Arbeitsrecht

LAG Berlin-Brandenburg: Kein Homeoffice-Angebot vor Kündigung erforderlich

Das Arbeitsgericht Berlin sorgte mit einer Entscheidung im August 2020 für Aufsehen (ArbG Berlin 10. August 2020 – 19 Ca 13189/19). Es ging von der Unwirksamkeit einer auf eine Änderung des Arbeitsortes abzielende Änderungskündigung aus, weil die Arbeitnehmerin im konkreten Fall ihre Arbeit auch von zu Hause aus hätte erbringen können. Das Arbeitsgericht Berlin sah die unternehmerische Entscheidung der Arbeitgeberin, keine Weiterbeschäftigung im Homeoffice anzubieten, als „aus der Zeit gefallen“ und damit als willkürlich an. Das LAG Berlin-Brandenburg schloss sich dieser Auffassung nicht an (LAG Berlin-Brandenburg 24. März 2021 – 4 Sa 1243/20). In der mit Spannung erwarteten Berufungsentscheidung stellte das LAG Berlin-Brandenburg fest, dass das Angebot eines Homeoffice-Arbeitsplatzes zumindest dann keine mildere Maßnahme im Rahmen einer Änderungskündigung sein kann, wenn es Teil der unternehmerischen Entscheidung ist, die betroffenen Arbeitsplätze an einem Standort zu konzentrieren.

Sachverhalt

Die Klägerin (Arbeitnehmerin) war bei der Beklagten (Arbeitgeberin) am Standort Berlin als Vertriebsassistentin beschäftigt. Der Hauptsitz der Arbeitgeberin ist in Wuppertal. In einem Interessenausgleich vereinbarte die Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat u. a. die vollständige Stilllegung des Standorts in Berlin und eine Konzentrierung der Vertriebsassistenzen am Standort Wuppertal. Außendienstmitarbeiter am Standort Berlin sollten ihre Tätigkeiten von bestehenden oder neu einzurichtenden Teleoffice-Arbeitsplätzen fortsetzen. Nach einer „Teleoffice-Richtlinie“ war es Mitarbeitern der Arbeitgeberin unter bestimmten Voraussetzungen gestattet, von zu Hause aus zu arbeiten. Die Arbeitnehmerin erfüllte die Voraussetzungen nach dieser Richtlinie nicht. Die Arbeitgeberin sprach gegenüber der Arbeitnehmerin eine betriebsbedingte Änderungskündigung aus, mit dem Angebot die Tätigkeit als Vertriebsassistentin in Wuppertal fortzusetzen. Die Arbeitnehmerin nahm das Angebot nicht an und wehrte sich mit einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung.

Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg

Das LAG beschreibt in den Entscheidungsgründen zunächst den allgemeinen Maßstab für die Beurteilung von Änderungskündigungen. Maßstab für die Überprüfung der sozialen Rechtfertigung einer betriebsbedingten Änderungskündigung sei, ob das Beschäftigungsbedürfnis für den Arbeitnehmer aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung zu den bisherigen Vertragsbedingungen entfallen ist und der Arbeitgeber sich bei Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes darauf beschränkt hat, solche Änderungen vorzuschlagen, die den Arbeitnehmer am wenigsten beeinträchtigen und die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss. Die unternehmerische Entscheidung an sich könnten die Arbeitsgerichte nicht auf ihre Nachvollziehbarkeit oder Zweckmäßigkeit überprüfen. Die Prüfungskompetenz beschränke sich auf eine Willkürkontrolle. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts Berlin sei es nicht willkürlich, wenn die Arbeitgeberin die Vertriebstätigkeiten in ihrer Zentrale zusammenfasst, die Außenstandorte schließt und für Vertriebsassistenzen keine Beschäftigung im Homeoffice vorsieht. Die Arbeitgeberin habe nicht lediglich eine Vereinheitlichung von Arbeitsbedingungen vorgenommen, sondern eine Änderung der gesamten Unternehmensstruktur beschlossen, die die Arbeitsorte und Tätigkeiten zentral in Wuppertal bündelt. Aufgrund dieser unternehmerischen Entscheidung sei der Beschäftigungsbedarf der Arbeitnehmerin an ihrem bisherigen Arbeitsort in Berlin entfallen.

Ein Arbeitsplatz im Homeoffice sei unter Berücksichtigung dieser unternehmerischen Entscheidung kein milderes Mittel, denn die Entscheidung sah für Vertriebsassistenzen als Arbeitsort ausschließlich Wuppertal vor. Lediglich Außendienstmitarbeiter des Standorts Berlin sollten nach der unternehmerischen Entscheidung von zu Hause aus arbeiten. Mit dem Interessenausgleich habe die Arbeitgeberin ihre unternehmerische Entscheidung nach außen manifestiert. Darüber könne sich das Berufungsgericht nicht hinwegsetzen und die Einrichtung eines Homeoffice-Arbeitsplatzes als vorrangige mildere Maßnahme für erforderlich erachten.

Bewertung und Folgen für die Praxis

Dem Urteil ist im Ergebnis zuzustimmen. Es war zu erwarten, dass das Berufungsgericht die Entscheidung des Arbeitsgerichts Berlin revidiert. Nach dem Arbeitsgericht Berlin wäre der Arbeitgeber in seiner freien Entscheidung über die Organisation der Arbeitsorte (Standorte, Homeoffice etc.) stark eingeschränkt. Das LAG Berlin-Brandenburg stellt nun zu recht klar, dass eine solche Beschränkung der unternehmerischen Freiheit nicht hinnehmbar wäre. Allein eine aktuell weite Verbreitung von Tätigkeiten im Homeoffice kann Arbeitgeber nicht dazu verpflichten, entsprechende Heimarbeitsplätze einzuführen. Dies würde zudem auch die gesetzgeberische Grundentscheidung, keine gesetzliche Homeoffice-Pflicht einzuführen, unterlaufen.

Nichtsdestotrotz ist nach der Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg nicht per se ausgeschlossen, dass Arbeitgeber eine Tätigkeit im Homeoffice vorrangig als milderes Mittel zu einer Änderungskündigung oder Beendigungskündigung anzubieten haben. Das LAG stützt seine Begründung im vorliegenden Fall insbesondere darauf, dass das unternehmerische Konzept eine Präsenztätigkeit der betroffenen Funktionen vorsah und Homeoffice-Arbeitsplätze nur einer konkret definierten Mitarbeitergruppe vorbehalten waren. Sieht ein unternehmerisches Konzept für die betroffenen Mitarbeiter Homeoffice-Arbeitsplätze vor oder bestehen betriebliche Regelungen zu Ansprüchen auf Homeoffice, könnten Tätigkeiten im Homeoffice betriebsbedingten (Änderungs)kündigungen nach den Umständen des Einzelfalls als milderes Mittel vorzuziehen sein, wenn der bisherige Präsenzarbeitsplatz infolge der unternehmerischen Entscheidung entfällt. Entscheidend wird dabei die konkrete Ausgestaltung des unternehmerischen Konzepts oder der betrieblichen Regelung sein. Besteht neben der Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, zumindest teilweise noch eine Präsenzpflicht im Betrieb, wäre ein Angebot auf ausschließliche Homeoffice-Tätigkeit kein in Betracht zu ziehendes milderes Mittel.

Möchten Arbeitgeber im Zusammenhang mit Standortverlagerungen kein Homeoffice ermöglichen, sondern soll es auch am neuen Standort bei Präsenzarbeitsplätzen bleiben, ist es vor dem Hintergrund der Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg ratsam, dies in der unternehmerischen Entscheidung und den diese umsetzenden Vereinbarungen wie einem Interessenausgleich klarzustellen.

Weiterleiten