Arbeitsrecht

Kündigung schwangerer Arbeitnehmerinnen im Rahmen einer Massenentlassung

Die Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin im Rahmen einer Massenentlassung steht nicht mit ihrem Zustand im Zusammenhang und kann daher auch nach EU-Recht zulässig sein.

EuGH, 22. Februar 2018 – C-103/16

Die spanische Arbeitgeberin plante eine Massenentlassung. Sie konsultierte die Arbeitnehmervertretung und verhandelte mit dieser Kriterien für die Auswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer. Beruhend auf einer entsprechenden Auswahl kündigte die Arbeitgeberin schließlich der schwangeren Klägerin. Im Kündigungsschreiben verwies sie auf die weitgreifenden Personalanpassungen und das mit der Arbeitnehmervertretung abgestimmte Auswahlverfahren. Die Klägerin klagte in erster Instanz erfolglos gegen die Kündigung. Das als Rechtsmittelinstanz angerufene Oberste Gericht von Katalonien rief den EuGH im Vorabentscheidungsverfahren an und begehrte unter anderem Klärung, ob das Kündigungsverbot der Mutterschutzrichtlinie (92/85/EWG) auch einer nach nationalem Recht zulässigen Kündigung im Rahmen eines Massenentlassungsverfahrens (im Sinne der Massenentlassungsrichtlinie 98/59/EG) entgegen stehe.

Der EuGH hat diese Frage verneint und verdeutlicht, dass die Mutterschutzrichtlinie nur eine Kündigungsentscheidung verbiete, die mit der Schwangerschaft im Zusammenhang stehe. Eine Kündigung aus anderen Gründen sei nach der Richtlinie grundsätzlich zulässig, wenn der Arbeitgeber für sie schriftlich berechtigte Gründe anführe und sie nach nationalem Recht zulässig sei. Massenentlassungen stuft der EuGH als auf schwangerschaftsunabhängigen Gründen beruhende Kündigungen ein. Im Hinblick auf die weiteren vom vorlegenden Gericht aufgeworfenen Fragen stellt der EuGH klar, dass der kündigende Arbeitgeber seiner Begründungspflicht nach der Richtlinie grundsätzlich genügt, wenn er der schwangeren Arbeitnehmerin die (wirtschaftlichen oder technischen oder sich auf Organisation oder Produktion des Unternehmens beziehenden) Gründe für die Massenentlassung und die Auswahlentscheidung darlege. Weiter hat der EuGH entschieden, dass die Mitgliedsstaaten für den Kontext einer Massenentlassung keinen Vorrang der Weiterbeschäftigung einer schwangeren Arbeitnehmerin vor einer Kündigung vorsehen müssen. Die Mutterschutzrichtlinie erfordere aber jedenfalls grundsätzlich einen präventiven Kündigungsschutz für schwangere Arbeitnehmerinnen – eine Regelung, die lediglich die Unwirksamkeit einer Kündigung vorsehe, werde dem Schutzzweck der Richtlinie nicht gerecht. Die schwangere Arbeitnehmerin solle gerade auch vor den physischen und psychischen Auswirkungen eines Kündigungsausspruchs geschützt werden.

Gleiss Lutz Kommentar

Der deutsche Sonderkündigungsschutz für schwangere Arbeitnehmerinnen entspricht den Vorgaben des EuGH und geht wohl in zulässiger Weise über die aufgestellten Voraussetzungen noch hinaus. Die Kündigung gegenüber einer schwangeren Arbeitnehmerin erfordert zwar die Zustimmung der zuständigen Landesbehörde, die Zustimmung ist jedoch in besonderen Fällen, die nicht mit dem Zustand der Frau im Zusammenhang stehen, regelmäßig zu erteilen. Erfahrungsgemäß legen die Behörden aber auch bei betriebsbedingten Massenentlassungen insbesondere im Hinblick auf andere Beschäftigungsmöglichkeiten hohe Maßstäbe an.

Richtungsweisend ist die Entscheidung in anderer Hinsicht: Obwohl der EuGH sich mit dieser Frage nicht ausdrücklich befasst, kommt in seinen Ausführungen zum Ausdruck, dass ein Massenentlassungsverfahren auch im Hinblick auf schwangere Arbeitnehmerinnen durchgeführt werden kann, ohne dass hierin eine verbotene Vorbereitungshandlung für eine Kündigung zu sehen wäre. Im deutschen Recht ist bislang unklar, ob die Aufnahme von schwangeren Arbeitnehmerinnen in eine Massenentlassungsanzeige eine verbotene Vorbereitungshandlung darstellt. Nach der aktuellen EuGH-Rechtsprechung dürfte die Frage zu verneinen sein. Praktisch lassen sich diese Fälle schwer anders handhaben, da nach neuerer Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht (BVerfG, ArbRAktuell 2016, 375) und BAG (BAG, ArbRAktuell 2017, 197) auch nach behördlicher Zustimmung geplante Kündigungen von Arbeitnehmern/Arbeitnehmerinnen in Elternzeit oder Mutterschutz unter die Konsultations- und Anzeigepflicht nach § 17 KSchG fallen.

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