Arbeitsrecht

Diskriminierungsvermutung bei unterbliebener Einladung schwerbehinderter Mitarbeiter zu Vorstellungsgespräch?

Der Umstand, dass eine schriftliche Einladung zu einem Vorstellungsgespräch der sich bewerbenden schwerbehinderten oder einer ihr gleichgestellten Person nicht entsprechend § 130 BGB zugegangen ist, kann die Kausalitätsvermutung nach § 22 AGG nur dann begründen, wenn der Arbeitgeber nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen hat, um einen ordnungsgemäßen und fristgerechten Zugang der Einladung zu bewirken.

BAG, Urteil vom 1. Juli 2021 – 8 AZR 297/20

Sachverhalt

Der Kläger ist mit einer schwerbehinderten Person gleichgestellt. Er bewarb sich im Januar 2018 als Kämmerer bei der beklagten Stadt. Die Beklagte behauptet, eine vom Bürgermeister unterzeichnete Einladung zum Vorstellungsgespräch per Post (einfacher Brief) an den Kläger verschickt zu haben. Im Übrigen legte sie den Geschäftsablauf bis zum Versand des Briefs sowie die daran beteiligten Personen dar. Die Einladung erreichte den Kläger nicht.

Der Kläger behauptet, die Beklagte habe ihn nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Nach erfolgloser Geltendmachung einer Entschädigung klagte der Kläger auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab.

Entscheidung des BAG

Auch die Revision des Klägers blieb erfolglos. Ihm steht kein Entschädigungsanspruch zu.

Zwar verpflichtet § 165 S. 3 SGB IX öffentliche Arbeitgeber dazu, schwerbehinderte Personen bzw. diesen Gleichgestellte zum Vorstellungsgespräch einzuladen. Unterbleibt diese Einladung, stellt dies grundsätzlich auch ein Indiz für eine kausale Diskriminierung dar.

Alleine der Umstand, dass der Kläger keine Einladung zum Vorstellungsgespräch erhalten hat, begründet allerdings noch keine Vermutung dafür, dass der Kläger wegen der (Schwer-)Behinderung bzw. Gleichstellung mit einer schwerbehinderten Person benachteiligt worden wäre. Denn die Beklagte hatte alles ihr Mögliche und Zumutbare unternommen, um für einen ordnungsgemäßen und fristgerechten Zugang des Einladungsschreibens beim Kläger zu sorgen. Insoweit wirkt es sich aus, dass der mangelnde Zugang eines Einladungsschreibens aus den unterschiedlichsten Gründen – auch solchen außerhalb der Risikosphäre des Arbeitgebers – beruhen kann und damit keinen Rückschluss auf die Einstellung des Arbeitgebers gegenüber (schwer)behinderten Personen zulässt..

Den Beweis dafür, dass die Beklagte nicht alles Mögliche und Zumutbare getan hat, um den Zugang der Einladung zu bewirken, konnte der Kläger nicht führen. Obwohl es ihm möglich gewesen wäre, ihm bekannte Personen als Zeugen für die unterbliebene Versendung des Einladungsschreibens zu benennen, hat er dies nicht getan und ist beweisfällig geblieben.

Gleiss Lutz kommentiert

Die Entscheidung des BAG entspricht den unionsrechtlichen Vorgaben. Danach tritt eine Umkehr der Darlegungs- und Beweislast bzgl. des Vorliegens einer Diskriminierung erst ein, wenn der Anspruchsteller ausreichend Tatsachen vorgetragen und erforderlichenfalls unter Beweis gestellt hat, die die Vermutung einer Benachteiligung begründen (vgl. EuGH, Urt. v. 25. April 2013 – C-81/12). Die Tatsache, dass der Kläger danach die Darlegungslast für Vorgänge trägt, die in der Sphäre der Beklagten liegen (wie hier der Geschäftsablauf bis zum Versand der Einladung), löst das BAG zutreffend über die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast. Ihrer sekundären Darlegungslast ist die Beklagte hier nachgekommen, indem sie die internen Abläufe im Zusammenhang mit dem Versand des Einladungsschreibens dargestellt und die beteiligten Personen benannt hat. Arbeitgeber sollten ihre internen Abläufe rund um den Bewerbungsprozess daher (weiterhin) lückenlos dokumentieren. Erfreulich ist die Klarstellung des BAG in diesem Zusammenhang, dass § 165 S. 3 SGB IX Arbeitgeber nicht dazu verpflichtet, die Einladungsschreiben per Einschreiben mit Rückschein oder förmlich zuzustellen.

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