Arbeitsrecht

Mitwirkungsobliegenheit bei Zusatzurlaub für Schwerbehinderte

Ist dem Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft seines Arbeitnehmers bekannt oder ist diese offenkundig, verfällt auch der Anspruch auf Zusatzurlaub aus § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX zum Jahresende nur, wenn der Arbeitgeber seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nachkommt.

BAG, Urteil vom 30. November 2021 – 9 AZR 143/21

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Abgeltung des Zusatzurlaubs für Schwerbehinderte. Der Kläger war bei der Beklagten von 2016 bis 2019 beschäftigt. Mit Ende des Arbeitsverhältnisses begehrt der Kläger die Abgeltung des Zusatzurlaubs aus den vergangenen Jahren. Diese seien nach Ansicht des Klägers nicht verfallen. Der Arbeitgeber sei insofern seinen Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten nicht nachgekommen. Das ArbG Trier gab der Klage statt. Das LAG Rheinland-Pfalz wies die Klage ab.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Die gegen die Entscheidung des LAG gerichtete Revision des Arbeitnehmers hatte Erfolg. Das BAG stellte klar, dass ein Anspruch auf Zusatzurlaub für Schwerbehinderte unabhängig von der Kenntnis des Arbeitgebers hinsichtlich der Schwerbehinderung entstehe. Werde der Jahresurlaub nicht genommen, verfalle der Urlaubsanspruch grundsätzlich zum Jahresende. Nach dem EuGH trete für den gesetzlichen Mindesturlaub ein Verfall aber nur dann ein, wenn der Arbeitgeber seiner Aufforderungs- und Hinweisobliegenheit nachgekommen sei und den Arbeitnehmer dadurch in die Lage versetzt habe, den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Dazu müsse der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auffordern, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilen, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfalle, wenn er ihn nicht beantrage.

Das BAG entschied nun, dass für den Zusatzurlaub wegen einer Schwerbehinderung dieselben Obliegenheiten des Arbeitgebers gelten. Zwar sei der Zusatzurlaub nicht europarechtlich determiniert. Aufgrund des Grundsatzes der urlaubsrechtlichen Akzessorietät teile der Zusatzurlaub aber dasselbe Schicksal wie der gesetzliche Mindesturlaub. Der Arbeitgeber habe also seine Aufforderungs- und Hinweisobliegenheit zu erfüllen. Der Urlaub verfalle gleichwohl dann zum Jahresende auch ohne Erfüllung der Obliegenheiten, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehinderteneigenschaft keine Kenntnis habe und eine Schwerbehinderteneigenschaft auch nicht offenkundig sei. Für die Unkenntnis trage der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast.

Gleiss Lutz kommentiert

Der Gleichlauf des Regelungsregimes für den gesetzlichen Mindesturlaub und anderer Urlaubsquellen ist nicht neu. Das BAG hatte bereits für den vertraglichen Mehrurlaub entsprechend entschieden, wenn es an einer Trennung zwischen gesetzlichem und vertraglichem Urlaub im Arbeitsvertrag fehle. Die vorliegende Entscheidung verwundert daher nicht.

Für Arbeitgeber ergeben sich damit auch in Zukunft zwei Handlungsempfehlungen. Zum einen sollten Musterarbeitsverträge darauf überprüft werden, ob sie hinreichend zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und anderen Urlaubsquellen wie vertraglichem Mehrurlaub oder auch Zusatzurlaub unterscheiden. Weiterhin sollte der Arbeitgeber zur Jahresmitte oder spätestens im Laufe des dritten Quartals seiner Mitwirkungsobliegenheit hinsichtlich des gesamten Resturlaubs nachkommen. Das heißt, der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer mitteilen, wie viel Urlaub ihm zusteht, dass er diesen Urlaub im Laufe des Jahres nehmen muss oder der verbleibende Urlaubsanspruch andernfalls zum Jahresende verfällt.

Weiterleiten
Kompetenz