Arbeitsrecht

Anwendung des Ablösungsprinzips auf transformierte Normen nach mehreren Betriebsübergängen

Transformiert ein Betriebsübergang die Normen einer Betriebsvereinbarung nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in das Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber, können sie auch bei einem nachfolgenden Betriebsübergang nur auf der Grundlage von § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB für das auf den weiteren Erwerber übergegangene Arbeitsverhältnis zur Anwendung gelangen.

BAG, Urteil vom 12. Juni 2019 - 1 AZR 154/17

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Geltung einer Versorgungsordnung. Der Kläger war bei der A-GmbH beschäftigt, die 1992 mit ihrem Gesamtbetriebsrat eine Betriebsvereinbarung über eine Versorgungsordnung abschloss. Darin war u.a. die Gewährung einer Altersrente vorgesehen. 1999 übertrug die A-GmbH ihren Geschäftsbereich für technische Serviceleistungen auf die B-GmbH, die neben den materiellen und immateriellen Vermögensgegenständen auch die Arbeitnehmer übernahm. 2013 verschmolz die B-GmbH im Wege der Aufnahme auf die Beklagte. Den übernommenen Betrieb integrierte die Beklagte vollständig in ihren eigenen Betrieb, auf den seit 2008 eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung Anwendung fand. Der Kläger machte geltend, seine betriebliche Altersversorgung richte sich weiter nach der Betriebsvereinbarung über die Versorgungsordnung 1992 und nicht nach der auf den Betrieb der Beklagten seit 2008 anwendbaren Gesamtbetriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung.

Entscheidung des BAG

Nachdem das Arbeitsgericht Stuttgart die Klage abgewiesen und das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg die Berufung zurückgewiesen hatten, blieb auch die Revision erfolglos. Die Betriebsvereinbarung über die Versorgungsordnung 1992 findet keine Anwendung. Die bei der Beklagten angewendete Gesamtbetriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung aus 2008 hat sie gemäß § 613a Abs. 1 Satz 3 BGB abgelöst.
Zu diesem Ergebnis gelangte das BAG unabhängig davon, ob die Versorgungszusage 1992 nach dem ersten Übergang des Arbeitsverhältnisses von der A-GmbH auf die B-GmbH für den Kläger unmittelbar und zwingend nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG fortgalt oder Inhalt des Arbeitsverhältnisses mit der B-GmbH gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB geworden ist. In beiden Fällen könne beim zweiten Übergang des Arbeitsverhältnisses von der B-GmbH auf die Beklagte die Versorgungsordnung nur nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB Anwendung auf den Kläger finden und werde dort durch die bei der Beklagten angewendete Gesamtbetriebsvereinbarung zur betrieblichen Altersversorgung aus 2008 abgelöst. Im Fall der unmittelbaren und zwingenden Fortgeltung der Versorgungsordnung 1992 bei der B-GmbH könne diese mangels einer Wahrung der Betriebsidentität beim zweiten Übergang auf die Beklagte dort nur nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgelten. Gleiches gelte, wenn die Versorgungsordnung 1992 nach dem ersten Übergang des Arbeitsverhältnisses auf die B-GmbH nicht unmittelbar und zwingend fortgelte, sondern gemäß § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB in das Arbeitsverhältnis mit der B-GmbH transformiert worden sei. Die transformierte Versorgungsordnung behalte beim Erwerber ihren kollektivrechtlichen Charakter und wandele sich nicht in einzelvertragliche Regelungen um. Deshalb könne die Versorgungsordnung 1992 auch in diesem Fall beim zweiten Betriebsübergang auf die Beklagte nicht nach Maßgabe von § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB, sondern nur nach § 613a Abs. 1 Satz 2 BGB fortgelten.

Gleiss Lutz Kommentar

Die konkrete Rechtsfrage hatte das Bundesarbeitsgericht in einer früheren Entscheidung offen gelassen (BAG, Urteil vom 20. April 1994, 4 AZR 342/93). Nachdem das Bundesarbeitsgericht die Ansicht aufgegeben hat, Kollektivnormen verlören nach einem Betriebsübergang ihre kollektivrechtliche Geltung und würden Inhalt des Arbeitsvertrags (BAG, Urteil vom 22. April 2009, 4 AZR 100/08), setzt es mit dieser Entscheidung seine Rechtsprechung zum Transformationsmodell beim Betriebsübergang fort. Anders als nach der früher vertretenen Ansicht, nach der vormaliges Kollektivrecht bei einem zweiten Betriebsübergang nach § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB fortgelten müsste, eröffnet die Entscheidung Betriebserwerbern Gestaltungsspielräume und berücksichtigt ihr Interesse an einer Vereinheitlichung der im Betrieb geltenden Arbeitsbedingungen. Hierauf weist das Bundesarbeitsgericht in der Entscheidung auch ausdrücklich hin und betont insoweit den Vorrang des Ordnungsinteresses des Arbeitgebers gegenüber den Interessen der Arbeitnehmer an der Beibehaltung des kollektivrechtlichen Status quo. Die Entscheidung ist deshalb sehr zu begrüßen.

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