Arbeitsrecht

Kündigungsschutz für Schwangere vor Tätigkeitsaufnahme

Das Kündigungsverbot gegenüber einer schwangeren Arbeitnehmerin gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 MuSchG gilt auch für eine nach Vertragsabschluss, aber vor der vereinbarten Tätigkeitsaufnahme erklärte Kündigung des Arbeitgebers.

BAG, Urteil vom 27. Februar 2020 – 2 AZR 498/19

Besonderer Kündigungsschutz für Schwangere

Nach § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 MuSchG ist eine Kündigung gegenüber einer Frau während ihrer Schwangerschaft unzulässig, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt ist oder wenn sie ihm innerhalb von zwei Wochen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird. § 17 Abs. 1 MuSchG enthält ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB. Eine Kündigung unter Verstoß gegen dieses Verbot ist gem. § 134 BGB nichtig.

Streit über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung. Der beklagte Arbeitgeber schloss mit der klagenden Arbeitnehmerin einen Arbeitsvertrag. Dieser sah vor, dass die Klägerin ihre Tätigkeit ca. zwei Monate nach Vertragsschluss beginnen sollte. Kurz vor dem vereinbarten Tätigkeitsbeginn informierte die Klägerin den Beklagten darüber, dass bei ihr eine Schwangerschaft festgestellt worden sei. Aufgrund einer chronischen Vorerkrankung sei außerdem ein sofortiges Beschäftigungsverbot attestiert worden. Daraufhin kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fristgemäß. Die Klägerin beantragte festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung des Beklagten beendet wurde. 

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage der Arbeitnehmerin stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Revision des Beklagten hat keinen Erfolg.

Das Kündigungsverbot des § 17 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 MuSchG gelte auch für eine Kündigung vor vereinbarter Tätigkeitsaufnahme. Der Gesetzeswortlaut sei zwar nicht eindeutig, aus der Gesetzessystematik ergebe sich allerdings, dass die Begriffe „Beschäftigung“ und „Beschäftigungsverhältnis“ synonym verwendet würden. Ein Beschäftigungs- oder Arbeitsverhältnis entstehe schon mit Abschluss des Arbeitsvertrags. Dies gelte auch dann, wenn die Tätigkeit erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgenommen werde, da bereits mit dem Vertragsschluss wechselseitige Verpflichtungen begründet würden. Jedenfalls nach dem Normzweck des Kündigungsverbots in § 17 Abs. 1 S. 1 MuSchG genüge für dessen Eingreifen der Abschluss eines Arbeitsvertrags; eine Tätigkeitsaufnahme sei nicht erforderlich. Der mit dem Kündigungsverbot bezweckte Gesundheits- und Existenzschutz sei nur dann gewährleistet, wenn die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses unabhängig davon unzulässig ist, ob die Tätigkeit erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgenommen werden soll. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die vereinbarte Tätigkeitsaufnahme innerhalb der Schutzzeit des Kündigungsverbots liege.

Die Erstreckung des Kündigungsverbots auf eine Kündigung vor vereinbarter Tätigkeitsaufnahme stehe auch im Einklang mit dem Unionsrecht. Ein Vorabentscheidungsersuchen sei nicht erforderlich. Ungeachtet des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts bestünden gegen die beschriebene Auslegung des Kündigungsverbots auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Etwaige Eingriffe in die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG) und die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) der Arbeitgeber seien durch den mit dem Kündigungsverbot verfolgten Schutzzweck (Gesundheits- und Existenzschutz von Schwangeren) gerechtfertigt.

Gleiss Lutz kommentiert

Mit seiner Entscheidung führt das Bundesarbeitsgericht seine bisherige Rechtsprechung zum Schutz schwangerer Arbeitnehmerinnen fort und betont das Kündigungsverbot des Mutterschutzgesetzes – auch schon vor Tätigkeitsaufnahme. Das Mutterschutzgesetz stellt den Arbeitgeber jedoch nicht vollkommen schutzlos. Arbeitgeber können bei der für den Arbeitsschutz zuständigen obersten Landesbehörde beantragen, dass die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin ausnahmsweise für zulässig erklärt wird. Ein solcher Antrag ist allerdings nur in besonderen Fällen erfolgsversprechend, wenn die Kündigung nicht in einem Zusammenhang mit dem Zustand der Arbeitnehmerin in der Schwangerschaft steht. Dies gilt es in jedem Einzelfall zu prüfen.

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