Arbeitsrecht

Betriebsübergreifende Einstellung

Überträgt der Arbeitgeber einer Führungskraft die fachliche und disziplinarische Weisungsbefugnis gegenüber Arbeitnehmern eines weiteren Betriebs, liegt allein darin eine Einstellung nach § 99 BetrVG. Der örtliche Betriebsrat ist zu beteiligen.

BAG, Urteil vom 22. Oktober 2019 – 1 ABR 13/18

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Aufhebung einer personellen Maßnahme. Die Arbeitgeberin erbringt IT-Dienstleistungen. Sie stellte D als Leiter eines Geschäftsbereichs mit dem vertraglichen Arbeitsort München ein. D erhielt das fachliche und disziplinarische Weisungsrecht gegenüber Arbeitnehmern in München sowie gegenüber zwei Führungskräften in Hannover. Seine Aufgaben nahm D tageweise auch in Hannover wahr, verfügte dort aber nicht über ein eigenes Büro. Der für den Betrieb München gebildete Betriebsrat stimmte der Einstellung des D zu. Den Betriebsrat Hannover oder den Gesamtbetriebsrat beteiligte die Arbeitgeberin nicht. Der Betriebsrat Hannover vertrat die Ansicht, durch die Übertragung des Weisungsrechts gegenüber Arbeitnehmern in Hannover sei D auch in diesen Betrieb eingestellt worden. Deshalb hätte die Arbeitgeberin nach § 99 BetrVG zuvor die Zustimmung des Betriebsrats einholen oder gerichtlich ersetzen lassen müssen.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen die ablehnende Entscheidung der Vorinstanz hatte Erfolg. Der 1. Senat gab der Arbeitgeberin auf, die Einstellung des D in Hannover aufzuheben. Allein die Übertragung des fachlichen und disziplinarischen Weisungsrechts sei als Einstellung in den Betrieb zu werten.

Eine Einstellung liege vor, wenn eine Person in den Betrieb eingegliedert wird, um zusammen mit den dort beschäftigten Arbeitnehmern dessen arbeitstechnischen Zweck durch weisungsgebundene Tätigkeit zu verwirklichen. Die Weisungsgebundenheit des D ergebe sich aus seiner Stellung als Arbeitnehmer der Betriebsinhaberin. Eine Eingliederung erfordere nicht, dass ein Arbeitnehmer seine Arbeiten auf dem Betriebsgelände verrichtet oder dort über ein eigenes Büro verfügt. Unerheblich sei auch, wie häufig und wie lange er für den Betrieb tätig ist. Entscheidend sei vielmehr, ob der Arbeitgeber mit Hilfe dieses Arbeitnehmers den arbeitstechnischen Zweck des Betriebs verfolgt. D sei zwei Führungskräften in Hannover gegenüber weisungsbefugt und nehme dadurch mittelbar Einfluss auf die ihnen unterstellten Arbeitnehmer. Damit sei er in die Arbeitsprozesse eingebunden und verwirkliche den arbeitstechnischen Zweck des Betriebs Hannover. Deshalb hätte der Betriebsrat Hannover der Einstellung des D zustimmen müssen.

Nach Ansicht des BAG gebieten auch Sinn und Zweck des § 99 BetrVG in diesem Fall ein Zustimmungsverweigerungsrecht. Übernehme ein betriebsfremder Arbeitnehmer eine Vorgesetztenfunktion, könne er allein dadurch den Betriebsfrieden stören.

Keine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats

Die Arbeitgeberin hatte vertreten, selbst bei Einstellung des D in mehrere Betriebe wäre nicht der Betriebsrat Hannover, sondern der Gesamtbetriebsrat nach § 99 Abs. 1 BetrVG zu beteiligen gewesen. Aus Arbeitgebersicht hätte dies den Vorteil, dass bei einer Einstellung in jedem Fall nur ein Gremium zustimmen müsste. Das BAG lehnte diese Auffassung ab. Der Gesamtbetriebsrat sei zuständig, wenn eine Angelegenheit das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe zugleich betreffe. Die Einstellung eines Arbeitnehmers in einen Betrieb betreffe aber nur den jeweiligen Betrieb. Bei gleichzeitiger Einstellung in zwei Betriebe handele es sich nicht um eine, sondern um zwei verschiedene zustimmungspflichtige Maßnahmen.

Gleiss Lutz kommentiert

Die Entscheidung knüpft an die jüngere Rechtsprechung des 1. Senats an. Bereits in einem Beschluss vom 12. Juni 2019 (1 ABR 5/18) hatte der Senat entschieden, allein die Wahrnehmung von Führungsaufgaben in einem anderen Betrieb in geringem zeitlichen Umfang führe zu einer Einstellung in diesen Betrieb. Die Entscheidung ist auf Kritik gestoßen (z. B. Lingemann/Steinhauser, NZA 2020, 87). Das BAG weite den Begriff der Einstellung aus und erschwere damit den Aufbau einer betriebsübergreifenden Organisation.

Anders als aus der Entscheidung vom 12. Juni 2019 geht aus dem vorliegenden Beschluss ausdrücklich hervor, dass dem betriebsübergreifend eingesetzten Bereichsleiter das fachliche und disziplinarische Weisungsrecht übertragen wurde. Dies spricht dafür, dass auch nach Ansicht des BAG eine bloße Übertragung des fachlichen Weisungsrechts an eine Führungskraft aus einem anderen Betrieb nicht zu deren Einstellung führt. Hält die Rechtsprechung an dieser Abgrenzung fest, könnten Arbeitgeber durch Ausgestaltung des Weisungsrechts die Entstehung eines (zusätzlichen) Mitbestimmungsrechts verhindern: Erhält eine Führungskraft gegenüber Arbeitnehmern in einem anderen Betrieb allein das fachliche Weisungsrecht oder allenfalls untergeordnete Teile des disziplinarischen Weisungsrechts (z. B. Urlaubsgewährung), müsste der dortige Betriebsrat nicht nach § 99 BetrVG beteiligt werden.

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