Healthcare und Life Sciences
Bewegung in der Telemedizin: Voraussetzungen und Chancen für die telemedizinische Behandlung in Deutschland

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn treibt mit einer Vielzahl von Gesetzesinitiativen und von einem breiten Medienecho begleitet die Digitalisierung des Gesundheitswesens voran. Der Schlüssel für eine verbesserte Versorgung soll – insbesondere in ländlichen Räumen – im Angebot telemedizinischer Leistungen liegen. Für Telemedizinanbieter eröffnen sich dadurch neue Markteintrittschancen auf einem in Deutschland bislang wenig erschlossenen Dienstleistungsfeld. Dr. Enno Burk (Counsel) und Dr. Julia Hornung (Rechtsanwältin) aus dem Bereich Healthcare und Life Sciences in Berlin erläutern die aktuellen Entwicklungen und die sich hieraus ergebenden neuen Möglichkeiten für die Versorgung.
Online-Sprechstunden werden Alltag im GKV-System
Vertragsärztliche Online-Sprechstunden-Angebote werden fester Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung und die bislang nur vereinzelt in Deutschland laufenden Modellprojekte sowie Angebote ablösen, die der Patient aus eigener Tasche bezahlen musste.
- Die Lockerung des für Ärzte geltenden Fernbehandlungsverbots auf dem 121. Ärztetag im Mai 2018 war hierfür die Initialzündung: Nunmehr erlaubt die Musterberufsordnung der Ärzte (MBO-Ä) die ausschließliche Fernbehandlung ohne vorherigen persönlichen Erstkontakt zwischen Arzt und Patient, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt und der Patient über die Besonderheiten der ausschließlichen Beratung und Behandlung über Kommunikationsmedien aufgeklärt wird (§ 7 Abs. 4 MBO-Ä).
- Die meisten Berufsordnungen der Länder – derzeit mit Ausnahme derjenigen Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns – sind bereits entsprechend angepasst bzw. eine Änderung ist zeitnah vorgesehen. Ärzte können dank des Rechts auf freie Arztwahl Online-Sprechstunden bundesweit erbringen, d.h. auch Patienten aus Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern behandeln.
- Aufgrund der Neuregelung des § 87 Abs. 2a SGB V durch das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz (PpSG) wurde mit Wirkung zum 01. April 2019 der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) angepasst und ermöglicht Vertragsärzten nunmehr die umfassende Abrechnung von online durchgeführten Sprechstunden. Die bisherige Beschränkung auf den Zweck der Verlaufskontrolle bei definierten Krankheitsbildern und Indikationsbereichen wurde aufgehoben. Auch Fallkonferenzen per Video bei Pflegebedürftigen mit dem Pflegepersonal sind abrechenbar. Die Vertragsärzte erhalten zudem einen pauschalen Technik- und Förderzuschlag für die Nutzung eines zertifizierten Dienstanbieters (max. ca. 800 EUR pro Jahr).
- Zusätzlich wurde Ende August 2019 der EBM für den Zeitraum vom 01. Oktober 2019 bis zum 30. September 2021 um eine Anschubförderung für Videosprechstunden ergänzt, die bis zu 500 EUR pro Arztpraxis und Quartal betragen kann.
Flächendeckende Einführung telemedizinischer Anwendungen als gesetzgeberisches Ziel
Der Gesetzgeber beschleunigt die Digitalisierung des Gesundheitswesens zudem mit diversen – bereits verabschiedeten wie noch in Planung befindlichen – Neuregelungen, die u.a. die Online-Sprechstunde flankieren und attraktiver machen.
- Mit dem am 15. August 2019 verkündeten Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) wurde das bislang geltende Verbot der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln an Patienten bei offenkundig fehlendem persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt aufgehoben (§ 48 Abs. 1 Satz 2 AMG a.F.). Apotheker dürfen nun verschreibungspflichtige Arzneimittel abgeben, die der Arzt im Rahmen einer ausschließlichen Fernbehandlung verschrieben hat.
- Parallel hierzu wird durch das GSAV die flächendeckende Einführung des elektronischen Rezeptes vorangetrieben, indem der Selbstverwaltung eine siebenmonatige Frist (Ablauf am 31. März 2020) zur Vereinbarung der notwendigen Regelung für die Verwendung des elektronischen Rezeptes gesetzt wird (§ 86 SGB V).
- Der Entwurf der Bundesregierung zum Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) sieht eine dem neuen ärztlichen Berufsrecht entsprechende Lockerung des bislang noch geltenden Verbots vor, für Fernbehandlungen, z.B. über die ärztliche Homepage, zu werben (§ 9 Satz 2 HWG RegE). Nach Verkündung des DVG soll es erlaubt sein, für Fernbehandlungen zu werben, wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist.
- Das DVG sieht ferner die Möglichkeit der Verschreibung von Gesundheits-Apps (s. hierzu den Gleiss Lutz-Beitrag "Medical Apps werden Bestandteil der Regelversorgung") sowie den Ausbau der elektronischen Patientenakte vor. Bis zum 01. Januar 2021 müssen Krankenhäuser, bis zum 30. Juni 2021 Vertragsärzte mit den für den Zugriff auf die elektronische Patientenakte erforderlichen Komponenten und Diensten ausgestattet sein, andernfalls drohen Vergütungskürzungen.
- Auch Telekonsile sollen in weitem Umfang in der vertragsärztlichen und der sektorübergreifenden Versorgung ermöglicht und vergütet werden (§ 87 Abs. 2a Sätze 13 bis 15 SGB V in der Fassung des DVG-RefE). Bislang sieht der EBM eine Abrechnungsfähigkeit von Telekonsilen nur vereinzelt vor, z.B. für die telekonsiliarische Befundbeurteilung von Röntgen und CT-Aufnahmen oder im Rahmen der spezialisierten geriatrischen Diagnostik. Der ergänzte Bewertungsausschuss hat innerhalb von neun Monaten nach Verkündung des DVG entsprechende Anpassungen des EBM zu beschließen. Die Vergütung soll – wie auch bei den Videosprechstunden – die Kosten des Arztes, der das Konsilium initiiert, für den entsprechenden zertifizierten Dienstanbieter enthalten.
Chancen für Telemedizinanbieter
- Aufgrund dieser Entwicklungen wird der Bedarf an telemedizinischen Dienstleistungen und die Akzeptanz des Einsatzes von Telemedien im Gesundheitswesen steigen. Dies bietet vielfältige Markteintrittschancen, besonders auch für private Anbieter aus Ländern mit bereits etablierten Telemedizinstrukturen (z.B. Schweiz oder Großbritannien) sowie Start-ups.
- Voraussichtlich wird die Nachfrage der Vertragsärzte und Medizinischen Versorgungszentren nach telemedizinischer Soft- und Hardware sowie Online-Plattformen aufgrund der nunmehr bestehenden umfassenden Abrechnungsfähigkeit der Online-Sprechstunden signifikant wachsen, zumal sich der telemedizinische Leistungskatalog zukünftig kontinuierlich weiter vergrößern dürfte.
- Darüber hinaus besteht Software- und Hardware- sowie Beratungsbedarf bei der technischen Durchführung von Telekonsilen, der Einführung des e-Rezeptes und der e-Patientenakte.
- Auch die Entwicklung und der Vertrieb von verschreibungsfähigen Gesundheits-Apps, die ggf. eine Kommunikation mit dem Arzt ermöglichen, stellt eine interessante Komponente der telemedizinischen Versorgungsmöglichkeiten dar (siehe hierzu den Gleiss Lutz-Beitrag "Medical Apps werden Bestandteil der Regelversorgung").
- Unternehmen und Investoren dürften den deutschen Markt deshalb genau verfolgen. Denn weitere gesetzliche Neuerungen, die den deutschen Gesundheitsmarkt für innovative digitale Versorgungsanwendungen insbesondere zur besseren Versorgung strukturschwacher Regionen weiter öffnen, werden nicht lange auf sich warten lassen.
Regulatorische Anforderungen an die Dienstanbieter für Videosprechstunden und Telekonsile
Der Einstieg in den neuen Markt der Telemedizin ist allerdings von der Einhaltung bestimmter Anforderungen abhängig:
- Videodienstanbieter, die Videosprechstunden ermöglichen, wie auch Kommunikationsdienstleister, welche die Daten für die konsiliarische Befundbeurteilung übermitteln, müssen nach den Vorgaben des Bundesmantelvertrag-Ärzte (BMV-Ä Anlage 31a und 31b) zertifiziert sein und u.a. datenschutzrechtliche und datensicherheitsrelevante Voraussetzungen einhalten. Perspektivisch können im Bereich der Telekonsile nur noch von der gematik – der von den Spitzenorganisationen des deutschen Gesundheitswesens ihrem gesetzlichen Auftrag folgend gegründeten Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbh – zugelassene Kommunikationsdienstleister genutzt werden.
Die Erbringung telemedizinischer Leistungen bleibt niedergelassenen Ärzten vorbehalten
- Wer im GKV-System selbst telemedizinische Leistung anbieten und abrechnen will, muss zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen sein (§ 95 SGB V), was wiederum nur Ärzten und Medizinischen Versorgungszentren möglich ist.
- Für Investoren oder Telemedizin-Dienstleister, die nicht nur Software, eine Online-Plattform oder entsprechende technische Dienstleistungen zur Verfügung stellen möchten, bleibt daher zumeist nur die Übernahme einer MVZ-gründungsberechtigten Trägergesellschaft, etwa eines zugelassenen Plankrankenhauses.
