Energie & Infrastruktur

Energiekrise – Die jüngsten Änderungen des Energiesicherungsgesetzes und ihr Streitpotential

In den letzten Monaten wurde vielfach über die drei Stufen des Notfallplans Gas berichtet, die Frühwarn-, Alarm- und Notfallstufe. Im Fokus standen dabei häufig die im Zusammenhang mit einer Notfallstufe möglichen staatlichen Gasrationierungen. Aber nicht nur diese, sondern auch weitere Maßnahmen zur Gasversorgungssicherheit hätten für Unternehmen mit erheblicher Abhängigkeit von der Gasversorgung signifikante Auswirkungen. Die jüngst gesetzlich geschaffenen Möglichkeiten zur Erhebung einer Umlage sowie zur Preisanpassung haben das Potential, zu gewichtigen Mehrkosten bei gasverbrauchenden Unternehmen zu führen. Unternehmen sollten die Rechtsschutzmöglichkeiten, die gegen staatliche Gasrationierungen und andere staatlich-veranlasste Mehrkosten eröffnet sind, frühzeitig bewerten, um auf eine weitere Eskalation der Energiekrise vorbereitet zu sein.   

 

Drei verschiedene Mechanismen zur Sicherung der Gasversorgung

Der Gesetzgeber hat im Juli 2022 weitere regulatorische Maßnahmen zur Gasversorgungssicherheit geschaffen (siehe Beitrag vom 20. Juli 2022). Nach aktuellem gesetzlichen Stand müssen sich Unternehmen auf drei Mechanismen vorbereiten und die Möglichkeiten in Betracht ziehen, sich gegen diese gerichtlich zur Wehr zu setzen:

  • Umlageverfahren (§ 26 EnSiG),
  • Preisanpassung durch den Energieversorger (§ 24 EnSiG) und
  • Behördliche Rationierung durch die Bundesnetzagentur.

 

Umlageverfahren

Der Gesetzgeber hat im Juli eine rechtliche Grundlage für die finanzielle Stabilisierung angeschlagener, aber für die Versorgungssicherheit systemrelevanter Energieversorgungsunternehmen geschaffen (§ 29 EnSiG). Daneben tritt nunmehr ein Umlagemechanismus (§ 26 EnSiG); die dafür zusätzlich notwendige Rechtsverordnung wurde am 4. August 2022 vom Bundeskabinett verabschiedet und soll zeitnah (geplant bis zum 9. August) in Kraft treten. Sie soll zeitlich befristet bis zum 30. September 2024 gelten (BMWK - Bundeskabinett verabschiedet zeitlich befristete Gas-Umlage für sichere Wärmeversorgung im Herbst und Winter). Durch die Umlage erhalten Gasimporteure die Möglichkeit, für die hohen Kosten einer Gasersatzbeschaffung einen finanziellen Ausgleich zu erhalten. Der Ausgleich ist durch den Gasimporteur bei dem sog. Marktgebietsverantwortlichen (Trading Hub Europe) zu beantragen und wird anschließend auf alle Gasverbraucher umgelegt. Die dadurch entstehenden Preiserhöhungen werden also nicht nur einzelne Gaskunden treffen, im Gegenteil: Durch die Umlage soll gerade eine gleichmäßige Verteilung der Mehrkosten für die Gasersatzbeschaffung auf alle Gaskunden stattfinden. Die Umlage soll ab dem 1. Oktober 2022 erhoben werden und am 1. April 2024 enden. Der Mechanismus ist an die Systematik der bisherigen Umlage-Regime wie die EEG- und die KWK-Umlage angelehnt, soll aber keine Erleichterungen für Großverbraucher enthalten.

Die Rechtschutzmöglichkeiten der Kunden von Energieversorgungsunternehmen gegen die Preiserhöhung im Umlageverfahren sind begrenzt. Die Preisanpassung wird nicht einseitig durch den Energieversorger festgesetzt, sondern durch eine Rechtsverordnung der Bundesregierung. Gegen diese kann sich jeder Betroffene einzeln gerichtlich im Wege einer Inzidentkontrolle, d.h. in einer Klage im Zusammenhang mit seiner Gasrechnung, in der die Umlage eingepreist sein wird, wehren (insbesondere Feststellungsklage gegen oder Abwehr einer Leistungsklage des Energieversorgers). Eine sog. Normenkontrolle, bei der ein Gericht zentral und einheitlich für alle Betroffenen über die Gültigkeit einer Regelung entscheidet, steht gegen eine Bundesrechtsverordnung nicht zur Verfügung. Zudem ist zu berücksichtigen, dass sich die durch die Bundesregierung festgesetzten Preiserhöhungen im Umlageverfahren inhaltlich nur eingeschränkt gerichtlich überprüfen lassen. Der Gesetzgeber gibt der Bundesregierung lediglich vor, durch Rechtsverordnung ein transparentes und diskriminierungsfreies Umlageverfahren einzuführen, das die Interessen der Verbraucher angemessen beachtet. Diese Kriterien unterliegen zwar der gerichtlichen Kontrolle, sind aber derart unbestimmt, dass ein gegen die Umlage und deren Höhe gerichtetes gerichtliches Verfahren, zumal im Eilrechtschutz, gut vorzubereiten ist und nur bei der Darlegung eklatanter Verstöße Erfolg haben wird.

 

Preisanpassung durch den Energieversorger

Als zweite Möglichkeit sieht das Gesetz weiterhin ein eigenes Preisanpassungsrecht des Energieversorgers vor (§ 24 EnSiG). Voraussetzung für die Preisanpassung ist zum einen die Ausrufung der Alarm- bzw. Notfallstufe des Notfallplans Gas (siehe Beitrag vom 20. Juli 2022). Diese Voraussetzung ist durch die Ausrufung der zweiten (sprich der Alarm-) Stufe durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz am 23. Juni 2022 bereits gegeben. Die zweite, noch unerfüllte Voraussetzung ist die förmliche Feststellung durch die Bundesnetzagentur, dass eine erhebliche Reduktion der Gesamtgasimportmengen nach Deutschland vorliegt. Diese Entscheidung liegt im behördlichen Ermessen und ist im Bundesanzeiger bekannt zu machen.

Liegen beide Voraussetzungen vor, erhalten alle betroffenen Energieversorgungsunternehmen entlang der Lieferkette das Recht, die Gaspreise gegenüber ihren Kunden auf ein „angemessenes Niveau“ anzupassen. Der Energieversorger hat seinem Kunden die Preisanpassung rechtzeitig vor ihrem Eintritt mitzuteilen und zu begründen. Gegenüber Letztverbrauchern beträgt der Mindestzeitraum zwischen Mitteilung und Eintritt der Preiserhöhung eine Woche, gegenüber anderen Kunden in der Lieferkette einen Tag. Nach einer förmlichen Feststellung der Bundesnetzagentur könnte es somit zügig zu Preisanpassungen kommen.

Das Preisanpassungsrecht soll grundsätzlich nachrangig zu den Stabilisierungsmaßnahmen und zum Umlagemechanismus sein. Mit Inkrafttreten der vorangehend genannten Rechtsverordnung zum Umlagemechanismus dürfen die Preisanpassungsrechte zunächst nicht mehr ausgeübt werden. Ob die Bundesregierung nach der geplanten Aktivierung des Umlagesystems noch auf die individuellen Preisanpassungsrechte der Energieversorger zurückgreifen wird, ist offen; ausgeschlossen ist es nicht, sei es nach Außerkrafttreten der Verordnung zum 1. Oktober 2024 oder durch eine vorangehende Aufhebung dieser Verordnung.

Das Gesetz definiert für diese Preisanpassungsrechte keine eindeutigen Schranken. Es spricht lediglich davon, dass die Preisanpassungen angemessen sein müssen. Dieser Maßstab ist seiner Natur nach unbestimmt und Einfallstor für die gerichtliche Kontrolle. Das EnSiG definiert hierzu nur negativ, dass eine Preisanpassung insbesondere dann nicht mehr angemessen ist, wenn sie die Mehrkosten einer Ersatzbeschaffung überschreitet, die dem jeweils betroffenen Energieversorgungsunternehmen aufgrund der Reduzierung der Gasimportmengen für das an den Kunden zu liefernde Gas entstehen. Die Preiserhöhungen sollen sich in einem Rahmen halten, der die tatsächlichen Mehrkosten abdeckt, und nicht der Generierung von Gewinnen dienen.

Der Gesetzgeber bedient sich bei der Ausgestaltung des Preisanpassungsrechts der Vorschriften über das einseitige Leistungsbestimmungsrecht aus dem BGB. Die Preisanpassung wird der Höhe nach einseitig durch den Energieversorger festgelegt und dem Kunden mitgeteilt. Der Kunde hat das Recht, alle zwei Monate ab Wirksamwerden der Preisänderung die Überprüfung und gegebenenfalls unverzügliche Anpassung des Preises auf ein angemessenes Niveau vom Energieversorger zu verlangen. Der Energieversorger hat binnen zwei Wochen das Ergebnis seiner Prüfung bekannt zu geben, wobei er auch zwischenzeitlich eingetretene Kostensenkungen zu berücksichtigen hat. Im Zusammenhang mit den Preisanpassungen sind eine Vielzahl gerichtlicher Verfahren zu erwarten.

Erachtet der Kunde die Preiserhöhung weiterhin als unangemessen, kann er hiergegen gerichtlich gegen den Energieversorger vorgehen, um feststellen zu lassen, dass die Preissteigerung „unangemessen“ ist. Denkbar sind auch Leistungsklagen der Energieversorger gegen Kunden, die die Preissteigerungen nicht zahlen. Das EnSiG bestimmt, dass für Streitigkeiten über die Preisanpassung der ordentliche Rechtsweg offensteht; Klagen des bzw. gegen den Energieversorger sind vor den jeweils örtlich zuständigen Gerichten zu erheben. Dies könnte zwar zunächst eine uneinheitliche Spruchpraxis der verschiedenen Gerichte nach sich ziehen, hat aber den Vorteil, dass es nicht von vorneherein zu einer Überlastung bei einem einzigen Spruchkörper durch entsprechende Eilanträge kommt.

 

Behördliche Gasrationierung durch die Bundesnetzagentur

Bereits durch die Regelungen zum Umlageverfahren und zur Preisanpassung nimmt der Staat auf das Marktgeschehen Einfluss. Verschärft sich die Energiekrise weiter und ruft die Bundesregierung die Notfallstufe des Notfallplans Gas aus, kann der Staat auch durch echte hoheitliche Maßnahmen unmittelbar in den Markt eingreifen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 4 Abs. 4 EnSiG). Denn die Bundesnetzagentur wird dann zum sog. Bundeslastverteiler. Sie entscheidet dann, welchem gasverbrauchenden Unternehmen „der Gashahn abgedreht wird“. Eine feste Abschaltreihenfolge gibt es bis dato nicht; derzeit kursieren unterschiedliche Kriterien, an denen sich die Bundesnetzagentur orientieren könnte. Zur Aktivierung der Notfallstufe und der Einrichtung der Bundesnetzagentur als Bundeslastverteiler ist eine weitere Rechtsverordnung erforderlich, der sich ggf. Abschaltkriterien entnehmen lassen werden. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, welche Abschaltkriterien der EU-Gasnotfallplan in seiner finalen Fassung vorsehen wird (siehe Beitrag vom 22. Juli 2022).

Sollte es zu einer staatlichen Gasrationierung kommen, ist eine erhebliche Klagewelle zu erwarten. Bereits mit Blick auf die Verantwortung und Haftung von Vorständen, Aufsichtsräten und Geschäftsführern kann es angezeigt sein, eine staatliche Abschaltverfügung gerichtlich überprüfen zu lassen. Zudem könnte ein solcher Rechtsschutz gegen die unmittelbare staatliche Maßnahme Voraussetzung für einen sich ggf. anschließenden (Amts-) Haftungsanspruch gegen den Staat sein. Im Gegensatz zu den Rechtsschutzbegehren gegen die Umlagezahlung bzw. die Preiserhöhungen der Energieversorger sind für Verfahren gegen Abschaltverfügungen jedoch nicht die Landgerichte zuständig (sei es am Sitzort des Energieversorgers oder am Ort der Gasabnahmestelle), sondern für alle Gasreduktionen im Bundesgebiet ausschließlich ein (Kartell-) Senat des OLG Düsseldorf. Eine Überlastung dieses Spruchkörpers wäre nicht auszuschließen. Großverbraucher von Gas sollten sich darauf vorbereiten, gerichtliche Schritte zu ergreifen, sich jedoch zugleich darauf einstellen, dass ihnen möglicherweise auch im Eilverfahren kein rechtzeitiger und damit effektiver Rechtsschutz gewährt werden kann. Auch hier gilt, dass eine frühzeitige Vorbereitung auf eine solche Konstellation ratsam ist.

 

Fazit

Es ist derzeit nicht sicher absehbar, wie sich die Gasversorgungslage in Deutschland entwickeln wird. Mit dem Umlagemechanismus und dem subsidiären gesetzlichen Preisanpassungsrecht setzt der Gesetzgeber auf Preissignale zur Gaseinsparung. Eine staatlich angeordnete Gasrationierung wird hinter diesen Maßnahmen die ultima ratio sein.

Sowohl staatlich veranlasste Preiserhöhungen in Form einer Umlage oder einer Preisanpassung als auch staatlich angeordnete Gasreduktionen können gerichtlich überprüft werden. Da sich bereits jetzt abzeichnet, dass Maßnahmen zur Gasversorgungssicherheit innerhalb weniger Tage „scharf geschaltet“ werden können, sollten sich gasverbrauchende Unternehmen nicht nur auf die tatsächlichen Folgen der Gasmangellage vorbereiten, sondern auch auf einen möglichen Rechtsschutz gegen damit zusammenhängende Maßnahmen. Ein solcher Rechtsschutz kann bereits jetzt vorbereitet werden, bspw. indem unternehmensintern Argumentationsstrukturen aufgebaut und Nachweise vorbereitet werden.

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