Arbeitsrecht

Schadensersatzanspruch wegen unwirksamer Versetzung

Erklärt der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer eine unwirksame Versetzung, verstößt er damit gegen seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen. Befolgt der Arbeitnehmer die unwirksame Versetzung, ist der Arbeitgeber nach § 280 Abs. 1 S. 1 BGB zum Ersatz der zusätzlichen Fahrtkosten des Arbeitnehmers verpflichtet.

BAG, Urteil vom 28. November 2019 ­­– 8 AZR 125/18

Rechtsfolgen (un)wirksamer Versetzungen

Der arbeitsvertragliche Versetzungsbegriff umfasst die Zuweisung eines anderen Arbeitsplatzes, das heißt die Änderung der Tätigkeit nach Ort, Art oder Umfang. Welche Änderungen der Arbeitgeber im Rahmen seines Direktionsrechts (§ 106 GewO) einseitig vornehmen kann, richtet sich nach dem Inhalt des jeweiligen Arbeitsvertrags. Überschreitet die geplante Änderung den arbeitsvertraglichen Rahmen, ist eine einvernehmliche Vertragsänderung erforderlich. Ist eine einvernehmliche Änderung nicht zu erzielen, dann kommt eine Änderungskündigung in Betracht.

Soweit die Versetzung wirksam ist, führt sie zur unmittelbaren Änderung der arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, die geänderte arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit zu erfüllen. Kommt der Arbeitnehmer dieser Verpflichtung nicht nach, verliert er seinen Anspruch auf Vergütung und ihm drohen arbeitsrechtliche Sanktionen (Abmahnung, Kündigung). 

An eine Weisung des Arbeitgebers, die die Grenzen billigen Ermessens überschreitet, ist ein Arbeitnehmer nicht – und zwar auch nicht vorläufig – gebunden. Insofern steht dem Arbeitnehmer bei einer unwirksamen Versetzung ein Leistungsverweigerungsrecht zu. Der Arbeitgeber kann an die Nichtbefolgung der unwirksamen Versetzung keine arbeitsrechtlichen Sanktionen (Abmahnung, Kündigung) knüpfen.

Streit über die Erstattung von Fahrtkosten

Die beklagte Arbeitgeberin versetzte den klagenden Arbeitnehmer vorläufig von ihrem Betriebssitz in Hessen in ihre 487 km entfernte Niederlassung in Sachsen. Der Kläger kam der Versetzung nach, erhob dagegen allerdings Klage vor dem Arbeitsgericht. Mit rechtskräftigem Urteil stellte das Landesarbeitsgericht Hessen im Mai 2016 die Unwirksamkeit der Versetzung fest. Dennoch arbeitete der Kläger von Juni 2016 bis September 2016 weisungsgemäß weiter in Sachsen. Eine Vereinbarung über die Erstattung der versetzungsbedingten Fahrtkosten trafen die Parteien nicht. Der Kläger fuhr mit seinem privaten PKW wöchentlich jeweils sonntags nach Sachsen und freitags zurück zu seinem Hauptwohnsitz in Hessen. Der Kläger hat die Beklagte u. a. auf Ersatz der ihm durch die wöchentlichen Heimfahrten entstandenen Fahrtkosten im Zeitraum von Juni bis September 2016 in Anspruch genommen.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Arbeitsgericht hat der Klage des Arbeitnehmers u. a. wegen der Fahrtkosten stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil insoweit abgeändert, dass dem Kläger Fahrtkosten lediglich in Höhe der nach der öffentlich-rechtlichen Trennungsgeldverordnung zu erstattenden Kosten für die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln zugesprochen und zwar nur für Heimfahrten alle zwei Wochen. Mit der Revision verfolgte der Kläger u. a. sein Begehren auf Zahlung eines Kilometergeldes in Höhe von EUR 0,30 pro gefahrenen Kilometer weiter. Die Revision des Klägers hatte insoweit Erfolg.

Der Kläger kann die Erstattung der Kosten, die ihm durch die wöchentlichen Heimfahrten mit seinem privaten PKW entstanden sind, von der Beklagten als Schadensersatz verlangen. Der Anspruch des Klägers folge jedenfalls aus § 280 Abs. 1 S. 1 BGB. Danach kann der Gläubiger den Ersatz des Schadens verlangen, der dadurch entsteht, dass der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt. Die Beklagte habe schuldhaft gegen ihre arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, indem sie gegenüber dem Kläger die unwirksame Versetzung nach Hessen erklärt und an dieser bis September 2016 festgehalten habe. Die Beklagte wäre verpflichtet gewesen, den Kläger auch im Zeitraum von Juni bis September 2016 an ihrem Betriebssitz in Hessen zu beschäftigen. Der Anspruch des Klägers auf Ersatz der Fahrtkosten sei auch nicht wegen eines Mitverschuldens des Klägers gem. § 254 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. Der Kläger habe nicht schuldhaft gehandelt, indem er die unwirksame Versetzung befolgte. Zwar sei der Kläger an eine unbillige Weisung nicht gebunden (BAG, Urteil vom 18. Oktober 2017 – 10 AZR 330/16, NZA 2017, 1452), im bestehenden Arbeitsverhältnis sei es ihm aber nicht zumutbar, sich einer Versetzung zu verweigern, deren Unwirksamkeit zu diesem Zeitpunkt noch nicht geklärt sei. Der Gefahr arbeitsrechtlicher Sanktionen (Abmahnung, Kündigung) hätte sich der Kläger nicht aussetzen müssen. Aufgrund der nur vorübergehenden Versetzung sei der Kläger auch nicht gehalten gewesen, den Schaden durch eine Aufgabe seines Hauptwohnsitzes in Hessen zu mindern.

Bei der Schadensschätzung nach § 287 Abs. 1 BGB sei – anders als vom Landesarbeitsgericht angenommen – nicht auf die Regelungen des öffentlichen Dienstes (Trennungsgeldverordnung) abzustellen. Dabei handele es sich um einen für die Schadensschätzung unzutreffenden Maßstab. Mangels sonstiger Anhaltspunkte sei es für die Schadensschätzung angemessen, sich an den Regelungen des Justizvergütungs- und entschädigungsgesetzes (JVEG) zu orientieren, die auch sonst in der gerichtlichen Praxis zur Schätzung von Fahrtkosten herangezogen würden. Das JVEG regelt für Sachverständige und Dolmetscher, die in ihrer beruflichen Pflicht zu Gericht kommen, einen Kilometersatz von EUR 0,30 pro gefahrenen Kilometer (§§ 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 JVEG). Den entstandenen Schaden habe der Kläger auch nicht dadurch mindern müssen, dass er nur alle zwei Wochen eine Heimfahrt zu seinem Hauptwohnsitz in Hessen unternimmt.

Gleiss Lutz kommentiert

Bedeutung hat die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht nur für die Frage der Höhe des Schadensersatzes bei rechtswidriger örtlicher Versetzung, sondern auch bei der zu einer örtlichen Veränderung führenden unwirksamen Änderungskündigung. In der Praxis bietet es sich regelmäßig an, bei Mehrkosten aufgrund eines geänderten Arbeitsorts konkrete Vereinbarungen über die Erstattung von Fahrtkosten zu treffen. Darüber hinaus ist die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts auch für die Sozialplanpraxis von Bedeutung. Bei einer Betriebsverlegung kann es aufgrund verlängerter Anfahrtswege zu wirtschaftlichen Nachteilen der Arbeitnehmer kommen. Auch bei der genauen Bezifferung dieser Nachteile können die Wertungen des JVEG den Betriebsparteien eine Orientierung bieten.

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