Arbeitsrecht

Ausgestaltung eines Tarifvertrags durch Dritte

Soll ein Regelungskomplex des normativen Teils eines Tarifvertrags durch Dritte ausgestaltet werden, müssen sich sowohl der Dritte als auch der Regelungsumfang hinreichend deutlich aus dem Tarifvertrag ergeben.

BAG, Urteil vom 26. Februar 2020 – 4 AZR 48/19

Sachverhalt

In Streit stand ein Tarifsozialplan, der u. a. eine gekürzte Sozialplanabfindung bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Aufhebungsvertrag oder sonstige arbeitgeberseitige Veranlassungen regelt, wenn innerhalb von vier Wochen nach Ausscheiden eine neue Stelle angetreten wird. Im Geltungsbereich ist vereinbart, dass die Regelungen Anwendung auch auf außertariflich Beschäftigte finden, „daher“ treten die Konzernbetriebsparteien dieser Vereinbarung bei. Unterzeichnet wurde der Tarifsozialplan von den Tarifparteien sowie dem Konzernbetriebsrat. Durch eine spätere zusätzliche Vereinbarung wurden die Abfindungsregelung auch auf die Konstellation des Betriebsübergangs und Betriebsteilübergangs erweitert.

Eine nachfolgende Protokollnotiz beschränkte den Anwendungsbereich der Abfindungsregelung auf solche Arbeitsverhältnisse, die von Maßnahmen eines konkreten Restrukturierungsprogramms innerhalb eines bestimmten Rahmeninteressenausgleichs zwischen Konzernbetriebsrat und Arbeitgeber erfasst werden. Der Kläger, nicht Teil des im Interessenausgleich beschrieben Restrukturierungsprogramms, machte gleichwohl einen Anspruch auf Abfindung nach Betriebsübergang aus dem Tarifsozialplan geltend.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Die Revision des Klägers gegen die Zurückweisung der Berufung durch das Landesarbeitsgericht Nürnberg hat Erfolg. Der Abfindungsanspruch des Klägers aus dem Tarifsozialplan besteht, da die den Interessenausgleich einbeziehende Protokollnotizklausel unwirksam ist.

Der Tarifsozialplan selbst ist wirksam und verstößt nicht gegen das Gebot der Rechtsquellenklarheit. Dieses Gebot setzt voraus, dass die Normurheberschaft für die einzelnen Arbeitnehmer eindeutig ist. Aufgrund der Unterzeichnung des Tarifsozialplans durch Tarifparteien und Konzernbetriebsrat liegt nach den Ausführungen des BAG zwar ein Zuordnungsproblem vor, der Tarifsozialplan lasse sich aber ohne Weiteres als Tarifvertrag qualifizieren: Zum einen handelt es sich ausweislich des Rubrums um eine Vereinbarung zwischen den Tarifparteien, zum anderen sind typische Inhaltsnormen eines Tarifvertrags enthalten. Auch der „Beitritt“ der Konzernbetriebsparteien betreffe lediglich die außertariflich Beschäftigten und führe deshalb nicht zu einer Unklarheit hinsichtlich des Normgebers der Abfindungsregelungen.

Die spätere Protokollnotiz, die eine Maßnahme eines konkreten Restrukturierungsprogramms zur Voraussetzung eines Abfindungsanspruchs macht, muss als tarifvertragliche Norm dem Bestimmtheitsgrundsatz entsprechen. Grundsätzlich muss der Adressat eines Tarifvertrags anhand des Wortlauts der Tarifvertragsklausel erkennen können, ob er in den Anwendungsbereich der Klausel fällt und welche Rechtsfolgen eintreten. Soweit der Inhalt unbestimmter Rechtsbegriffe durch Auslegung ermittelbar ist, ist die Bestimmtheit einer Klausel gewahrt. Die Gerichte wenden den Bestimmtheitsgrundsatz aufgrund der Tarifverträgen immanenten gewissen Unschärfe nur restriktiv an. Von einem Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot und einer daraus resultierenden Unwirksamkeit einer Klausel ist nur bei fehlender Auslegungsmöglichkeit auszugehen.

In der vorliegenden Fallkonstellation sollte der Anwendungsbereich der tariflichen Abfindungsregeln bei neuer Stelle des Beschäftigten geändert werden, indem nur noch Maßnahmen innerhalb des Rahmeninteressenausgleichs abfindungsberechtigt sind. Dafür hätte allerdings das Restrukturierungsprogramm mit den darunterfallenden Maßnahmen eindeutig bezeichnet werden müssen. Hier waren die Maßnahmen aber weder im Interessenausgleich präzise bestimmt noch abschließend geregelt. Zwar kann die nähere Ausgestaltung einzelner tariflicher Bestimmungen auch den Betriebsparteien überlassen werden. Dies muss aber nach Adressat und Umfang hinreichend deutlich sein. Nach den Ausführungen des BAG entstand hier dagegen der Eindruck, dass die Tarifvertragsparteien von einem bestimmten Inhalt ausgegangen seien, ohne einen etwaigen Regelungsumfang der Betriebsparteien zu bestimmen.

Da weder der Adressat einer etwaigen Ausgestaltungsbefugnis noch die Maßnahmen selbst bestimmt sind, ist die Protokollnotiz unwirksam. Der Kläger konnte sich mit Erfolg auf die Abfindungsregelung des Tarifsozialplans berufen.   

Gleiss Lutz kommentiert

Dieses Urteil zeigt, wie facettenreich die Auswirkungen des im Tarifvertragsrecht geltenden Bestimmtheitsgrundsatzes sind. Sollen Regelungskomplexe Dritter in einen Tarifvertrag einbezogen werden, müssen sie präzise bestimmt oder bestimmbar sein. Sind auch künftige Regelungen beabsichtigt, müssen sowohl Adressat als auch Umfang der Regelungsbefugnis hinreichend deutlich sein. Diese Erfordernisse sind zwar nicht neu, in der Praxis aber nicht immer leicht einzuhalten. Wenn die Betriebsparteien auf Begriffe Bezug nehmen, die ihnen möglicherweise nach langwierigen Verhandlungen klar bestimmt scheinen, empfiehlt es sich, besonderes Augenmerk auf die gerichtlichen Maßstäbe der Normenklarheit zu richten.

Weiterleiten
Kompetenz