Energie & Infrastruktur

Der Kampf um Energie und mögliche zivilrechtliche Folgen

Der Kampf um Energie aufgrund in den letzten Monaten stark reduzierter und mitunter gänzlich ausfallender Gaslieferungen aus Russland ist in aller Munde und Gegenstand einer Vielzahl politischer und regulatorischer Maßnahmen. Insbesondere die damit einhergehenden deutlich höheren Energiekosten führen unweigerlich zu Diskussionen über die Auswirkungen der Kostensteigerungen auf die vertraglichen Beziehungen entlang der Lieferketten von Unternehmen, insbesondere in Form von Preiserhöhungen, Vertragsanpassungen oder Leistungsverweigerungsrechten.

Dieser Beitrag beleuchtet mögliche zivilrechtliche und prozessuale Folgen im Rahmen des BGB und der ZPO. Branchenspezifische Sonderregelungen (wie z.B. der derzeit noch bestehende Genehmigungsvorbehalt in § 27 EnSiG für Leistungsverweigerungsrechte von Gaslieferanten aufgrund von Ausfall oder Reduzierung von Gaslieferungen) bleiben daher außer Betracht.

 

I. Preisanpassungen

1. Preiserhöhung als Begehren zur Anpassung des Vertrags nach § 313 BGB

Eine Preiserhöhung aufgrund stark gestiegener Energiepreise kann rechtlich ein Begehren zur Anpassung des Vertrags nach § 313 Abs. 1 BGB darstellen. Eine erfolgreiche (Preis-)Anpassung auf dieser Grundlage setzt voraus, dass sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach dessen Abschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien diesen Vertrag nicht oder anders geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten und einem Teil das Festhalten am Vertrag deswegen unzumutbar ist.

Ein maßgebliches Kriterium eines erfolgreichen Anpassungsbegehrens ist die Überschreitung der Risikoschwelle, die dem verpflichteten Partner zuzumuten ist. Denn § 313 BGB ist grundsätzlich nicht anwendbar, soweit sich durch die Störung der Geschäftsgrundlage ein Risiko verwirklicht, das nach der vertraglichen Risikoverteilung von der die Vertragsanpassung begehrenden Partei zu tragen ist. Das Beschaffungs- und das damit einhergehende Risiko der Steigerung der Gestehungskosten (darunter insbesondere die Verteuerung beim Einkauf z.B. von Roh- und Vormaterialien, Hilfs- und Betriebsstoffen sowie der Anstieg von Produktions- und Logistikkosten) trägt grundsätzlich der Verkäufer bzw. Lieferant von Sachleistungen. Dies gilt insbesondere dann, wenn im Vertrag ein Festpreis vereinbart ist, der im Verhältnis zum Kunden wie eine Preisgarantie zu verstehen ist. Beispiel hierfür ist die jüngst veröffentlichte Entscheidung des LG Düsseldorf über einen Antrag auf einstweilige Verfügung der Verbraucherzentrale NRW im B-to-C-Kontext (LG Düsseldorf, Beschl. v. 26. August 2022, Az. 12 O 247/22). Gleiches gilt in der Regel, wenn die Parteien Preisgleitklauseln in den Vertrag aufgenommen haben. Dies zeigt, dass sie die Problematik steigender Gestehungskosten erkannt und möglicherweise sogar abschließend geregelt haben. Ein weiteres Kriterium für die Gerichte ist in diesem Kontext, ob die Parteien das Risiko steigender Gestehungskosten durch Hedging abgesichert haben oder ob eine solche Absicherung wenigstens verkehrsüblich gewesen wäre. Ist das der Fall, besteht in der Regel wenig Raum für eine Anwendung des § 313 BGB. Dies gilt auch, wenn bei Vertragsschluss die Umstände, die zur Verteuerung führen, bereits eingetreten waren (etwa Vertragsschluss nach Beginn des Ukraine–Kriegs). Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen kommt möglicherweise dann in Betracht, wenn die Partei, die Anpassung begehrt, in ihrer Existenz bedroht ist. Maßgeblich bleibt immer eine Prüfung des jeweiligen Einzelfalls.

Selbst wenn im Einzelfall ein Anpassungsbegehren berechtigt ist, darf die Vertragsanpassung nicht zu einer Überkompensierung der entstandenen Verluste führen. Im Gegenteil darf der Vertrag grundsätzlich nur gerade soweit angepasst werden, bis die Erbringung der Leistungen gerade wieder zumutbar wird. Eine vollständige Kompensation der Mehrkosten findet also regelmäßig nicht statt.

In prozessualer Hinsicht kann die Klage direkt auf die angepasste Leistung gerichtet werden. Das Gericht prüft eine Anpassung nach § 313 BGB dann in diesem Rahmen.

2. Preisanpassungsrechte in Verträgen – einseitige Leistungsbestimmungsrechte nach § 315 BGB

Abhängig von der vertraglichen Ausgestaltung einer etwaigen Anpassungsklausel kommt als Preisanpassungsmechanismus auch eine einseitige Leistungsbestimmung nach § 315 BGB in Betracht, wenn eine entsprechende (ggf. AGB-rechtlich) zulässige vertragliche Vereinbarung zugunsten des Lieferanten besteht. Dann ist die Leistungsbestimmung nach billigem Ermessen zu treffen (§ 315 Abs. 1 BGB). Bei einem Liefervertrag kann eine Erhöhung wegen gestiegener Bezugskosten billig sein, soweit diese Erhöhung nicht durch andere rückläufige Kosten ausgeglichen wird. Die Billigkeitsgrenze dürfte jedenfalls dann überschritten sein, wenn die einseitige Preisbestimmung die Erhöhung der Bezugskosten (d.h. hier die Energiepreissteigerung) übersteigt.

Übt der Gläubiger (d.h. in den hiesigen Fällen der Lieferant) sein einseitiges Preisbestimmungsrecht aus und beruft sich der Schuldner auf eine unbillige Preiserhöhung, kann es der Schuldner auf die Leistungsklage des Gläubigers ankommen lassen. In deren Rahmen nimmt das Gericht dann inzidenter eine Billigkeitskontrolle der Preiserhöhung nach § 315 Abs. 3 BGB vor. Der Schuldner kann aber auch selbst eine Gestaltungsklage nach § 315 Abs. 3 S. 2 BGB auf gerichtliche Bestimmung einer billigen Leistung erheben (§ 315 Abs. 3 1. Hs. BGB), z.B. wenn er eine Preiserhöhung aufgrund der gestiegenen Energiepreise zwar dem Grunde nach anerkennt, aber die Preisbestimmung der Höhe nach für überzogen hält.

 

II. Leistungsverweigerungsrechte gegenüber Vertragspartnern

Leistungsverweigerungsrechte kommen insbesondere im Falle eines abgelehnten Preisanpassungsbegehrens (dazu 1.) und bei einer Abschaltungsanordnung der BNetzA (dazu 2.) in Betracht.

1. Im Falle eines Preisanpassungsbegehrens

Neben Preisanpassungsbegehren stellt sich in Zeiten der Energiekrise auch die Frage nach Leistungsverweigerungsrechten gegenüber den Vertragspartnern. Hier ist zwischen der Lieferanten- und Kundenperspektive zu differenzieren:

Aus der Sicht des Lieferanten kann sich zunächst die Frage stellen, wie er mit Lieferungen im Rahmen eines Vertrags umgeht, obwohl der Vertragspartner z.B. einem – aus Sicht des Lieferanten berechtigten – Preisanpassungsbegehren nach § 313 Abs. 1 BGB nicht zustimmt oder eine einseitige Preisbestimmung nach § 315 Abs. 1 BGB ablehnt. Der Lieferant mag nun zwar einen Lieferstopp erwägen, eine tragfähige rechtliche Grundlage dürfte es dafür aber nur in wenigen Fällen geben. Denn erhöhte Produktionskosten aufgrund gestiegener Energiepreise erlauben dem Lieferant nicht, die Leistung wegen (wirtschaftlicher) Unmöglichkeit nach § 275 BGB zu verweigern. Diese Fälle sind – sofern keine einschlägigen vertraglichen Regelungen bestehen – nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB zu lösen (s.o.). Ist der Lieferant nach den vertraglichen Regelungen vorleistungspflichtig, käme eine Leistungsverweigerung nach § 321 BGB in Betracht, wenn erkennbar würde, dass sein Anspruch auf Zahlung durch mangelnde Leistungsfähigkeit des Kunden gefährdet wird. Liegt beim Kunden ein Insolvenzgrund nach §§ 17 ff. InsO vor, dürfte dieses Merkmal häufig erfüllt sein. Mit Blick auf den Insolvenzgrund der Überschuldung (§ 19 InsO) ist in diesem Zusammenhang zwar auch zu beachten, dass nach dem Willen des Gesetzgebers der Prognosezeitraum für die insolvenzrechtliche Fortführungsprognose von zwölf auf vier Monate reduziert werden soll. Für die Frage eines Leistungsverweigerungsrechts aus § 321 BGB dürfte aber ungeachtet des Prognosezeitraums für die Fortführungsprognose entscheidend sein, ob der Kunde die Forderung zum Zeitpunkt der Fälligkeit mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erfüllen kann.

In der Regel bleibt also letztlich nur der Klageweg, um die geltend gemachte Preiserhöhung durchzusetzen, sollten die Parteien kein Einvernehmen erzielen. Einstweiliger Rechtsschutz im Wege der Leistungsverfügung nach § 940 ZPO – der nach § 1033 ZPO vor einem ordentlichen Gericht auch dann möglich ist, wenn die Parteien eine Schiedsabrede getroffen haben – wird nur in eng begrenzten Ausnahmefällen erfolgreich sein. Voraussetzung für die erforderliche Dringlichkeit (den sogenannte Verfügungsgrund) ist in diesen Fällen, dass der Lieferant dringend darauf angewiesen ist, dass sein Zahlungsanspruch sofort erfüllt wird, die Geldleistung kurzfristig zu erbringen ist und die drohenden Nachteile aus der Nichtleistung schwer wiegen und zu dem beim Kunden entstehenden Schaden außer Verhältnis stehen. Das dürfte in der Regel nur bei existentiellen Notlagen begründbar sein.

Aus der Sicht des Kunden kann im Falle eines – aus dessen Perspektive unberechtigten – Lieferstopps eine einstweilige Verfügung nach § 940 ZPO auf Weiterbelieferung geboten sein. Die Anforderungen an den Verfügungsgrund sind zwar ebenfalls hoch, dürften sich aber insgesamt etwas einfacher begründen lassen, als aus der Sicht des Lieferanten. Der Verfügungsgrund kann sich z.B. aus sonst drohendem Stillstand der Produktion nur dann ergeben, wenn dadurch so erhebliche wirtschaftliche Nachteile drohen, dass dem Kunden nicht zugemutet werden kann, seine Ansprüche auf dem Klageweg durchzusetzen und/oder im Nachgang Schadensersatzansprüche geltend zu machen. Bei dieser Interessenabwägung spielt auch eine Rolle, wie eindeutig die Rechtslage mit Blick auf den geltend gemachten Verfügungsanspruch ist.

2. Im Falle einer Abschaltungsanordnung der BNetzA

Bei einer Verschärfung der Versorgungslage kann die Bundesregierung die Notfallstufe als letzte Stufe des Notfallplans Gas aktivieren. Der BNetzA würde dann die Rolle des „Bundeslastverteilers“ zukommen. Sie kann dann durch entsprechende Verfügungen partielle oder vollständige Gasabschaltungen von Verbrauchsstellen anordnen. In dem Fall, dass der Lieferant (z.B. ein energieintensives Unternehmen) von einer solchen Abschaltverfügung der BNetzA betroffen ist und deswegen die Produktion einstellen muss, dürfte ein Fall objektiver Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB vorliegen. Der Lieferant wäre also grundsätzlich berechtigt, gegenüber seinen Kunden die Lieferung für die Dauer der Abschaltung zu verweigern; im Gegenzug erlischt für diesen Zeitraum der Anspruch auf die Vergütung nach § 326 Abs. 1 BGB.

Kann der Lieferant trotzdem noch Teile seiner Vertragspartner beliefern (z.B. wegen einer Teilmengenreduzierung seitens der BNetzA über einen bestimmten Zeitraum, aufgrund eigener Stromproduktion mit anderen Brennstoffen, die für einen Teil der Produktion ausreichen, oder aufgrund noch vorhandener Lagerbestände etc.), stellt sich unmittelbar die Frage: Welche Kunden dürfen oder müssen gar primär beliefert werden? Eine Möglichkeit könnte z.B. eine Beauflagung seitens der BNetzA in der Abschaltverfügung sein, mit den verbliebenen Kapazitäten z.B. (nur) solche Kunden zu beliefern, die ihrerseits einen Beitrag leisten, um lebenswichtige Bereiche aufrecht zu erhalten. Hier bleibt abzuwarten, wie konkret die BNetzA ihre Verfügungen in den Einzelfällen oder in einer Allgemeinverfügung ausgestaltet, sollte es dazu kommen. Gibt es keine Vorgaben seitens der BNetzA, führt eine Mehrfachverpflichtung grundsätzlich nicht zur rechtlichen Unmöglichkeit der Leistung (§ 275 Abs. 1 BGB). Unmöglichkeit ist vielmehr erst gegeben, wenn der Schuldner z.B. einen der Gläubiger mit der Folge beliefert, dass er andere Gläubiger tatsächlich nicht mehr beliefern kann. Bei der Entscheidung, welchen Gläubiger er beliefert, ist der Lieferant aufgrund der Relativität der Schuldverhältnisse grundsätzlich frei. Es besteht aber das Risiko, dass die nicht belieferten Gläubiger ihn auf Schadensersatz in Anspruch nehmen (siehe unten). Welchen Kunden er beliefert, ist demnach auch eine Frage der Risikoeinschätzung des Lieferanten.

 

III. Schadensersatzansprüche wegen Nichtlieferung oder Verzug

Bei Nichtlieferung oder Verzug des Lieferanten kommen zudem Schadensersatzansprüche des Kunden wegen Unmöglichkeit, Nichtlieferung trotz Möglichkeit oder Verzug in Betracht (§§ 280 Abs. 1, 3, 281, 283 oder §§ 280 Abs. 4, 286 BGB). Hat sich der Lieferant z.B. zu Unrecht auf ein Leistungsverweigerungsrecht gestützt, können sowohl eine Pflichtverletzung als auch Vertretenmüssen vorliegen. Dem Kunden wäre dann derjenige Schaden zu ersetzen, der durch die Nichtlieferung entstanden ist. Diese Schäden können erheblich sein, wenn beim Kunden beispielsweise Bandstillstände auftreten und für den unberechtigt verweigernden Verkäufer existenzbedrohend werden. Das Schadensersatzrisiko bei unberechtigtem Lieferstopp ist daher unbedingt sorgfältig zu prüfen.

Anders dürfte der Fall liegen, in dem eine Nichtlieferung aufgrund einer Abschaltung seitens der BNetzA erfolgt, weil dem Lieferanten infolgedessen z.B. selbst kein Strom für die Produktion zur Verfügung stand. Hier läge zwar ein Fall von Unmöglichkeit nach § 275 Abs. 1 BGB vor, der Lieferant dürfte diese Unmöglichkeit aber zumeist nicht zu vertreten haben. Anders mag dies sein, wenn er Vorsorge für diesen Fall hätte treffen können. Wiederum anders läge der Fall wie aufgezeigt dann, wenn der Lieferant nur einen von mehreren Kunden beliefert. Dann kommt ein Schadensersatzanspruch des nicht belieferten Kunden in Betracht. Zum Umfang möglicher Schäden gilt das oben Gesagte.

 

IV. Fazit – Handlungsempfehlung

Im Zuge der Energiekrise sehen sich Unternehmen bereits jetzt und erst recht in Zukunft einer Vielzahl von Herausforderungen gegenüber, angefangen bei internen „Lieferkettenscreenings“ einer Vielzahl vertraglicher Regelungen über strategisch richtige Kommunikation gegenüber Vertragspartnern bis hin zu perspektivisch umfangreichen streitigen Auseinandersetzungen rund um die zentrale Ressource Energie. Unternehmen sollten ihre vertraglichen Regelungen spätestens jetzt daraufhin prüfen, ob und wenn ja welche Preisanpassungsmechanismen möglich sind und danach clustern, ob sie sich möglicherweise einem Preisanpassungsbegehren gegenübersehen oder ein solches selbst geltend machen wollen bzw. Preiserhöhungen ihrerseits an ihre Kunden „durchreichen“ müssen. Denn eines scheint angesichts der stark gestiegenen Energiepreise und der nach wie vor angespannten Lage mit Blick auf den bevorstehenden Winter sicher: Weitere Auseinandersetzungen zum Thema Energie werden kommen.

Zum Thema gestörte Lieferketten hören Sie auch unseren Podcast product.compliance.bites.

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