Arbeitsrecht

Anfechtung einer Betriebsratswahl wegen Verstößen gegen die öffentliche Wahl

Der Wahlvorstand hat bei einer Betriebsratswahl die eingegangenen Freiumschläge der Briefwähler in öffentlicher Sitzung unmittelbar vor Abschluss der Stimmabgabe zu öffnen. Besteht nur ein Wahllokal zur persönlichen Abgabe der Stimmen, muss der Wahlvorstand Zeit und Ort dieser Sitzung nicht vorab öffentlich bekanntmachen.

BAG, Beschluss vom 20.05.2020 – 7 ABR 42/18 

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl. Auf der Grundlage des Wahlausschreibens vom 13. April 2017 fand im Betrieb der Arbeitgeberin am 21. Juni 2017 von 06:30 Uhr bis 18:30 Uhr eine Betriebsratswahl statt. Die Auszählung der Stimmen sollte ab 18:35 Uhr im Wahlraum stattfinden. Gegen 16:30 Uhr begann der Wahlvorstand mit der Öffnung der Freiumschläge der Briefwähler, dem Vermerken der Stimmabgabe in der Wählerliste und dem Einwerfen der Wahlumschläge in die Wahlurne. Dieser Vorgang wurde gegen 17:30 Uhr abgeschlossen. Den Arbeitnehmern war der Zeitpunkt der Öffnung der Freiumschläge weder im Wahlausschreiben noch anderweitig mitgeteilt worden. Das Wahlergebnis wurde am 23. Juni 2017 bekannt gegeben.

Die Antragstellerin ist eine im Betrieb der Arbeitgeberin vertretene Gewerkschaft. Sie hat die Wahl mit der Begründung angefochten, der Wahlvorstand habe den Grundsatz der öffentlichen Wahlen verletzt. Die Antragstellerin hat deshalb beantragt, die Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären. Betriebsrat und Arbeitgeberin haben dagegen beantragt, den Antrag abzuweisen. Das Arbeitsgericht hat den Wahlanfechtungsantrag abgewiesen. Das LAG hat auf die Beschwerde der Antragstellerin dem Wahlanfechtungsantrag stattgegeben und die Rechtsbeschwerde zugelassen.

Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts  

Das BAG gab der Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen die Entscheidung des LAG statt.

Eine zur Anfechtung nach § 19 Abs. 1 BetrVG berechtigende Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit der Wahl folge nicht daraus, dass der Wahlvorstand Zeit und Ort der Öffnung der im Rahmen der Briefwahl eingegangenen Freiumschläge nicht ausdrücklich vorab mitgeteilt habe. Angesichts der im Wahlausschreiben enthaltenen Angaben zu den Öffnungszeiten des einzigen Wahllokals zur persönlichen Stimmabgabe sei dies nicht erforderlich gewesen. Da der Wahlvorstand die Freiumschläge nach § 26 Abs. 1 WO „unmittelbar vor Abschluss der Stimmabgabe“ öffne, bestehe kein Zweifel, an welchem Ort und zu welcher Zeit dies zu geschehen habe.

Auch die Annahme des LAG, der Wahlvorstand habe die eingegangenen Freiumschläge nicht erst unmittelbar vor Abschluss der Stimmabgabe i.S.d. § 26 Abs. 1 S. 1 WO geöffnet, sei rechtsfehlerhaft. Dem Wahlvorstand stehe ein Einschätzungsspielraum zu, welchen Zeitraum er voraussichtlich für die gebotenen Handlungen benötigen werde. Ob der Wahlvorstand hierfür hätte zwei Stunden einplanen dürfen, konnte das BAG jedoch nicht entscheiden. Das hänge u. a. von der Anzahl der zu öffnenden Freiumschläge ab. Insoweit verwies das BAG den Fall an das LAG zur weiteren Sachaufklärung zurück. Jedenfalls sei es aber zulässig, hier einen angemessenen Sicherheitspuffer einzuplanen.

Der Anfechtungsantrag sei auch nicht deshalb begründet, weil der Wahlvorstand die eingegangenen Freiumschläge nicht in öffentlicher Sitzung geöffnet hätte. Die öffentliche Sitzung des Wahlvorstands sei am Wahltag durch schlüssiges Verhalten einberufen worden. Das Gesetz kenne keine Formvorschriften oder Fristen für die Ladung zu einer Sitzung des Wahlvorstands. Die Sitzung könne also auch spontan einberufen werden, wenn sich alle Mitglieder des Wahlvorstands im selben Raum befinden.

Gleiss Lutz kommentiert

Immer wieder werden formelle Fehler im Wahlverfahren von unterlegenen Wahlbewerbern genutzt, um unliebsame Wahlergebnisse anzufechten. Regelmäßig reicht es dafür, dass die Antragsteller – und so auch in diesem Fall – eine Vielzahl vermeintlicher Formfehler benennen. Die Arbeitsgerichte müssen diesen Verstößen dann nach dem Amtsermittlungsgrundsatz eigenständig nachgehen.

Die formellen Vorschriften des Wahlverfahrens erfüllen keinen Selbstzweck. Sie schützen übergeordnete Wahlrechtsgrundsätze, wie die demokratische, geheime und öffentliche Wahl. Es darf dabei aber nicht übersehen werden, dass die Mitglieder des Wahlvorstands – besonders in kleineren und mittleren Unternehmen – nicht auf qualifizierte rechtliche Unterstützung bei der Organisation der Wahl zurückgreifen können. Die Gerichte können gravierende Formverstöße nicht sehenden Auges hinnehmen, gleichzeitig darf aber kein zu strenger Maßstab angesetzt werden. Denn immerhin liegt dem Gesetz das Leitbild zugrunde, dass eine Betriebsratswahl auch von Arbeitnehmern ohne umfassende juristische Vorbildung organisiert werden kann.

Das BAG hat in diesem Fall die richtige Balance gefunden und die Entscheidung des LAG zu Recht aufgehoben. Entscheidend war hier allerdings, dass es nur ein Wahllokal gab und die Öffentlichkeit somit ohne Weiteres erkennen konnte, wo die relevanten Handlungen des Wahlverfahrens stattfinden würden. Eine Bekanntmachung zu fordern, wäre letztlich also Förmelei gewesen. Bei Betriebsratswahlen mit mehreren Wahllokalen wäre die Bekanntgabe von Ort und Zeit dieser Handlungen dagegen nicht ohne Weiteres entbehrlich.

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