Arbeitsrecht

Kein striktes Neutralitätsgebot bei Betriebsratswahlen

Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, sich jeder kritischen Äußerung über den bestehenden Betriebsrat oder einzelne seiner Mitglieder im Hinblick auf zukünftige Wahlen zu enthalten.

BAG, 25. Oktober 2017 – 7 ABR 10/16

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Anfang Mai 2014 stattgefundenen Betriebsratswahl, an der vier Wahllisten teilnahmen. Bei den Antragstellern handelt es sich um drei wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebs, darunter die Betriebsratsvorsitzende der vorangegangenen Amtsperiode. Die Antragsteller machen die unzulässige Beeinflussung der Betriebsratswahl durch die Geschäftsleitung geltend. Der Personalleiter habe bei einem Treffen mit außertariflichen Angestellten im September 2013 vor ca. 80 Anwesenden geäußert, die Betriebsratsvorsitzende behindere die Arbeit des Unternehmens. Ferner habe er vorgeschlagen, für die Betriebsratswahl eine „gescheite Liste“ aufzustellen. Im September/Oktober 2013 habe der Personalleiter Beschäftige angesprochen, ob sie sich zur Wahl stellen und ggfs. den Betriebsratsvorsitz übernehmen wollten. Bei einem Führungskräftetreffen habe der Personalleiter geäußert, jeder, der der Betriebsratsvorsitzenden bei der Betriebsratswahl seine Stimme gebe, begehe „Verrat“. Nachdem das ArbG den Antrag abgewiesen hatte, erklärte das LAG die Betriebsratswahl für unwirksam.                                                              

Das BAG ist der Auffassung des LAG entgegen getreten: Der Antrag sei unbegründet. Es sei gegen keine wesentlichen Wahlvorschriften verstoßen worden. Die verbreitete Auffassung, der Arbeitgeber unterliege einem strikten Neutralitätsgebot und dürfe insbesondere keine Wahlpropaganda für oder gegen eine Liste oder bestimmte Wahlbewerber machen, sei unzutreffend. § 20 Abs. 2 BetrVG untersage nicht jede Handlung oder Äußerung, die geeignet sein könnte, die Wahl zu beeinflussen. Verboten sei schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nur eine solche Beeinflussung, die durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen erfolge. Für ein entsprechendes Verständnis spreche auch die Gesetzessystematik: Aus dem Zusammenspiel von § 20 Abs. 1 und § 20 Abs.2  BetrVG folge, dass § 20 Abs. 2 BetrVG (nur) die innere Willensbildung des Arbeitnehmers schütze. Um eine freie Wahlentscheidung zu gewährleisten, bedürfe es aber keiner allgemeinen Neutralitätspflicht des Arbeitgebers. Ein striktes Neutralitätsgebot würde nach Auffassung des BAG auch zu keinen sinnvollen, rechtssicher handhabbaren Ergebnissen führen. Vielmehr könnte sogar ein geraume Zeit zurückliegendes, möglicherweise situatives und später aufgegebenes Verhalten des Arbeitgebers die Gefahr einer Anfechtung der Betriebsratswahl begründen. Im entschiedenen Fall konnte das BAG nicht feststellen, dass Wahlberechtigten, Kandidaten oder Listen Nachteile zugefügt oder angedroht oder Vorteile gewährt oder versprochen worden seien. Auch die Anregung, eine alternative möglicherweise arbeitgeberfreundliche Liste für die Betriebsratswahl aufzustellen, und das gezielte Werben um eine Kandidatur auf dieser Liste erfülle nicht die Voraussetzung der verbotenen Wahlbeeinflussung.

Gleiss Lutz Kommentar                                      

Mit seiner Entscheidung steckt das BAG die Grenzen für Äußerungen des Arbeitgebers im Vorfeld von Betriebsratswahlen neu ab und erteilt dem in der rechtswissenschaftlichen Literatur vielfach vertretenen „striktem Neutralitätsgebot“ eine klare Absage – gut so! Somit darf der Arbeitgeber sich im Rahmen des Meinungswettstreits zur Betriebsratswahl äußern, Bewertungen von Kandidaten und Listen abgeben und auch Mitarbeiter zur Kandidatur auffordern, solange er damit nicht gegen das Verbot der Wahlbehinderung gem. § 20 Abs. 1 BetrVG und das Verbot einer Beeinflussung der Wahl nach § 20 Abs. 2 BetrVG durch Zufügung oder Androhung von Nachteilen oder durch die Gewährung oder Versprechen von Vorteilen verstößt. Dennoch sollten Arbeitgeber sorgfältig abwägen, welche Wirkung ein Werben für eine bestimmte Liste oder bestimmte Kandidaten tatsächlich bei den Wahlberechtigten erzielt.

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