Compliance & Investigations

Grünes Licht für Verbandssanktionengesetz

Union und SPD einigten sich vergangenen Freitag (6. März 2020) auf letzte Änderungen am Entwurf des Verbandssanktionengesetzes (VerSanG). Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass das VerSanG tatsächlich kommt.

Die große Koalition beschloss bereits im Koalitionsvertrag vom 12. März 2018 eine Neuregelung des Sanktionsrechts für Unternehmen, um sicherzustellen, „dass Wirtschaftskriminalität wirksam verfolgt und angemessen geahndet wird“. Seitdem wurde im Bundesjustizministerium am Entwurf dieses Gesetzes gearbeitet. Der Entwurf war wohl bereits im Jahr 2018 fertiggestellt und wurde im Sommer 2019 der Presse vorgestellt (wir berichteten in unserer Mandanteninformation Compliance & Investigations vom 27. August 2019). Die Ressortabstimmung konnte bislang jedoch aufgrund eines Versendungswiderspruchs des Bundeswirtschaftsministeriums nicht abgeschlossen werden.

Vergangenen Freitag (6. März 2020) haben sich Union und SPD nun auf letzte Änderungen am Entwurf des VerSanG geeinigt. Der Entwurf ist damit politisch und im Gesetzgebungsverfahren einen Schritt weiter. Nach Beteiligung und Unterrichtung von Ländern, Verbänden und anderen Stellen kann der Entwurf vom Kabinett gebilligt und im Anschluss in das parlamentarische Verfahren überführt werden.

Die Dauer des parlamentarischen Verfahrens ist naturgemäß nur schwer abzuschätzen. Es ist aber möglich, dass das VerSanG noch vor der Sommerpause verabschiedet und verkündet wird. Nach Artikel 15 des derzeitigen Referentenentwurfs würde das VerSanG dann zum ersten Tag des Quartals zwei Jahre nach Verkündung in Kraft treten. Die zweijährige Frist soll ausweislich der Begründung den Unternehmen ausreichend Zeit geben, um sich auf die Neuerungen einzustellen. Insbesondere sollen Unternehmen ihre internen Abläufe überprüfen und erforderlichenfalls (weitere) Compliance-Maßnahmen treffen können.

Es ist möglich, dass der Entwurf des VerSanG im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch Änderungen im Detail erfährt. Trotzdem werden die wesentlichen Grundzüge des Gesetzentwurfs vermutlich bestehen bleiben:

  • Der Sanktionsrahmen für Unternehmen wird erheblich erhöht von derzeit höchstens EUR 10 Mio. auf bis zu zehn Prozent des Gruppenumsatzes. Eine Zumessungssystematik mit konkreten Kriterien (z. B. die Höhe des tatbezogenen Umsatzes), die den Vorgang der Bußgeldbemessung innerhalb dieses weit geratenen Sanktionsrahmens leiten, fehlt jedoch offenbar weiterhin. Eine zusätzliche Gewinnabschöpfung/Einziehung bleibt möglich.
  • Für Ermittlungen gegen Unternehmen gilt künftig das Legalitätsprinzip. Anders als im heutigen Ordnungswidrigkeitenrecht steht den Ermittlungsbehörden im Falle eines Anfangsverdachts für eine unternehmensbezogene Straftat dann kein Ermessen mehr darüber zu, ob sie ein Ermittlungsverfahren gegen ein Unternehmen einleiten oder hiervon absehen.
  • Der Entwurf sieht in seiner Begründung vor, dass die Ergebnisse interner Untersuchungen beschlagnahmt werden können – jedenfalls wenn das Unternehmen von Ermittlungsbehörden (noch) nicht beschuldigt wird. Diese Regelung läuft den Zielen des VerSanG insgesamt zuwider, da hierdurch der Anreiz für eine (umfassende) interne Untersuchung möglicher Unregelmäßigkeiten gehemmt würde. Eine Änderung wäre dringend nötig, ist aber eher unwahrscheinlich.
  • Der Entwurf des VerSanG sieht eine Milderung von Verbandssanktionen bei der Durchführung einer internen Untersuchung vor. Dies gilt allerdings nur dann, wenn das Unternehmen umfassend kooperiert, seine Erkenntnisse den Behörden offenlegt und die interne Untersuchung erhebliche qualitative Anforderungen erfüllt. Insbesondere muss die Untersuchung die geltenden Gesetze sowie Grundsätze eines fairen Verfahrens beachten. Zudem muss die Untersuchung unabhängig von der Unternehmensverteidigung sein und darf nicht von den mit der Verteidigung betrauten Anwälten durchgeführt werden.
    Diese Trennung mutet künstlich an, da (schon heute) jede Unternehmensverteidigung auf einem umfassenden Verständnis des Sachverhalts beruhen muss. Daneben würde eine „Doppelbeauftragung“ von Kanzleien einerseits für die interne Untersuchung und andererseits für die Unternehmensverteidigung eine erhebliche finanzielle Mehrbelastung für die betroffenen Unternehmen bedeuten. Hierdurch könnte der vom Verbandssanktionengesetz intendierte Anreiz interne Untersuchungen durchzuführen spürbar gehemmt werden. Die Große Koalition hat sich anscheinend über diesen Gesichtspunkt bislang nicht verständigt. Hierzu sollen zunächst die Rückmeldungen aus den Verbänden und der Praxis abgewartet werden.
  • Nach dem Kompromiss von vergangenem Freitag (6. März 2020) soll das neue Gesetz wohl stärker als bisher Anreize für eine Kooperation mit Ermittlungsbehörden und die Einführung von Compliance-Maßnahmen setzen.
    • So war bislang im Entwurf vorgesehen, dass eine Kooperation mit Ermittlungsbehörden bei der Sanktionsbemessung berücksichtigt werden „kann“. Nach dem überarbeiteten Entwurf „soll“ eine Kooperation berücksichtigt werden. Diese Änderung ist zu begrüßen, da sie den Unternehmen eine größere Sicherheit bei der Frage gibt, ob ihr Kooperationsbeitrag bei der Sanktionsbemessung berücksichtigt wird. Dabei sollte allerdings klargestellt sein, dass keine überzogenen Anforderungen an die Kooperation gestellt werden dürfen (beispielsweise wenn das Unternehmen trotz ernsthafter Bemühungen den Behörden keine „neuen“ Erkenntnisse präsentieren kann, (u. a.) weil (ehemalige) Mitarbeiter nicht aussagebereit waren).
    • Wie die erweiterten Anreize zur Einführung von Compliance-Maßnahmen aussehen sollen, bleibt unklar. Nach dem bisherigen Entwurf werden präventive Compliance-Maßnahmen bei der Entscheidung über den Abschluss des Verfahrens (z. B. Einstellung gegen Auflagen), Auswahl der Sanktion und Höhe der Sanktion berücksichtigt. Es fehlen aber konkretisierende Hinweise hierzu, an denen sich Ermittlungsbehörden und Unternehmen orientieren könnten.

Dies steht insbesondere im Gegensatz zu ausländischen Rechtsordnungen (u. a. in USA, UK und Frankreich), in denen (Bundes-)Behörden Orientierungshilfen geben, welche Compliance-Maßnahmen bei welchem Risikoprofil angezeigt sein könnten, wobei dennoch stets der Einzelfall zu berücksichtigen ist. Sowohl aus Sicht der Staatsanwaltschaften als auch der Unternehmen wären solche Hinweise wichtig, damit in Deutschland kein lokaler Flickenteppich entsteht, was wiederum dem Ziel eines gleichförmigen Enforcement des neuen Rechts entgegenstehen würde. Zudem steht zu befürchten, wenn sich der deutsche Gesetzgeber oder die deutschen Behörden hier zurückhalten, dass ausländische Rechtsordnungen (USA, UK und Frankreich) faktisch den Rahmen setzen, welche Compliance-Maßnahmen – auch von deutschen Behörden und Gerichten – als angemessen eingeschätzt werden.

Auch im neuen Entwurf soll es wohl dabeibleiben, dass das Gericht die öffentliche Bekanntmachung der Verbandssanktion anordnen kann, wenn eine große Zahl von Geschädigten möglicherweise zivilrechtliche Ansprüche geltend machen kann. Hierdurch soll Geschädigten die Geltendmachung von Ansprüchen erleichtert werden. In diesem Fall ist mit einer weiteren Zunahme zivilrechtlicher Masseverfahren nach Compliance-Verstößen durch Unternehmen zu rechnen.

  • Die im Referentenentwurf noch enthaltene „Auflösung des Verbandes“ als ultima ratio-Sanktion, soll im neuen Entwurf nicht mehr enthalten sein.

Zusammenfassung und Fazit

Das Verbandssanktionengesetz hat eine wichtige politische Hürde genommen und wird womöglich noch vor der Sommerpause verabschiedet. Es ist zu hoffen, dass im kurzfristig durchzuführenden Anhörungsverfahren noch an einigen zentralen Stellen nachjustiert wird. Das betrifft vor allem den Schutz von Ergebnissen interner Untersuchungen, wenn sich das Unternehmen – berechtigterweise – entscheidet, nicht oder nicht vollständig zu kooperieren, sondern sich zu verteidigen. Die Regelung ist rechtsstaatlich höchst problematisch und läuft dem Gesetzeszweck, Anreize für Compliance-Maßnahmen zu schaffen (wozu nach gängiger Lehre auch interne Untersuchungen zur Aufklärung und Verhinderung von Compliance-Verstößen gehören), zuwider.

Die künstliche Trennung zwischen interner Untersuchung und Verteidigung ist aufzuheben; sie bürdet Unternehmen erhebliche finanzielle Mehrbelastungen auf, da mehrere Berater und Kanzleien möglicherweise teilweise doppelt Aufgaben erledigen müssten. Hier ist zumindest eine Klarstellung erforderlich, dass die Berater des Unternehmens offen kommunizieren und Informationen untereinander teilen können.

Schließlich sollten im weiteren Verlauf konkrete Hinweise vom Gesetzgeber oder Behördenseite erarbeitet werden, welche Compliance-Maßnahmen bei Unternehmen grundsätzlich erwartet, aber auch ausreichend sind. Andernfalls droht hier eine erhebliche Rechtsunsicherheit und eine lokal abweichende Auslegungspraxis. Im internationalen Kontext droht Deutschland den Anschluss zu verlieren, da zu befürchten ist, dass Behörden in anderen Ländern (z. B. USA, UK und Frankreich) faktische Standards setzen, ohne dass Deutschland bei der weiteren Entwicklung Einfluss hat.

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