Arbeitsrecht

Anwendung des AGG auf einen GmbH-Geschäftsführer

Der Fremdgeschäftsführer einer GmbH ist bei europarechtskonformer Auslegung jedenfalls insoweit als Arbeitnehmer i. S. v. § 6 I 1 Nr. AGG anzusehen, wie bei einer Kündigung seines Geschäftsführerdienstvertrags der sachliche Anwendungsbereich des allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes über § 2 I AGG eröffnet ist.

BGH, Urteil vom 26. März 2019 – II ZR 244/17

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Kündigung eines Geschäftsführerdienstvertrags. Der am 28.03.1955 geborene Kläger war seit 01.09.2015 Geschäftsführer der beklagten GmbH. Nach § 7 des Anstellungsvertrags hatte jede Partei ab Vollendung des 61. Lebensjahrs des Geschäftsführers das Recht, den befristet abgeschlossenen Dienstvertrag mit einer Frist von sechs Monaten zum Jahresende zu kündigen. Im Anschluss daran hatte der Geschäftsführer Anspruch auf Ruhegehalt in der Höhe, die er erreicht hätte, wenn der Vertrag regulär ausgelaufen wäre. Nach mehrfacher Verlängerung des Dienstvertrags und Veräußerung der Beklagten an einen Finanzinvestor wurde der Geschäftsführer am 03.08.2015 von seinem Amt abberufen und widerruflich freigestellt. Mit Schreiben vom 23.06.2016 kündigte die Beklagte den Dienstvertrag zum 31.12.2016. Die Klage gegen die Kündigung blieb in den Vorinstanzen erfolglos.

Entscheidung des BGH

Die Berufung des Klägers hatte Erfolg und führte zur Zurückverweisung der Sache an das OLG. Nach Auffassung des BGH findet auf die Kündigung das AGG Anwendung. Der sachliche Anwendungsbereich sei eröffnet, da es sich bei der Kündigung um eine Entlassungsbedingung nach § 2 I Nr. 2 AGG handele. Die Kündigung sei auch nicht durch § 2 IV AGG ausgeschlossen. Der dort geregelte Ausschluss finde im Anschluss an die Rechtsprechung des BAG keine Anwendung auf Kündigungen, die nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen, was auf Geschäftsführer wegen § 14 I Nr. 1 KSchG zutrifft.
Auch der persönliche Anwendungsbereich sei eröffnet. Dies folge zwar nicht bereits aus § 6 III AGG, wonach das AGG auf Selbstständige und Organmitglieder für den Zugang zur Erwerbstätigkeit und den beruflichen Aufstieg, nicht aber für Entlassungsbedingungen Anwendung finde. Allerdings sei der Fremdgeschäftsführer einer GmbH bei europarechtskonformer Auslegung jedenfalls insoweit als Arbeitnehmer i. S. d. § 6 I Nr. 1 AGG anzusehen, wie der Anwendungsbereich des AGG über § 2 I Nr. 2 AGG wegen der Kündigung seines Geschäftsführerdienstvertrags eröffnet sei. Um die Ziele der Antidiskriminierungsrichtlinie am besten zu verwirklichen, sei eine Anwendung des AGG auf Leitungsorgane einer Kapitalgesellschaft geboten, wenn diese die Voraussetzung des unionsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs erfüllten. Dies sei bei Fremdgeschäftsführern einer GmbH der Fall, da sie sich aufgrund des gesellschaftlichen Weisungsrechts und der jederzeitigen Abberufbarkeit zu der Gesellschaft in einem Unterordnungsverhältnis befänden.
Die altersabhängige Möglichkeit zur Kündigung stelle eine unmittelbare Benachteiligung des Klägers dar. Diese sei nach dem bisherigen Parteivortrag auch nicht nach § 10 AGG gerechtfertigt. Da dieser Aspekt nach Auffassung des Berufungsgerichts allerdings für den Rechtsstreit bedeutungslos gewesen sei, müsse der Beklagten im erneut durchzuführenden Berufungsverfahren die Möglichkeit zu weiterem Vortrag eingeräumt werden.

Gleiss Lutz Kommentar 

Die Entscheidung des BGH knüpft an die Rechtsprechung des EuGH in Sachen Danosa (EuGH, Urteil vom 11.11.2010, C-232/09, ArbRAktuell 2010, 654 m. Anm. von Medem) und Balkaya (EuGH, Urteil vom 09.07.2015 – C-229/14, FD-ArbR 2015, 371048 m. Anm. Arnold) an, wonach Fremdgeschäftsführer Arbeitnehmer im Sinne des Unionsrechts sind und daher unter den Schutz der Mutterschutz-Richtlinie 92/85/EWG und der Massenentlassungs-Richtlinie 98/59/EG fallen. Bislang war umstritten, ob aus der Rechtsprechung des EuGH auch eine Anwendung der Vorschriften des AGG auf Fremdgeschäftsführer einer GmbH folgt. Der Senat hat diese Frage nun geklärt.
Die Entscheidung hat hohe Bedeutung für die Beratung zu Geschäftsführerdienstverträgen. Unternehmen sollten bestehende Vertragsregelungen überprüfen. Sehen diese für die Beendigung Bestimmungen vor, die an ein vor dem gesetzlichen Rentenalter liegendes Alter anknüpfen, sollten diese angepasst werden. Denn es besteht ein erhebliches Risiko, dass sie einer rechtlichen Prüfung nicht standhalten, sofern eine Rechtfertigung nach § 10 AGG nicht möglich ist. Dabei steht nach der Entscheidung fest, dass die Leistung eines Ruhegehalts bzw. Überbrückungsgelds bis zum Renteneintritt sowie der pauschale Verweis auf betriebs- und unternehmensbezogene Interessen als Rechtfertigung nicht ausreichend sind.

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