Arbeitsrecht

Konkretisierung des Gebots fairen Verhandelns im Rahmen von Aufhebungsverhandlungen

Wie hart darf eine Verhandlung über Aufhebungsverträge geführt werden? Wann wird gegen das Gebot fairen Verhandelns verstoßen? Insbesondere seit 2019 bewegen diese Fragen HR-Abteilungen und Gerichte. Das BAG konkretisiert nun seine Rechtsprechung zum Gebot fairen Verhandelns und zieht erfreulich deutliche Grenzen.

BAG, Urteil vom 24. Februar 2022 – 6 AZR 333/21

 

Sachverhalt

Die Parteien streiten im zu Grunde liegenden Verfahren über den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses nach Vereinbarung eines Aufhebungsvertrags. Die Klägerin war seit dem Jahr 2015 als Teamkoordinatorin bei der beklagten Arbeitgeberin tätig. Ende 2019 führte der Geschäftsführer der Arbeitgeberin, der sich der Klägerin als Rechtsanwalt für Arbeitsrecht vorstellte, mit der Klägerin ein Personalgespräch. In diesem Gespräch wurde der Klägerin vorgeworfen, sie habe in der Vergangenheit unberechtigt Einkaufspreise im EDV System der Beklagten reduziert, um so einen höheren Verkaufsgewinn vorzutäuschen. Die Klägerin konnte sich nicht auf das Gespräch vorbereiten.

Im Laufe des Gesprächs wurde ihr der Abschluss eines Aufhebungsvertrags angeboten, der unter anderem ein einvernehmliches Ausscheiden aus betriebsbedingten Gründen vorsah. Nach einer etwa zehnminütigen Pause, in der die drei anwesenden Personen schweigend am Tisch saßen, unterzeichnete die Klägerin den ihr angebotenen Aufhebungsvertrag.

Im Verfahren focht die Arbeitnehmerin den Aufhebungsvertrag wegen widerrechtlicher Drohung an und war der Ansicht, der Aufhebungsvertrag sei wegen Verstoßes gegen das Gebot fairen Verhandelns unwirksam. Der Klägerin sei durch die Androhung einer fristlosen Kündigung widerrechtlich gedroht worden. Ferner habe sie nicht – wie erbeten – eine längere Bedenkzeit erhalten oder die Möglichkeit gehabt, Rechtsrat einzuholen. Vielmehr habe man ihr deutlich gemacht, der Aufhebungsvertrag sei vom Tisch, sollte sie den Raum ohne zu unterzeichnen verlassen.

Das ArbG Paderborn hat der Klage der Arbeitnehmerin stattgegeben. Das LAG Hamm hat die Klage abgewiesen.

 

Entscheidung des BAG

Das BAG bestätigte nun die Entscheidung des LAG Hamm. Der zwischen den Parteien vereinbarte Aufhebungsvertrag sei wirksam. Es liege weder eine widerrechtliche Drohung noch ein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns vor.

Die Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung sei erst dann widerrechtlich, wenn ein verständiger Arbeitgeber eine entsprechende Kündigung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Das heißt, der Arbeitnehmer müsse bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalls davon ausgehen, die angedrohte Kündigung würde im Falle ihrer Erklärung einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht standhalten. Der Prüfungsmaßstab des verständigen Arbeitgebers gelte auch, wenn auf Seiten des Arbeitgebers bei Ausspruch der Drohung ein Rechtsanwalt zugegen sei oder dieser die Drohung selbst ausspreche. Im vorliegenden Sachverhalt durfte ein verständiger Arbeitgeber nach Ansicht des BAG annehmen, dass die Klägerin schwerwiegende Pflichtverletzungen zulasten der Arbeitgeberin begangen habe. Die angefochtene Entscheidung halte daher dem eingeschränkten Prüfungsmaßstab stand.

Ein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns liege nicht vor. Das Gebot fairen Verhandelns schütze die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners. Eine Verletzung des Gebots liege vor, wenn die Entscheidungsfreiheit des Vertragspartners in zu missbilligender Weise beeinflusst werde. Das könne insbesondere der Fall sein, wenn eine psychische Drucksituation herbeigeführt oder ausgenutzt werde, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwere oder unmöglich mache.

Eine Verletzung des Gebots liege nicht bereits deshalb vor, weil die Beklagte der Klägerin keine Bedenkzeit eingeräumt habe, sondern die Klägerin sich vor Ort entscheiden musste. Ein Angebot müsse nach dem gesetzlichen Leitbild des § 147 Abs. 1 BGB sofort angenommen werden. Dem Arbeitnehmer stehe es in einer solchen Situation frei, durch ein schlichtes „Nein“ die Verhandlungen zu beenden. Ein unbilliger psychischer Entscheidungsdruck, der zur Unwirksamkeit des Vertragsschlusses führe, sei daher nicht gegeben. Etwas Anderes könne auch dann nicht gelten, wenn dem Arbeitnehmer nicht die Gelegenheit gegeben werde, Rechtsrat einzuholen.

 

Gleiss Lutz kommentiert

Der 6. Senat führt mit der vorliegenden Entscheidung seine Rechtsprechung aus dem Jahr 2019 (BAG, Urteil vom 7. Februar 2019 – 6 AZR 75/18) fort. Hierbei konkretisiert das BAG die Anforderungen an das Gebot fairen Verhandelns. Nur in Ausnahmefällen liege ein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns vor. Angesichts des teilweise sehr weiten Verständnisses in der Instanzenrechtsprechung ist diese Konkretisierung sehr zu begrüßen.

Ein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns im Rahmen von Aufhebungsverhandlungen komme demnach insbesondere in Betracht,

  • wenn ein Arbeitnehmer unter einem anderen Vorwand in das Zimmer des Vorgesetzten gebeten werde, um dort mehrere Stunden kreuzverhörartig und von Außenkontakten isoliert festgehalten zu werden,
  • wenn objektiv erkennbare körperliche oder psychische Schwächen und unzureichende Sprachkenntnisse bewusst ausgenutzt werden oder
  • wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer völlig unerwartet zu einer ungewöhnlichen Zeit oder an einem ungewöhnlichen Ort überrumple.

Kein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns liege hingegen in der Regel vor,

  • wenn der Arbeitgeber am Verhalten des Arbeitnehmers Kritik übe und beim Arbeitnehmer deshalb Betroffenheit eintrete,
  • wenn der Arbeitgeber nicht von sich aus Vorkehrungen im Hinblick auf die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers treffe, d.h. beispielsweise nach einer Medikamenteneinnahme frage,
  • wenn der Arbeitgeber weder eine Bedenkzeit noch die Möglichkeit rechtlicher Beratung einräume,
  • wenn der Arbeitgeber die Unterbreitung eines Aufhebungsvertrags nicht im Vorfeld ankündige oder
  • wenn dem Arbeitnehmer kein Rücktritts- oder Widerrufsrecht eingeräumt werde.

Im Ergebnis dürfte ein Verstoß gegen das Gebot fairen Verhandelns damit zwar weiterhin von den Gesamtumständen des Einzelfalls abhängen. Die genannten Fallgruppen dürften aber eine Indizwirkung entfalten. Arbeitgeber sollten die Rahmenbedingungen daher mit Bedacht wählen. Das Gespräch sollte in diesem Sinne insbesondere an einem im Betrieb üblichen Ort stattfinden. Es kann zudem ratsam sein, den Inhalt eines Trennungsgesprächs bereits im Vorfeld anzukündigen und im Nachgang zu dokumentieren.

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