Arbeitsrecht

Kein Schutz von Whistleblowern bei fehlender Anonymisierung durch den Arbeitgeber

Das Einsichtsrecht eines Arbeitnehmers in die Personalakte nach § 83 BetrVG umfasst auch Dokumente interner Ermittlungen, aus denen sich die Identität eines Hinweisgebers ergibt, wenn der Arbeitgeber die zugesagte Anonymisierung nicht umgesetzt hat.
Wurde Anonymität zugesagt, steht dies der Auskunftserteilung nach Art. 15 DS-GVO nicht per se entgegen. Erforderlich ist stets eine Interessenabwägung im Einzelfall.

LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Dezember 2018 – 17 Sa 11/18

Sachverhalt

Der Kläger ist bei der Beklagten, einem international tätigen Fahrzeughersteller, als Unternehmensjurist in der Rechtsabteilung beschäftigt. Bei der Beklagten existiert eine Konzernrichtlinie zur Compliance (Business Practices Office, „BPO“), mit deren Hilfe vertragswidrige Sachverhalte durch anonyme Hinweise aufgeklärt werden sollen. Im Jahr 2014 leitete die Beklagte aufgrund eines solchen Hinweises ein BPO-Verfahren gegen den Kläger ein. Im März 2017 teilte der Personalleiter dem Kläger mit, dass für alle Besetzungen im Rechtsbereich ein Compliance-Check durchgeführt werde, um zu untersuchen, ob sich im BPO-Verfahren ein Regelverstoß zeige. Beim Kläger sei dabei ein Verstoß festgestellt worden. Nähere Angaben zu dem Verstoß machte die Beklagte nicht. Der Kläger klagte u.a. auf Einsichtnahme in die BPO-Akte und Auskunftserteilung gem. Art. 15 DS-GVO über die verarbeiteten und nicht in der Personalakte des Klägers gespeicherten personenbezogenen Leistungs- und Verhaltensdaten des Klägers sowie auf Herausgabe von Kopien dieser Daten. Die Beklagte lehnte dies unter Verweis auf die Schutzbedürftigkeit anonymer Hinweisgeber ab.

Entscheidung des LAG

Das LAG hat dem Antrag auf Akteneinsicht und Auskunftserteilung stattgegeben. Nach § 83 BetrVG seien vom Einsichtsrecht in die Personalakte auch Dokumente interner Ermittlungen umfasst. Die Beklagte könne sich dabei nicht auf den Schutz von Hinweisgebern berufen, denen sie Anonymität zugesichert hat. Der Arbeitgeber müsse Maßnahmen zur Sicherung der Anonymität der Hinweisgeber ergreifen, in dem er diese Teile der Mitteilungen des Hinweisgebers entweder nicht zur Akte nehme oder durch Schwärzungen unkenntlich mache. Unterlasse der Arbeitgeber diese Maßnahmen zum Schutz des Hinweisgebers, könne er die Einsicht des Arbeitnehmers in die Akten jedenfalls nicht aufgrund der fehlenden Anonymisierung verweigern.

Auch aus Art. 15 Abs. 1 DS-GVO habe der Kläger einen Auskunftsanspruch. Das Recht auf Auskunft werde nach § 34 Abs. 1 i.V.m. § 29 Abs. 1 S. 2 BDSG nur eingeschränkt, „soweit“ überwiegende berechtigte Geheimhaltungsinteressen Dritter entgegenstünden. Ein legitimes Geheimhaltungsinteresse könne zwar grundsätzlich in der Zusicherung von Anonymität gegenüber Hinweisgebern bei Aufklärung innerbetrieblicher Fehlverhalten liegen. Dennoch könne auch in solchen Fällen im Rahmen der Interessenabwägung im Einzelfall das Auskunftsinteresse gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse überwiegen, z.B. wenn ein Informant leichtfertig oder wider besseren Wissens unrichtige Informationen gegeben habe. Die für diese Einzelabwägung maßgeblichen Tatsachen habe die Beklagte nicht dargelegt.

Gleiss Lutz Kommentar 

Das LAG stellt Arbeitgeber, die sich mit einem Auskunftsanspruch gem. Art. 15 Abs. 1 DS-GVO konfrontiert sehen, vor eine Mammutaufgabe: Bei der Entscheidung, ob sie einem Auskunftsbegehren nach Art. 15 Abs. 1 DS-GVO Folge leisten, müssen Arbeitgeber in jedem Einzelfall eine Interessenabwägung anhand konkreter Tatsachen vornehmen und diese Tatsachen im Prozess substantiiert vortragen. Bezieht sich – wie in dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall – der Auskunftsanspruch auf sämtliche personenbezogenen Leistungs- und Verhaltensdaten, kann dies in einem mehrjährigen Arbeitsverhältnis schnell Altbestände unzähliger Dokumente und eine Vielzahl unterschiedlicher Sachverhalte betreffen. Zahlreiche Arbeitgeber werden diese Informationen für die Vergangenheit nicht vorhalten und daher nicht in der Lage sein, Auskunftsverweigerungsgründe ausreichend substantiiert darzulegen. Selbst wenn aber die Informationen vorgehalten werden können, bergen die vom LAG geforderten hohen Anforderungen an den hinreichend substantiierten Sachvortrag des Arbeitgebers die Gefahr, dass ein entsprechend präziser Sachvortrag Rückschlüsse auf die Person des Hinweisgebers zulässt, der Hinweisgeberschutz damit letztlich verloren geht.

Damit kann eine strenge Auslegung des Datenschutzes zur Folge haben, dass Whistleblowersysteme als wichtiger Bestandteil einer Compliance-Organisation an Effizienz einbüßen. Dies stellt Unternehmen vor die schwierige Herausforderung, verlässliche Compliance-Systeme zu schaffen, die die Interessen der Hinweisgeber einerseits und die der die Auskunft begehrenden Person andererseits wahren. Es bleibt zu hoffen, dass der 5. Senat des BAG, bei dem die Revision anhängig ist, in seiner Entscheidung die Vorgaben hierfür präzisiert und dabei die Reichweite des Auskunftsanspruchs nicht überspannt. Nicht zuletzt kann es zulasten des Arbeitsklimas und damit der Arbeitnehmer gehen, wenn Arbeitgeber durch das scharfe Schwert der Auskunftsansprüche letztlich gezwungen werden, vollständig anonyme Hinweisgebersysteme einzurichten, die eine Überprüfung von Meldungen auf ihren Wahrheitsgehalt erschweren und die Sanktionierung denunziatorischer Meldungen verhindern.

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