Arbeitsrecht

Kündigung wegen verspäteter Anzeige einer fortdauernden Arbeitsunfähigkeit

Arbeitnehmer sind verpflichtet, dem Arbeitgeber sowohl die Erst- als auch die fortdauernde Arbeitsunfähigkeit unverzüglich anzuzeigen. Verletzt ein Arbeitnehmer schuldhaft diese Nebenpflicht, kann das grundsätzlich eine Kündigung rechtfertigen.

BAG, Urteil vom 7. Mai 2020 – 2 AZR 619/19

Schuldhafte Pflichtverletzung

Gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) sind Arbeitnehmer verpflichtet, dem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen. Auch die Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit über den ursprünglich mitgeteilten Zeitpunkt hinaus ist unverzüglich zu melden. So wird der Arbeitgeber in die Lage versetzt, sich frühzeitig darauf einzustellen, dass ein Arbeitnehmer fehlt bzw. die ursprünglich mitgeteilte Dauer der Arbeitsunfähigkeit überschritten wird.

Unverzüglich setzt gem. § 121 Abs. 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) voraus, dass nicht schuldhaft gezögert wird. Die Mitteilung muss dem Arbeitgeber zugehen. Das ist der Fall, wenn sie an einen vom Arbeitgeber zur Entgegennahme von derartigen Erklärungen autorisierten Mitarbeiter, an einen Vorgesetzten oder die Personalabteilung gerichtet wird. Wird ein Bote eingesetzt, trägt der Arbeitnehmer das Risiko der rechtzeitigen und zutreffenden Übermittlung.  

Verletzt der Arbeitnehmer schuldhaft diese Nebenpflicht, kommt grundsätzlich eine verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Frage.

Neben der schuldhaften Pflichtverletzung setzt eine wirksame verhaltensbedingte Kündigung aber zusätzlich voraus, dass

  • eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und
  • dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus nach einer beidseitigen Interessenabwägung unzumutbar ist.

Interessenabwägung

Zur Interessenabwägung führt das BAG aus, dass die Verletzung der Pflicht der unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit das Dispositionsinteresse des Arbeitgebers genauso schwer treffen könne, wie die verspätete Anzeige des erstmaligen Eintritts der Arbeitsunfähigkeit. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hatte argumentiert, dass die nicht unverzügliche Anzeige der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit das Dispositionsinteresse weniger gravierend beeinträchtige als die Anzeige des erstmaligen Eintritts, da das Nichterscheinen des Arbeitnehmers den Arbeitgeber nicht mehr unvorbereitet treffe. Das BAG erteilte dieser Ansicht eine Absage. Der Arbeitgeber dürfe grundsätzlich darauf vertrauen, dass ein Arbeitnehmer seine Arbeit wiederaufnehmen werde, wenn die mitgeteilte Dauer der Arbeitsunfähigkeit ende.

Wir stark das Dispositionsinteresse des Arbeitgebers beeinträchtigt werde, hänge von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, z. B. davon, ob der Arbeitnehmer termingebunden tätig wird oder vertreten werden kann. Auch bei einer länger andauernden Arbeitsunfähigkeit sei der Arbeitgeber nicht generell gehalten, sich um eine langfristige Ersatzlösung zu bemühen. Es gebe auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach es eher unwahrscheinlich sei, dass ein Mitarbeiter nach einer langen Arbeitsunfähigkeit, die immer wieder verlängert wurde, den Dienst wieder antritt, wenn er nichts Anderslautendes verlautbaren lassen hat.

Fazit

Auch die nicht unverzügliche Anzeige der Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit stellt eine arbeitsrechtliche Nebenpflichtverletzung dar, die den Arbeitgeber zur Kündigung berechtigten kann. Neben der Pflichtverletzung muss für eine wirksame Kündigung aber auch die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers ausfallen. Das BAG hat erfreulicherweise klargestellt, dass auch die nicht unverzügliche Anzeige der Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit das Dispositionsinteresse des Arbeitgebers genauso stark beeinträchtigten kann wie die verspätete Anzeige einer erstmaligen Arbeitsunfähigkeit. Der Differenzierung zwischen Erst- und Fortsetzungserkrankung hat das BAG damit eine Absage erteilt.

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