Arbeitsrecht

Vorlage an den EuGH: Verfall von Urlaub bei voller Erwerbsminderung

Der 9. Senat des BAG hat ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH gerichtet zu der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub eines Arbeitnehmers, bei dem während des Urlaubsjahres eine volle Erwerbsminderung eingetreten ist, 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres oder ggf. zu einem späteren Zeitpunkt verfallen kann.

BAG, Beschluss vom 7. Juli 2020 - 9 AZR 245/19 (A) (LAG Hessen)

Sachverhalt

Der Kläger ist als schwerbehinderter Mensch anerkannt und seit dem Jahr 2000 bei der Beklagten als Frachtfahrer beschäftigt. Seit 1. Dezember 2014 bezieht er eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Der Kläger macht u. a. geltend, ihm stünden für das Jahr 2014 noch 34 Tage Resturlaub zu. Die Beklagte sei ihren Obliegenheiten, an der Gewährung und Inanspruchnahme von Urlaub mitzuwirken, nicht nachgekommen. Die Beklagte ist der Auffassung, der Resturlaub sei mit Ablauf des 31. März 2016 erloschen. Sei der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen langdauernd außerstande, seinen Urlaub anzutreten, verfalle der Urlaub 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres. Dies gelte unabhängig von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten. In den Vorinstanzen blieb die Klage ohne Erfolg.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts  

Nach § 7 Abs. 3 BUrlG muss der Urlaub im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe können eine Übertragung auf die ersten drei Monate des folgenden Jahres rechtfertigen. Allerdings wird diese nationale Bestimmung im Lichte des Unionsrechts ausgelegt. Das BAG ruft den EuGH nun mit der Frage an, ob Urlaubsansprüche bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nach 15 Monaten verfallen, wenn der Arbeitgeber im Urlaubsjahr seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat, obwohl der Arbeitnehmer den Urlaub im Urlaubsjahr bis zum Eintritt der vollen Erwerbsminderung zumindest teilweise hätte nehmen können.

Gleiss Lutz kommentiert

Die Vorlagefrage soll das Verhältnis zweier Rechtsprechungslinien des EuGHs klären:

  • War ein Arbeitnehmer im Urlaubsjahr aus gesundheitlichen Gründen an seiner Arbeitsleistung gehindert, verfallen gesetzliche Urlaubsansprüche 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres (BAG, Urteil vom 7. August 2012 - 9 AZR 353/10 im Anschluss an EuGH, Urteil vom 22. November 2011 - C-214/10 „KHS-Schulte“).
  • In einem anderen Fall hatte das BAG nach einer EuGH-Entscheidung allerdings entschieden, dass der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub grundsätzlich nur dann nach § 7 Abs. 3 BUrlG am Ende des Kalenderjahres verfallen könne, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat, seinen Urlaub rechtzeitig im Kalenderjahr zu nehmen und ihn auf einen möglichen Verfall hingewiesen hat (BAG, Urteil vom 19. Februar 2019 – 9 AZR 423/16 im Anschluss an EuGH, Urteil vom 6. November 2018 - C-684/16 „MPI“).

Derzeit ist offen, ob Urlaub im Fall einer Langzeiterkrankung noch nach 15 Monaten verfällt, wenn der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit nicht nachkommt, den Arbeitnehmer auf den Verfall hinzuweisen.

Für arbeitsfähige Mitarbeiter hat der EuGH bereits entschieden, dass Urlaub bei fehlender Mitwirkung des Arbeitgebers unbegrenzt angespart werden kann (EuGH, Urteil vom 29. November 2017 – C-214/16 „King“). Allerdings stellt sich durchaus die Frage, ob das auch für langzeiterkrankte Arbeitnehmer gelten kann. Denn der Hinweis des Arbeitgebers soll den Mitarbeiter daran erinnern, den Urlaub zu nehmen. Während einer Langzeiterkrankung kann der Erholungszweck des Urlaubs aber nicht verwirklicht werden. Insofern würde der Hinweis hier ins Leere gehen. Der EuGH wird sich mit dieser Vorlagefrage nun damit zu befassen haben.

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