Compliance & Investigations

Whistleblowing: Bundestag beschließt Hinweisgeberschutzgesetz mit wenigen Änderungen

Als erster Tagesordnungspunkt in der letzten Sitzung des Jahres 2022 hat der Deutsche Bundestag heute Vormittag (16. Dezember 2022) das „Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden“ (Hinweisgeberschutzgesetz, im Folgenden HinSchG) beschlossen. Zwei Tage zuvor, am 14. Dezember 2022, hatte der Rechtsausschuss eine entsprechende Beschlussempfehlung (BT-Drs. 20/4909) vorgelegt, die auf einen Änderungsantrag mehrerer Fraktionen betreffend den Regierungsentwurf aus Juli 2022 (siehe unseren Beitrag vom 3. August 2022) zurückzuführen ist. Der Versuch, das Gesetz noch kurzfristig und unter Verkürzung der Fristen auf die Tagesordnung der letzten Plenarsitzung des Bundesrats am heutigen Freitag zu setzen, wurde abgelehnt. Der zweite Durchgang im Bundesrat wird mithin voraussichtlich in der ersten Sitzung im nächsten Jahr am 10. Februar 2023 erfolgen (zur Stellungnahme des Bundesrats im ersten Durchgang vom 16. September 2022 BR-Drs. 372/22).

Die guten Neuigkeiten: Die beschlossenen Änderungen sind überschaubar. Zunächst widmeten sich Bundestag und zuvor auch der Rechtsausschuss aus aktuellem Anlass dem Schutz von Personen, die verfassungsfeindliche Äußerungen von Beamtinnen und Beamten (Stichwort „Reichsbürger“) melden. Darüber hinaus finden sich einige vom Rechtsausschuss eingeführte Änderungen in dem nun beschlossenen HinSchG, die auch für die Unternehmenspraxis und die Einrichtung interner Meldekanäle relevant sind:

  1. Jetzt doch – (späte) Einsicht zu anonymen Meldungen
  2. Eine für alle – auch der Rechtsausschuss bestärkt die Konzernlösung
  3. Aus zwei mach drei – Verlängerung der Aufbewahrungsfrist
  4. Wer ist die Schönste im ganzen Land?
  5. Mobbing, Stalking & Co. – Geldzahlung für immaterielle Schäden

 

1. Jetzt doch – (späte) Einsicht zu anonymen Meldungen

Interne wie externe Meldekanäle müssen nach dem geänderten HinSchG jetzt doch ab 1. Januar 2025 die Möglichkeit der anonymen Meldung und der nachfolgenden anonymen Kommunikation mit dem Hinweisgeber bereitstellen. Während die Bearbeitung anonymer Meldung im Referentenentwurf bloß empfohlen wurde, fand sich im Regierungsentwurf eine Soll-Vorschrift. Nunmehr ist die Bearbeitung anonymer Meldungen Pflicht (vgl. § 16 Abs. 1 S. 4-6 HinSchG). Aus Compliance-Sicht ist diese Änderung begrüßenswert, da sie eine weitere potentielle Hemmschwelle für Hinweisgeber abbaut.

Für diejenigen Unternehmen, deren Meldekanal bisher der klassische „Kummerkasten“ (Briefkasten) war, wird diese Änderung mit Aufwand verbunden sein. Ein solcher Briefkasten dürfte dem Erfordernis nach anonymer Kommunikation nicht gerecht werden. Offen bleibt, ob die einfache E-Mail-Adresse als Meldekanal diesen Anforderungen (noch) gerecht wird.

Die Pflichten hinsichtlich anonymer Meldungen greifen nach der Übergangsvorschrift erst ab 1. Januar 2025 (§ 42 Abs. 2 HinSchG). Das spätere Inkrafttreten dieser Pflicht begründet der Gesetzgeber mit den Zusatzkosten für die notwendigen technischen Vorrichtungen oder der Beauftragung einer Ombudsperson sowie mit den zusätzlichen Belastungen bei der konkreten Einrichtung der Meldestelle (vgl. Beschlussempfehlung HinSchG, S. 61).

 

2. Eine für alle – auch der Rechtsausschuss bestärkt die Konzernlösung

Besonders erfreulich ist, dass die sog. Konzernlösung erneut betont wird. Diese Lösungsmöglichkeit hat der Rechtsausschuss – ohne konkreten Bezug zu den vorgeschlagenen Änderungen – ausdrücklich aufgegriffen und begrüßt (vgl. Beschlussempfehlung HinSchG, S. 56). Nach der Konzernlösung können einzelne Konzerngesellschaften, die in der Regel nicht über eine eigenständige Compliance-Funktion oder gar Compliance-Abteilung verfügen, ihre interne Meldestelle an ein Konzernunternehmen auslagern. Vorausgesetzt, die Meldestelle auf Ebene der Konzerngesellschaft wahrt die Vertraulichkeitspflichten und ist unabhängig. Zudem darf der Einsatz einer konzernweiten zentralen Meldestelle keinerlei Hürden für den Hinweisgeber bedeuten, d.h. insbesondere keine sprachlichen Barrieren. Ein Hinweis sollte daher in der in der jeweiligen Einzelgesellschaft vorherrschenden Arbeitssprache abgegeben werden können. Der deutsche Gesetzgeber vergleicht die zentrale Meldestelle im Konzern mit dem „Outsourcing“ an eine externe Kanzlei; beide seien „Dritte“ im Sinne von Art. 8 Abs. 5 EU Whistleblowing Richtlinie (RL 2019/1937). Die originäre Verantwortung, den gemeldeten Vorfall aufzuklären, abzustellen und zu ahnden, verbleibt in jedem Fall bei der einzelnen Konzerngesellschaft.

Grenzüberschreitende Gesellschaften mit einer zentralen Compliance-Funktion stellt der europäische Flickenteppich an nationalen Umsetzungen, die teilweise eigene Meldestellen für jede Konzerngesellschaft fordern, jedoch weiterhin vor Herausforderungen.

 

3. Aus zwei mach drei – Verlängerung der Aufbewahrungsfrist

Der ursprüngliche Gesetzesentwurf sah vor, dass die Dokumentation der Meldung zwei Jahre nach dem Abschluss des Verfahrens zu löschen ist. Um einen Gleichlauf mit der zivilrechtlichen regelmäßigen Verjährungsfrist zu schaffen, sieht § 11 Abs. 5 HinSchG nunmehr eine Aufbewahrungsfrist von drei Jahren vor (vgl. Beschlussempfehlung, S. 59). Hiermit weiterhin nicht gelöst ist die Frage, wie sich die siebenjährige Aufbewahrungsfrist des Meldeverfahrens nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz zu der dreijährigen Frist nach dem HinSchG verhält. Insoweit haben Unternehmen zukünftig ein striktes Löschungskonzept aufzustellen und nachzuhalten.

 

4. Wer ist die Schönste im ganzen Land?

Nach dem neu eingefügten § 7 Abs. 3 S. 1 HinSchG sollen die verpflichteten Beschäftigungsgeber Anreize dafür schaffen, dass sich Hinweisgeber vor einer Meldung an eine externe Meldestelle zunächst an die jeweilige interne Meldestelle wenden. Dieser Appell ist wohl ein letzter Ausläufer der schon bei Verabschiedung der EU Whistleblowing Richtlinie lebhaft umstrittenen Frage eines Vorrangs der internen Meldestelle. Mit dieser bloßen Soll-Vorschrift gibt das HinSchG jedoch nur wieder, was ohnehin gängige Beratungs- und Unternehmenspraxis ist: Die eigenen Meldekanäle so attraktiv wie möglich gestalten, um in dem Wettbewerb der Meldekanäle gegenüber den zentralen externen (behördlichen) Meldekanälen zu gewinnen. Zu der Frage, wie solche Anreize konkret geschaffen werden sollen, verhält sich die Beschlussempfehlung denkbar zurückhaltend. So bleibt es bei einem bloßen Verweis auf die Optimierung der internen Meldewege, eine gute Kommunikationskultur, die Förderung sozialer Verantwortung, das wirksame Vorgehen gegen Verstöße und den Schutz vor Repressalien (vgl. Beschlussempfehlung, S. 58). Zudem müssen Beschäftigungsgeber für Beschäftigte klare und leicht zugängliche Informationen über die Nutzung des internen Meldeverfahrens bereithalten (§ 7 Abs. 3 S. 2 HinSchG) und die Möglichkeit einer externen Meldung darf durch ein Anreizsystem zur Nutzung interner Meldekanäle nicht beschränkt oder erschwert werden (vgl. § 7 Abs. 3 S. 3 HinschG).

 

5. Mobbing, Stalking & Co. – Geldzahlung für immaterielle Schäden

Gestärkt wurde die Schadensersatzvorschrift: Für den Ersatz von Schäden, die keine Vermögensschäden sind, kann sich der Hinweisgeber zukünftig auf eine eigene gesetzliche Regelung in § 37 Abs. 1 S. 2 HinSchG berufen und eine Entschädigung in Geld fordern. Hiermit wurde eine explizite gesetzliche Regelung im Sinne des § 253 Abs. 1 BGB geschaffen. Repressalien können vielschichtige Erscheinungsformen einnehmen und gerade bei psychischen Belastungen wie Mobbing oder Stalking ist der Nachweis einer Verletzung der in § 253 Abs. 2 BGB genannten Rechtsgüter oftmals schwer. Zumal sich die Rechtsprechung bei der Einordnung der notwendigen Bemessungsfaktoren in diesen Fällen ohnehin schwertut. Die vollständige Widergutmachung trägt den europäischen Vorgaben (Art. 21 Abs. 8 und ErwG. 94 EU Whistleblowing Richtlinie) ausreichend Rechnung und stärkt durch einen weitreichenden Schutz von Hinweisgebern auch das Vertrauen der Hinweisgeber und somit auch die Effektivität von Hinweisgebersystemen.

Die Befassung mit dem Thema Hinweisgebersystem sollte nicht mehr weiter hinausgeschoben werden. Wir unterstützen gerne bei einer GAP-Analyse vorhandener Strukturen und bei Fragen rund um die Implementierung eines Hinweisgebersystems – sprechen Sie uns einfach an.

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