discriminatory terms) zu gewähren.

Sofern ein staatlich unterstütztes Unternehmen aus einem Drittstaat mit Hilfe von Subventionen aggressive Preisstrategien verfolgt, sollen Untersagungen eingreifen. Ausländische Subventionen sollen abgeschöpft werden (wobei die Zahlung nicht an den ausländischen Subventionsgeber, sondern an die EU oder deren Mitgliedstaaten erfolgen soll). Die Befolgung solcher Anordnungen ist natürlich wiederum sanktionsbewehrt. Verletzt der Adressat diese, so hat er Geldbußen und Zwangsgelder zu befürchten.

Praxistest steht noch aus

Die Kommission geht (selbstverständlich) davon aus, dass die vorgeschlagenen Instrumente WTO-rechtskonform sind. Das 57 Seiten starke Dokument endet mit einem Annex von Fragen, den vor allem die Mitgliedstaaten beantworten sollen. Die Verabschiedung ist für 2021 avisiert.

Dass Finanzhilfen nichteuropäischer Regierungen einer solchen Kontrolle durch die EU unterworfen werden sollen, ist ein Novum. Lediglich am Rande wurden bisher staatliche Unterstützungen im Rahmen der Fusionskontrolle in die wettbewerbliche Beurteilung mit eingestellt.

Es ist keine Frage, dass die neue Regelung zu mehr „red tape“ führen wird. Die im White Paper vorgeschlagenen Anmelde- und Aufgreifschwellen liegen (sehr) niedrig, so dass viele Sachverhalte hierunter fallen können. Das Anmeldeverfahren für geplante Akquisitionen wird – daran lässt das Dokument wenig Zweifel – sehr aufwändig. Das neue System soll „parallel“ neben die bereits existierenden wettbewerbsrechtlichen Instrumente auf EU- und nationaler Ebene treten, wie z. B. die (zahlreichen) Fusionskontrollsysteme. Zudem müssen selbstverständlich die nationalen Regeln des Außenwirtschaftsrechts und der Investitionskontrolle (in Deutschland nach AWG/AWV) geprüft werden, die im Blick haben, ob eine geplante Beteiligung ausländischer Investoren die nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung gefährden.

Das verspricht eine gesteigerte Komplexität. Zwar erscheint ein Nebeneinander von Beihilfekontrolle und Fusionskontrolle sowie anderen Regelungssystemen grundsätzlich denkbar. Es kann aber natürlich zu Reibungsverlusten und Widersprüchen zwischen den Systemen kommen, z. B. wenn die verschiedenen Entscheidungsträger unterschiedliche Gebote erlassen oder gegenläufige Zusagen einfordern. Die Koordinierung der verschiedenen Prüfungs- und Genehmigungsprozesse dürfte für die M&A-Praxis eine Herausforderung werden.

Das System wird in der praktischen Anwendung auch für die Kommission und die zuständigen nationalen Behörden nicht ganz einfach. Wie die Praxis zur Antisubventionsverordnung gezeigt hat, dürfte vor allem der Nachweis des Vorliegens einer Subvention schwierig sein. Die Zuwendungsmaßnahmen sind (oft bewusst) sehr komplex ausgestaltet, um den Subventionscharakter zu verschleiern, wie z. B. anspruchsvolle Kapitalzuführungen und Garantie- sowie Finanzierungsstrukturen, auch unter Beteiligung Privater. Auch weil die Finanzströme zwischen den betroffenen staatlichen Regierungen und den Unternehmen (die zum Teil gar nicht rechtlich eigenständig sind, sondern zum Staat gehören) wenig transparent sind, kann dies zur Herkulesaufgabe werden.   

Das zusätzliche Genehmigungsverfahren kann natürlich ein gewisses Investitionshemmnis darstellen. Dennoch findet der Ansatz der Kommission in der Europäischen Industrie Unterstützung. Die Befürworter des neuen Systems weisen darauf hin, dass es nicht einzusehen sei, dass in einer immer stärker vernetzten Welt nur für EU-Unternehmen eine harte Subventionsdisziplin nach Art. 107f. AEUV gelten soll, während Drittstaaten keinen vergleichbaren Grenzen unterliegen.

Eine spannende (politische) Frage ist auch, wie die betroffenen Drittstaaten die neuen Pläne aufnehmen. Nicht ausgeschlossen werden kann, dass sie dies als Kampfansage begreifen und zur Vergeltung zu protektionistischen Maßnahmen greifen. Die kommende Diskussion wird ohne Zweifel interessant.

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